Eine Frau sitzt an einem Arbeitsplatz (Symbolbild)
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Die 50- bis 64-Jährigen sind inzwischen viel stärker im Arbeitsmarkt vertreten, als dies in den meisten anderen OECD-Ländern der Fall ist.

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Mit 55+ kaum noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt – oder doch?

Mit 55+ kaum noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt – oder doch?

Viele wollen im Alter weiter ihr Know-how einbringen und Geld verdienen. Die Situation hat sich verbessert – doch nicht für alle. Deswegen wird immer wieder die Frage gestellt: Sollten Firmen verpflichtet werden, Über-55-Jährige einzustellen?

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Niederbayern und Oberpfalz am .

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Generell hat sich die Lage am deutschen Arbeitsmarkt für Ältere gut entwickelt. Der Industrieländerorganisation OECD zufolge legte die Erwerbstätigenquote der 50- bis 74-Jährigen alleine zwischen 2011 und 2022 um mehr als zehn Prozentpunkte beträchtlich zu. Die 50- bis 64-Jährigen sind inzwischen viel stärker im Arbeitsmarkt vertreten als dies in den meisten anderen OECD-Ländern der Fall ist.

Positiv ist auch die Entwicklung bei Frauen und Männern. Der Geschlechterunterschied hat sich verringert. Der Gender-Gap in der Beschäftigung ist bei den 55- bis 64-jährigen Männern und Frauen von 13,6 Prozentpunkten in 2011 auf 7,8 Prozentpunkte in 2022 gefallen und lag damit deutlich unter dem OECD-Durchschnitt.

In welchen Branchen ältere Arbeitnehmer tätig sind

Die Verteilung der älteren Beschäftigten auf Wirtschaftszweige entspreche überwiegend der Verteilung über alle Altersklassen, heißt es von der Bundesagentur für Arbeit. Nach Branchen betrachtet zeigt sich ein unterdurchschnittlicher Anteil der Älteren im Bereich Information und Kommunikation, dem Gastgewerbe sowie in den "Qualifizierten Unternehmensdienstleistungen", etwa Wachdienste, Werbeagenturen, Frachtunternehmen oder IT-Dienstleister.

Viele Ältere arbeiten unter anderem in der Öffentlichen Verwaltung (29 Prozent). Zu den Branchen mit einem überdurchschnittlichen Anteil Älterer zählen auch die privaten Haushalte sowie die Bereiche Bergbau und (Ab-)Wasser.

Lohn und Gehalt

Deutschland hat in Relation zu Vergleichsländern den ausgeprägtesten Lohnabstand zwischen den Generationen. Stichwort ist dabei unter anderem der sogenannte Senioritätslohn: Erfahrung zahlt sich aus, älteren Mitarbeitern werden höhere Grundgehälter als jüngeren gezahlt.

In Neuseeland sei der Lohnabstand von Älteren gegenüber Jüngeren sehr viel geringer, schreibt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer Studie. Neuseeland hat sich einer konsequenten Antidiskriminierungspolitik verschrieben.

Sorgen der 55+

Trotz guter Entwicklungen, der Eindruck der Lage kann ein anderer sein: "Man muss sich nur einmal die Stellenausschreibungen genau durchlesen, um zu erfahren, dass ein Mitarbeiter 60+ kaum noch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt hat", kommentierte BR24-User "Avanti" kürzlich.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bemängelt unter anderem: Trotz des demografischen Wandels stellen viele Unternehmen bevorzugt Jüngere ein. Bei Weiterbildungen werden Ältere benachteiligt. Die Arbeitslosenquote von über 55-Jährigen lag mit 6,4 Prozent (Januar 2024) mit 0,3 Prozentpunkten über der allgemeinen Arbeitslosenquote.

Sorgen der 55+ zeigt auch eine Studie des Jobportals Stepstone (externer Link). 66 Prozent der Arbeitskräfte 50+ und 57 Prozent derjenigen zwischen 51 und 60 haben Bedenken, keinen neuen Job zu finden, weil sie als zu alt angesehen werden. Jeder Zehnte streicht Altersangaben aus einer Bewerbung. Allerdings fördern 81 Prozent der deutschen Unternehmen Altersdiversität noch nicht strategisch, heißt es auch.

Das Münchner ifo-Institut befragt im Auftrag des Personaldienstleisters Randstad Deutschland immer wieder Firmen. Ein Ergebnis von 2023 zeigt, dass gut 30 Prozent für ältere Beschäftigte die Möglichkeit von Arbeitsteilzeitmodellen anbieten. Hingegen lag der Fokus bei Weiterbildungsangeboten auf jüngeren Altersgruppen.

Risiko längerer Arbeitslosigkeit

Ältere arbeiten – auch wegen Altersteilzeitmodellen – häufiger weniger als die tariflich vereinbarte Wochenarbeitszeit. Sollten sie arbeitslos werden, finden sie schwerer eine neue Beschäftigung. Obwohl sie überdurchschnittlich qualifiziert sind, geht jede zweite arbeitslos gewordene Person in die Langzeitarbeitslosigkeit, heißt es von der Bundesagentur für Arbeit.

Firmen verpflichten, Ältere einzustellen?

BR24-User "KarloErnesto" schlug kürzlich in den Kommentarspalten vor: "Es wäre angebracht, den Unternehmen vorzugeben, wie viele Mitarbeiter sie bei einer bestimmten Mitarbeiterzahl an über 55- oder 60-Jährigen beschäftigen müssen, sonst droht Strafzahlung, wie bei den behinderten Beschäftigten."

Immer wieder kommt dieser Aspekt auf. Sollte es eine Verpflichtung geben? Enzo Weber vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sagt da klar: "Nein. Firmen sollten nicht noch mehr Verpflichtungen auferlegt werden."

Er plädiert viel mehr für eine Qualifizierungswelle. Gerade in körperlich belastenden Berufen sollten Beschäftigte rechtzeitig in verwandte Tätigkeitsprofile mit längerer Perspektive weiterentwickelt werden. So könnte ein Dachdecker seine Erfahrung in Marketing und Vertrieb einbringen.

Auf dem Arbeitsmarkt 55+ zeigt sich also ein differenziertes Bild. Sorgen sind berechtigt – doch es gibt Möglichkeiten, an Stellschrauben zu drehen und bestehende Chancen zu verbessern.

Im Video: Mehr Menschen arbeiten auch im Rentenalter weiter (Archiv)

Arbeiten im Alter – Fluch oder Segen?
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