Es ist das eine Thema, das das Spitzengespräch der Wirtschaftsverbände mit dem Bundeskanzler bestimmt: die aktuelle Energiekrise. Sollte Russland wirklich den Gashahn zudrehen, hätte das dramatische Folgen, sagt der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Peter Adrian. Das fange an, dass Unternehmen keine Schläuche mehr herstellen können für die Dialysestationen, die hier nur Vorräte von vier bis sechs Wochen haben. Und gehe weiter bis hin zur Unterbrechung der Wasserversorgung, wenn man keine Energie habe, um Pumpen und Anlagen zu betreiben, so Adrian.
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BDI: "Angst ist ein schlechter Ratgeber"
Allerdings solle man nicht wie das Kaninchen auf die Schlange schauen, meint Industriepräsident Siegfried Russwurm. Angst sei ein schlechter Ratgeber. Momentan laufe die Gasversorgung ja noch. Die Verunsicherung ist aber groß bei allen Beteiligten, das wird bei dem Spitzentreffen mit dem Kanzler deutlich.
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Kanzler: Energiesicherung "in nicht gekanntem Tempo"
Olaf Scholz weist darauf hin, dass man schon begonnen habe, Infrastrukturen aufzubauen, um Gas aus aller Welt zu importieren. Die Regierung werde "in nicht gekanntem Tempo" versuchen, Flüssiggas-Terminals an der norddeutschen Küste und Gasleitungen bauen zu lassen. "Mein Ziel: Wir werden uns den Schneid nicht abkaufen lassen."
Was den längerfristigen Umbau der Energieversorgung betrifft, versprach Scholz eine Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren, "indem wir alle Gesetze ändern, die dazu notwendig sind, dass in größter Geschwindigkeit all das errichtet und geschaffen werden kann". Alle Beschleunigungsgesetze sollen in diesem Jahr auf den Weg gebracht werden.
Olaf Scholz stellte in München wegen der steigenden Kosten zudem weitere Hilfen für Bürger und Unternehmen in Aussicht. Und kündigte an, Firmen zu belohnen, die ihren Energieverbrauch freiwillig reduzieren.
Wirtschaftsverbände fordern generell schnellere Genehmigungen
Aus Sicht der Wirtschaft ist es wichtig, dass die Regierung aufs Tempo drückt. Denn eine stabile Gasversorgung habe hohe Priorität, heißt es in der gemeinsamen Erklärung des Industrieverbands BDI, der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), des Industrie- und Handelskammertags (DIHK) und des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH). Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaften verlangen eine Verkürzung der bisher oft Jahre dauernden Planungs- und Genehmigungsverfahren für neue Infrastruktur, Gebäude und technische Anlagen auf wenige Monate.
Laut BDI-Präsident Siegfried Russwurm gilt das nicht nur kurzfristig für das Thema Gas, sondern mittelfristig auch bei all der Infrastruktur, die man braucht, um Deutschland umzustellen zu einem dekarbonisierten Industrieland. „Wir können mit dem Genehmigungsprozeduren und deren Dauern, wie wir sie heute haben, nicht wettbewerbsfähig sein, sagt Russwurm.
Weitere Sorge der Wirtschaft: fehlende Arbeitskräfte
Der Fachkräftemangel war ein weiteres Thema beim Spitzengespräch mit dem Kanzler. Man könne aktuell allein in den so genannten Mint-Berufen 320.000 gemeldete Stellen nicht besetzen, also in Berufen, die sich unter den Begriffen Mathematik, Informatik, Natur- und Ingenieurwissenschaft und Technik einordnen lassen, beklagen die Wirtschaftsverbände. Im Handwerk fehlen demnach 250.000 Fachkräfte.
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Industrieverband: "Wir brauchen alle!"
BDI-Präsident Russwurm nennt den Fachkräftemangel eine gemeinsame Herausforderung, die Handwerk, Industrie und Dienstleistung gleichermaßen trifft. Da heiße es kreativ sein, aus alten Mustern ausbrechen, attraktiv sein für Zuwanderer, Erwerbsquoten steigern, die Reserven, die man noch habe, ausnutzen und schauen, dass kein Schulabgänger durch die Ritzen falle. Man brauche alle, so Russwurm. Um die berufliche Ausbildung zu stärken, solle sie mit der akademischen gleichgestellt werden.
Kanzler: Ausbildung gleich viel wert wie Studium
Aus Sicht des Kanzlers ist hier eine Veränderung in den Köpfen gefragt. Eine berufliche Ausbildung, einen Meisterabschluss vielleicht noch oben drauf, das sei gleichwertig mit einem Studium, so Scholz. Es sei ebenfalls ein guter Lebensweg mit guten Aussichten, guten Einkommensperspektiven und viel Freude an der Arbeit.
Es brauche mehr qualifizierte Fachkräfte, heißt es in der gemeinsamen Erklärung der Spitzenverbände. Nur mit ihnen könnten die Potenziale des Landes realisiert werden.
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