Nevin Abdi mit Tochter und Sozialpädagogin Regina Seyfart vom Projekt EMMI in Nürnberg
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Nevin Abdi mit ihrer Tochter und Sozialpädagogin Regina Seyfart vom Projekt EMMI in Nürnberg

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Arbeitsmarkt: Gerät die Integration Geflüchteter ins Stocken?

Ein neues Projekt in Nürnberg unterstützt Frauen mit gesichertem Aufenthaltsstatus. Aktuell erhofft sich fast eine halbe Million Geflüchteter einen Arbeitsplatz in Deutschland. Doch der wirtschaftliche Abschwung verringert die Vermittlungschancen.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Nevin Abdi hat ein Beratungsgespräch. Sie kommt seit einigen Monaten ins EMMI-Projekt in Nürnberg, weil sie einen festen Arbeitsplatz sucht. Diesmal hat sie ihre vierjährige Tochter Isla dabei. Auf dem runden Tisch steht ein Glas mit Buntstiften, daneben ein paar Blätter zum Ausmalen. Die kleine Isla macht sich gleich ans Werk.

Nevin Abdi ist 29 Jahre alt und kommt aus dem syrischen Aleppo. Sie hat zwei kleine Kinder und ist alleinerziehend. Nach Kriegsausbruch in Syrien hat sie mit ihren Eltern und zwei Brüdern erst in der Türkei gelebt. Später sind alle nach Deutschland geflohen. Jetzt hat sie sich Hilfe gesucht, im EMMI-Projekt. EMMI steht für "Empowerment für Migrantinnen", also "Selbstbemächtigung für Migrantinnen".

Das Angebot von EMMI

Bei EMMI haben die Beraterinnen vor allem eins: Zeit für individuelle Wünsche und Probleme. Sechs Sozialpädagoginnen und Bildungsberaterinnen unterstützen Frauen zwischen 18 und 55 Jahren – mit Fluchthintergrund und gesichertem Aufenthaltsstatus – auf ihrem Weg in eine Qualifizierung oder Beschäftigung.

Vor allem Migrantinnen, die Arbeit suchen, arbeitslos oder geringfügig beschäftigt sind und keinen (anerkannten) beruflichen Abschluss haben, sind hier richtig. Diese Frauen können zweimal pro Woche in eine offene Sprechstunde kommen und das Projekt kennenlernen.

Hilfe bei Integration im Alltag, Arbeitssuche und Ausbildung

Es gibt Sprachkurse und viele Gruppenaktivitäten. Es geht vor allem, aber nicht nur, um Arbeit oder Ausbildung. Es geht auch um die Integration im Alltag. Kürzlich hätten sie einen Selbstverteidigungskurs für die Frauen organisiert, erzählt Katharina Geldner, die Projektkoordinatorin des EMMI-Projekts. Im Moment sei ein Fahrradkurs in Planung, ein Besuch in einem Fitness-Center nur für Frauen und ein Schwimmtraining.

Auch die Kulturvermittlung sei wichtig, so Geldner. Kürzlich hätten sie mit den Frauen einen Stadtbesuch gemacht und die vielen Sehenswürdigkeiten in Nürnberg besichtigt. Ziel sei ein reger Austausch mit den Frauen, um immer zu wissen, was sie gerade auf dem Herzen haben.

Das A und O: Betreuungsplätze für die Kinder

Mithilfe ihrer Beraterin, der Sozialpädagogin Regina Seyfart, hat Nevin Abdi jetzt zwei Kindergartenplätze. Dadurch hat sie von 10 bis 16 Uhr den Rücken frei. Sie komme jeden Tag, um besser Deutsch zu lernen, sagt die Syrerin. Denn das Sprachniveau B2 ist Voraussetzung für eine Arbeit oder Ausbildung in Deutschland.

Nevin Abdi hat ein Jahr lang an der Uni in Aleppo Wirtschaft studiert, bevor sie aus Syrien fliehen musste. Eigentlich wollte sie in einer Bank arbeiten. In Nürnberg habe sie die B1 Sprachprüfung gemacht, erzählt Nevin Abdi und war dann ein Jahr lang in einer Kolping-Maßnahme, wo sie verschiedene Praktika gemacht habe, in einem Kindergarten und bei einem Facharzt. "Ich will eine Ausbildung machen, im nächsten Jahr. Ich suche jetzt einen Platz, damit ich nächstes Jahr eine Chance habe", sagt sie lächelnd. Sie wäre gerne Steuerfachangestellte oder Automobilkauffrau, habe Interesse an allem, was mit Wirtschaft zu tun hat.

Beraterin empfiehlt Teilzeitausbildung

Regina Seyfart berät Nevin Abdi nun seit einigen Monaten und beschreibt die Syrerin als kontaktfreudig, offen und durchsetzungsstark. Sie wisse schon sehr genau, in welche Richtung es gehen soll, sagt Seyfart. Sie empfiehlt der Syrerin, im September kommenden Jahres - mit Unterstützung des Jobcenters - eine Teilzeitausbildung zu machen.

Das neue Bürgergeld ermögliche den Jobcentern eine dreijährige Finanzierung von Ausbildungen, früher waren es nur zwei Jahre. Alternativ, so Beraterin Seyfart, würde die Industrie- und Handelskammer Nürnberg für Mittelfranken verschiedene Einstiegsqualifizierungen anbieten, gerade auch im kaufmännischen Bereich. Seyfart geht davon aus, dass Nevin Abdi gute Startbedingungen hat.

Fast eine halbe Million Flüchtlinge suchen Arbeit

Aktuell weist die Statistik der Bundesagentur für Arbeit fast eine halbe Million Geflüchtete aus – ohne Ukrainer. Zum Teil sind sie noch in Integrationskursen. Aber sie alle erhoffen sich einen festen Arbeitsplatz. Doch Nürnberger Arbeitsmarktforschern zufolge reduziere der Wirtschaftsabschwung in Deutschland ihre Vermittlungschancen auf ein Minimum.

"Wir sehen im Moment: Die Langzeitarbeitslosigkeit steigt. Die liegt deutlich über dem Niveau, das wir vor Corona hatten. Wir sehen auch: Die Herausforderung bei der Integration von Geflüchteten nimmt ebenfalls zu. Gleichzeitig sind die Chancen von Arbeitslosen auf einen neuen Job im Moment so niedrig, wie zu Corona-Zeiten. Das heißt: Wir sind noch nicht durch", fasst Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg die Situation zusammen.

Nur leichter Anstieg bei Beschäftigung zu erwarten

Für das kommende Jahr prognostizieren die Arbeitsmarktforscher des IAB ein leichtes Wachstum von 1,1 Prozent – vorausgesetzt die Inflation sinkt deutlich. Wegen der relativ schwachen Startposition aus diesem Jahr werde das aber lediglich zu einem Anstieg um 130.000 Personen bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung führen.

Im EMMI-Projekt herrscht trotzdem Zuversicht. Nevin Abdi und die anderen geflüchteten Frauen verbessern jeden Tag ihre Deutschkenntnisse und hoffen auf bessere Chancen im nächsten Jahr.

EMMI Projekt in Nürnberg
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Das Projekt EMMI in Nürnberg versucht geflüchteten Frauen, Arbeit zu finden und den Alltag in Deutschland besser zu meistern.

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