Der zweite Sprung auf der Oberstdorfer Schattenbergschanze war Pius Paschke nicht mehr ganz so gut gelungen wie sein Flug in Durchgang eins. Dementsprechend fiel auch die Reaktion des Mannes vom WSV Kiefersfelden aus. Nach der Landung zeigte er sich unsicher, so als wollte er sagen: 'Ein bisschen mehr hätte es schon sein dürfen'.
Ein Blick aufs Tableau bestätigt diesen Eindruck. Paschke reist als Vierter mit 13,8 Punkten Rückstand auf Kraft zum Neujahrsspringen nach Garmisch-Partenkirchen. Sind damit alle Hoffnungen auf den ersten Tourneesieg seit Sven Hannawald vor 23 Jahren schon ausgeträumt?
Paschke freut sich über "sehr guten vierten Platz"
Nach dem Wettkampf war der 34-Jährige schon wieder deutlich positiver. "Es war ein cooler Wettkampf, hat richtig Spaß gemacht vor der Kulisse", bilanzierte Paschke am ARD-Mikrofon, der sich "sehr zufrieden" mit dem "sehr guten vierten Platz" gab. "Es war ein guter Wettkampf von mir. Der zweite Sprung war oben am Limit und sehr scharf", so Paschke weiter.
Auch Bundestrainer Stefan Horngacher hatte keine Lust auf Schwarzmalerei. An vorderster Stelle war der Chef der DSV-Adler froh, dass überhaupt einer seiner Schützlinge vorne mitsprang. Angesichts der österreichischen Übermacht, die in der Qualifikation alle ersten fünf Plätze besetzte und auch beim Auftakt das Podium in rot-weiß-rot färbte, ein legitimer Gedanke.
Ob man die Österreicher überhaupt schlagen könne, wurde Horngacher gefragt: "Ja, mit guten Skisprungleistungen", war seine knappe, aber präzise Antwort. "Pius war heute knapp dran. er ist gut gesprungen, aber nicht sehr gut. Wenn er zwei sehr gute Sprünge macht, kann er es auch gewinnen."
Historie macht Paschke Hoffnung
Er wolle auch "nicht nervös werden, weil die Österreicher hier abgeräumt haben", so Horngacher weiter, der aber auch Paschkes Sprung und den daraus resultierenden Rückstand von 13,8 Punkten einzuordnen wusste: "Da ist schon noch ein bisschen Abstand, aber wir haben noch einige Springen vor uns", gab sich der Bundestrainer gelassen: "Wer die Tournee kennt, weiß, es passiert immer irgendwo irgendwas." Umgerechnet beträgt der Rückstand derzeit ungefähr 7,5 Meter. Und sechs Wettkampfsprünge sind ja noch zu absolvieren.
Ein Blick in die Historie sorgt für zusätzliche Hoffnung. In den letzten zehn Jahren hat zwar kein Viertplatzierter von Oberstdorf die Tournee am Ende gewonnen. Es geht aber sowieso um die Punkte. Da legte David Kubacki 2019/20 ein beispielloses Comeback hin. Nach zwei dritten Plätzen in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen und einem zweiten Platz am Bergisel in Innsbruck übernahm er die Führung in der Gesamtwertung und brachte sie in Bischofshofen ins Ziel. Der Pole war mit 10,4 Punkten Rückstand aus Oberstdorf abgereist und gewann den goldenen Adler am Ende mit fast zwanzig Punkten Vorsprung.
In den letzten 50 Jahren wurde siebenmal ein Rückstand von zehn Punkte oder mehr aufgeholt. Jens Weißflog holte sich vor genau 40 Jahren trotz 18,7 Punkten Rückstand nach dem ersten Springen noch den Gesamtsieg.
Pius Paschke: Vom Gejagten zum Jäger
Zudem kamen die DSV-Adler in der jüngeren Vergangenheit selten mit der Rolle des Gejagten klar. Andreas Wellinger gewann im vergangenen Jahr das Auftaktspringen und behielt auch nach seinem dritten Platz im Neujahrsspringen die Führung in der Gesamtwertung. In der Windlotterie Bergisel in Innsbruck zerplatzten mit Platz fünf dann aber alle Tourneehoffnungen. Auch Karl Geiger wurde der Bergisel in der Vergangenheit schon zum Verhängnis.
In diesem Jahr ist Pius Paschke der Jäger. Stefan Kraft hat nun den Druck, weiß aber damit umzugehen. 2014/15 gewann der erfahrene 31-Jährige die Tournee. Zu sehr auf die Gesamtwertung will Paschke, der sich in der Rolle des Jägers nach eigener Aussage ganz wohlfühlt, aber sowieso noch nicht schauen. "Für uns ist jedes Springen ein einzelner Weltcup und am Schluss rechnen wir zusammen", sagte Deutschlands größte Tourneehoffnung und sein Trainer ergänzte: "Wir sind dabei, das wissen wir und es geht jetzt erst los."