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Einerseits will Deutschland aus den Erfahrungen mit Russland lernen und deshalb riskante Abhängigkeiten zu seinem größten Handelspartner – der autokratisch geführten Volksrepublik China – reduzieren. Diese Strategie verfolgt auch die EU, sie nennt sich De-Risking.
Trotzdem zeigt die Reise von Bundeskanzler Scholz nach China, wie wichtig das Land nach wie vor ist: Neben Scholz sind Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Umweltministerin Steff Lemke (Grüne) bei der für einen solchen Besuch sehr langen, dreitägigen Reise dabei. Und eine Wirtschaftsdelegation. Mit den Chefs von Siemens und BMW. China-Risiko vermindern – und trotzdem hochrangige Wirtschaftsbosse in der Kanzler-Delegation. Wie passt das zusammen?
Wirtschaftsdelegation vertritt 5.000 deutsche Firmen in China
Da kommt es auf die Perspektive an: Es gibt eine Sicht von innen und eine von außen. Die Sicht von innen: Die deutsche Auslandshandelskammer in China (AHK) sieht die Wirtschaftsdelegation positiv. Sie vertritt etwa 5.000 deutsche Firmen in China und sorgt sich darum, dass diese den Anschluss an die chinesische Konkurrenz verlieren könnten.
Denn es nicht mehr wie früher, als Made in Germany eindeutig einen so großen technischen Vorsprung hatte, dass deutsche Produkte trotz ihres in der Regel höheren Preises in China gefragter wären als die heimische Konkurrenz. Beispiel Automarkt: VW hat seine jahrelange Pole-Position an BYD aus Shenzhen verloren – wegen der E-Autos. BYD hat hier weltweit selbst Tesla überholt. Und VW hofft nun, 2026 mit der Technologie des chinesischen Startups XPeng zwei neue E-Autos auf den Markt zu bringen und aufzuholen.
Deutsche Firmen wollen "wettbewerbsfähig bleiben"
Für Maximilian Butek von der AHK in Shanghai bedeutet De-Risking, dass viele deutsche Firmen ihr China-Geschäft von ihrem restlichen Geschäft abkoppeln, um die Gesamtfirma unabhängiger von chinesischen Lieferketten zu machen. Dennoch könnten die Firmen nicht auf China verzichten: "Der lokale Wettbewerb zeigt in den letzten fünf Jahren eine irrsinnige Geschwindigkeit. Die Folge: 80 Prozent der deutschen Firmen, die in China investieren wollen, tun dies, um überhaupt wettbewerbsfähig zu bleiben."
Insofern hofft Butek, dass der Kanzler in Peking bei seinen Gesprächen mit Staats- und Parteichef Xi Jinping und Premier Li Qiang erfolgreich für einen faireren Wettbewerb wirbt. Denn seit einigen Jahren gehe es in China immer ideologischer zu, fänden Ausländer immer schwerer Zugang zu Behörden und anderen Netzwerken. AHK-Geschäftsführer Butek hält nichts von Strafzöllen der EU auf chinesische E-Autos, Windturbinen und Solaranlagen, die wegen unerlaubter Subventionen unschlagbar billig in Europa verkauft werden. Er fürchtet Gegenmaßnahmen von chinesischer Seite. Ob es Strafverfahren geben wird, untersucht die EU gerade. Erste Ergebnisse der Prüfungen werden Mitte des Jahres erwartet.
Experte: Deutschen unterschätzen eigenen Wert
Die Sicht von außen: Für die Experten der China-Denkfabrik Merics in Berlin ist die hochrangige Zusammensetzung der Scholz-Delegation risikoreich. Den chinesischen Gastgebern werde es zu leicht gemacht, die eigene Position durchzubringen, wenn Scholz mit so viel Prominenz anreise. Denn dann laute die Botschaft: Unsere Beziehung ist so eng und profitabel, wir kommen alle zu Euch, da stören auch Probleme kaum. Stichwort: Win-Win, das Schlagwort vergangener Jahre.
"Wenn die Chinesen dann mit ein paar Karotten wedeln, uns kleinere Zugeständnisse machen, heißt das wenig", sagt Max Zenglein, Chefökonom von Merics. Für ihn zählt dazu beispielsweise besserer Zugang für deutsche landwirtschaftliche Produkte. Die Deutschen sollten sich damit nicht zufriedengeben und viel selbstbewusster auftreten. "Die Deutschen unterschätzen ihren eigenen Wert als Markt. China tut sich in der geopolitischen Lage immer schwerer, in andere große Märkte wie die USA und Japan zu verkaufen. Diese starke Position nutzen wir viel zu wenig."
"Gegenmaßnahmen sind nicht realistisch"
Zenglein warnt davor, sich von der Angst vor chinesischen Gegenmaßnahmen etwa wegen Strafzöllen treiben zu lassen. "Gegenmaßnahmen sind nicht realistisch. Den Chinesen reicht es aber schon, wenn wir vor sowas Angst haben, uns deshalb defensiv verhalten und eigene Chancen vergeben." Dazu passt eine aktuelle Umfrage des ifo-Instituts: 37 Prozent der deutschen Unternehmen sind auf Vorprodukte aus China angewiesen. Vor dem Ukraine-Krieg waren es noch 46 Prozent.
Merics-Ökonom Zenglein hält es für schädlich, wenn gerade deutsche Großkonzerne die Regierungsposition des De-Riskings abschwächen wollen. Damit schade Deutschland der EU – umso mehr, wenn Wirtschaftsbosse in der Kanzler-Delegation in Peking signalisierten, dass sich ihr China-Geschäft kaum verändert habe. Früher aber habe es nicht den Schulterschluss zwischen Russland und China und den Krieg in der Ukraine mit all seinen Gefahren für Europa gegeben.
Auf Delegationsreisen Netzwerke aufbauen
Was hat sich in den letzten Jahren politisch zwischen China und Deutschland verändert? Und was passiert in einer Wirtschaftsdelegation? In China bezeichnen viele hinter vorgehaltener Hand die Ära vor dem Machtantritt Xi Jinpings 2012 als die "goldenen Zeiten". Denn damals stand vor allem die Wirtschaft im Vordergrund, nicht die kommunistische Ideologie nach Prägung Xi Jinpings. Zwar gab es zu Zeiten von Merkel und Schröder auch immer mal wieder politische Verstimmungen, aber keine immer stärker rivalisierenden Supermächte China und USA, mit der EU und Deutschland dazwischen.
Damals machten bei Staatsbesuchen die Wirtschaftsdelegationen mit ihren milliardenschweren Vertragsunterzeichnungen Schlagzeilen. Gerade im Hightech-Bereich. Das hat sich deutlich verringert, seit China eigene Hochtechnologie massiv fördert, um die Wirtschaft unabhängig vom Ausland zu machen und spätestens zum 100. Geburtstag der Volksrepublik 2049 weltweit wirtschaftlich führend zu sein. Delegationsreisen sind vor allem dazu da, Netzwerke aufzubauen. Unternehmern bieten solche Reisen Gelegenheit, mit Kollegen, Behörden und auch Konkurrenten vor Ort Kontakt aufzunehmen. Sie sind gute Gelegenheiten, um für politische Rückendeckung zu werben. Und es geht auch darum, durch die Teilnahme an einer hochkarätigen Delegation die eigene politische Bedeutung zu demonstrieren.
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