Gut 100.000 Briefe werden ab heute verschickt. Absender: die Gewerkschaftszentrale der EVG. Adressat: die Mitglieder, die stimmberechtigt sind und die unter Umständen auch streiken könnten. Bei dem Onlinevotum geht es um den Spruch, den die beiden Schlichter, die Arbeitsrechtlerin Heide Pfarr (SPD) und der frühere Innen- und Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), im Tarifkonflikt mit der Bahn Ende Juli gefällt haben und den der Vorstand der Gewerkschaft nach langer Debatte zur Annahme empfohlen hat.
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Das Angebot: Schrittweise Lohnerhöhung und Inflationsprämie
Das sieht der vorgeschlagene Kompromiss der Schlichter vor: eine stufenweise Erhöhung der Löhne um 410 Euro. Die erste Erhöhung um 200 Euro soll im Dezember erfolgen, die zweite im August des kommenden Jahres. Außerdem: eine steuer- und abgabenfreie Inflationsprämie von 2.850 Euro - auszuzahlen im Oktober. Zusätzlich werden die Einkommen von etwa 70.000 Kräften anders eingestuft und damit erhöht. Durchschnittlich ist laut EVG-Chef Martin Burkert mit einem Lohnplus von 14,5 Prozent zu rechnen. In einigen Teilbereichen stünden sogar über 50 Prozent Geld mehr in Aussicht.
Die laufende Tarifverhandlung sei "besonders schwierig" gewesen, so Burkert, unter anderem wegen der hohen Inflation und der Corona-Pandemie. Die Tariferhöhung sei deshalb dringend nötig, "auch für den Arbeitgeber." Denn der Fachkräftemangel spiele sich "auch bei der Deutschen Bahn ab".
Nicht alle profitieren - droht unbefristeter Streik?
Aber: Burkert spricht von einer Empfehlung für den Schlichterspruch mit "Licht und Schatten". Deutlich höhere Löhne gibt es nämlich nicht für alle, räumt er ein: "Wir haben zugesagt, natürlich in der nächsten Tarifrunde das Augenmerk auf den Bereich zu legen, der heute nicht in dem Umfang profitiert." Ob das die Betroffenen überzeugt, bleibt abzuwarten. Der Unmut soll bei einigen groß sein, denn der Schlichtervorschlag ist, zumindest was die Erhöhung der Laufzeit angeht, schließlich deutlich niedriger als das, was die Gewerkschaft einst gefordert hatte.
Sprechen sich mindestens 25 Prozent für die Annahme des Schlichterspruches aus, ist ein unbefristeter Streik vom Tisch. Die Erfahrungen vergangener Schlichtungen haben zwar gezeigt, dass kaum mit einer deutlichen Mehrheit für den Schlichterspruch zu rechnen ist. Der Fahrgastverband "Pro Bahn" ist aber zuversichtlich, dass es nicht zum Erzwingungsstreik kommt. Schließlich sind die Hürden für eine Ablehnung hoch: Mindestens 75 Prozent der teilnehmenden EVG-Mitglieder müssten gegen den Spruch stimmen.
Sollte das passieren, würde der Tarifstreit vollends eskalieren. Auf die Fahrgäste käme dann wohl ein chaotischer Spätsommer und Herbst mit unbefristeten Bahnstreiks zu. Für die EVG-Verhandlungsführer wäre eine Ablehnung zudem eine herbe Klatsche. Monatelang haben sie um den Kompromiss gerungen und sich am Ende klar dafür ausgesprochen. Sollten die Mitglieder ihnen nicht mit deutlicher Mehrheit folgen, würde das die Gewerkschaft vor eine harte Zerreißprobe stellen. Für weitere Verhandlungen wären das äußerst erschwerte Bedingungen.
Ergebnis erst Ende August
Das Ergebnis der Urabstimmung will die EVG am 28. August bekannt geben. Beim Arbeitgeber ging das schneller über die Bühne. Der Bahnvorstand, heißt es auf Nachfrage, habe bereits dem Schlichterspruch zugestimmt - im Umlaufverfahren.
Dann bleibt noch abzuwarten, wie sich die mit der EVG konkurrierende "Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL)" verhalten wird. Tarifverhandlungen zwischen Bahn und GDL sind für den Herbst angesetzt.
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