Als Arbeitsmarktexperte Enzo Weber in seinem Münchner Homeoffice den Laptop aufschlägt, gleitet sein wissenschaftliches Werk "Der große Trend zur Freizeit?" über den Bildschirm. Die Antwort auf die Frage scheint naheliegend: Immer mehr Länder und Unternehmen erproben Modelle der Vier-Tage-Woche und die Herzen vieler Arbeitnehmer dürften höherschlagen, wenn sie in Zukunft nur noch 30 statt 40 Stunden in der Woche arbeiten müssen – fürs gleiche Geld. Doch hört man dem Wissenschaftler vom Institut für Arbeitsmarktforschung Nürnberg zu, verpufft die schöne Vorstellung einer Vier-Tage-Woche schnell.
Wie sinnvoll ist eine Vier-Tage-Woche?
Es sei ein Trugschluss, dass Arbeitnehmer heute weniger arbeiten wollen als früher, sagt Weber. Die Wünsche nach der Arbeitszeit seien über Jahrzehnte stabil geblieben. Manche wollen kürzer arbeiten, andere wollen verlängern – je nach Lebenssituation. Der Job sollte sich dem Leben anpassen und nicht umgekehrt. Eine starre Fünf-Tage-Woche durch eine starre Vier-Tage-Woche für alle zu ersetzen, wäre deshalb nicht sinnvoll, meint der Wissenschaftler. Entscheidend sei, dass Beschäftigte in Zukunft flexibel und selbstbestimmt arbeiten können.
Für das Klima wäre eine Vier-Tage-Woche laut US-Forscherin Juliet Schor aber durchaus sinnvoll. Die CO2 Emissionen eines Landes könnten zum Beispiel sinken, weil der Berufsverkehr abnimmt. Außerdem würden sich Menschen in der neu gewonnen Zeit vermehrt mit Umweltschutz beschäftigen.
Ist eine Vier-Tage-Woche ökonomisch machbar?
Kürzere Arbeitszeiten sind eigentlich ein alter Hut, denn seit Jahrzehnten sind Arbeitnehmer in Teilzeit angestellt. Spannend wird es aber beim Gehalt. Würden Mitarbeiter für vier Tage dasselbe bekommen wie für fünf, müssten sie die gleiche Arbeit in der kürzeren Zeit schaffen und ihre Produktivität um 25 Prozent steigern. Nur dann würde das Unternehmen keine Verluste einfahren.
"Das ist einfach nicht realistisch", stellt der Arbeitsmarktexperte Weber kühl fest. Er sieht das Risiko, dass Arbeitnehmer an einzelnen Tagen viel mehr arbeiten und letztlich doch auf eine 38 Stundenwoche kommen – nur eben in vier Tagen. Überlange Arbeitszeiten könnten jedoch die Leistung senken und der Gesundheit schaden. Demnach würde sich eine Vier-Tage-Woche mit kürzeren Arbeitszeiten für Unternehmen nur lohnen, wenn die Mitarbeiter auf einen Teil ihres Gehalts verzichten. Umso mehr überrascht eine aktuelle Studie aus Großbritannien.
Welche Länder und Unternehmen haben schon eine Vier-Tage-Woche?
Im weltweit größten Versuch haben 61 britische Unternehmen die Vier-Tage-Woche getestet. Zunächst für ein halbes Jahr. "Vor Beginn des Projektes haben viele gezweifelt, ob wir eine Steigerung der Produktivität sehen würden, die die Verkürzung der Arbeitszeit ausgleicht, aber genau das haben wir festgestellt", erklärt der Forscher Brendan Burchell von der Universität Cambridge. Die Mitarbeiter waren laut Studie motivierter, weniger gestresst und fehlten seltener. Vier von fünf Unternehmen wollen an dem Konzept festhalten.
Arbeitsmarktexperte Weber kritisiert an der Studie, dass die Unternehmen freiwillig teilgenommen haben. Eine ambitionierte Umsetzung der Vier-Tage-Woche sei daher wahrscheinlich gewesen. Hinzu kommt, dass sich die Produktivität eines Unternehmens auch durch neue Technologien und verbesserte Arbeitsprozesse steigern kann und nicht durch den übermäßigen Elan der Arbeitnehmer.
Neben Großbritannien experimentieren auch Irland, Belgien oder Australien mit der Vier-Tage-Woche. In Island musste ein Prozent der arbeitenden Bevölkerung von 2015 bis 2019 nur noch 35 Stunden arbeiten. Bei gleichem Lohn. Auch dabei kam raus, dass die Testpersonen trotz der kürzeren Arbeitszeit genauso viel leisten. Die Probanden vermeldeten zudem eine bessere Work-Life-Balance. Nach der Studie wurden in Island neue Tarifverträge verhandelt. Viele Isländerinnen und Isländer können jetzt ihre Arbeitszeit bei gleichem Gehalt reduzieren.
Geht die Vier-Tage-Woche für alle und ist sie die Zukunft?
Eine Vier-Tage-Woche als nationales, flächendeckendes Modell sei laut Arbeitsmarktexperte bislang nicht üblich. Denn in bestimmten Branchen wie in der Pflege, in Kindergärten oder im Handwerk fehlen Arbeitskräfte.
"Eine Verkürzung der Arbeitszeit kann für die Arbeitgeber noch mal kritischer sein, weil sie gerade mehr Stunden bräuchten statt weniger", sagt Weber. Hier müssten attraktivere Arbeitsbedingungen und ein höherer Lohn diskutiert werden.
Die Arbeitszeit für alle Vollzeitbeschäftigten von fünf auf vier Tage zu verkürzen, wäre weder von den meisten gewollt, noch realistisch, führt der Experte weiter aus: "Aber wir sollten die Debatte nutzen, um zu individuellen Arbeitszeitmodellen zu kommen." Flexibel und mobil arbeiten – das sei die Zukunft.
Was bedeutet die Vier-Tage-Woche für die Rente?
Übrigens: Würden Arbeitnehmer statt Vollzeit nur noch vier Tage arbeiten, müssten die meisten mit weniger Gehalt rechnen – auch zu diesem Schluss kommt Wissenschaftler Weber. Das würde bedeuten, dass die Renten der einzelnen Arbeitnehmer geringer ausfallen, weil sie weniger Rentenpunkte sammeln.
Aber auch die jetzige Rentnergeneration müsste mit weniger auskommen. Denn ihre Renten werden im Umlageverfahren der Deutschen Rentenversicherung mit den Beiträgen der aktuell Arbeitenden finanziert.
Im Video: Arbeit als Pflegekraft - Modell mit flexiblen Arbeitszeiten
Dieser Artikel ist erstmals am 13. März 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!