Pfandsammler sind oft stundenlang unterwegs, um in Mülleimern nach Flaschen und Dosen zu suchen, die ihnen am Ende ein paar Cent pro Fund bringen. Das Pfandsammeln steht besonders für die prekäre Lage, in der sich etliche Menschen in Deutschland befinden. Gut ein Fünftel der Deutschen war im Jahr 2022 von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamts.
Wer Pfandflaschen sammeln muss, spricht oft nicht gerne darüber, sagt Pascal Fromme von der Initiative "Pfand gehört daneben" des Getränkeherstellers Fritz-Kola. "Ich merke das, wenn wir mit den Sammlern in Kontakt sind: Scham ist immer ein großes Thema." Das ist einer der Gründe, weshalb man wenig weiß über die Menschen, die Flaschen sammeln.
Einen kleinen Einblick liefern Umfragen, die 2021 und 2022 von dem Getränkehersteller Fritz-Kola beauftragt wurden - die einzigen Daten, die der #Faktenfuchs finden konnte. Das Ergebnis der jüngsten Umfrage: Mehr als eine Million Menschen in Deutschland sammeln aktiv Pfand. Diese Zahl basiert auf einer Schätzung des Hamburger Marktforschungsunternehmens Appinio, das die Umfrage für Fritz-Kola durchführte.
Befragt wurden 2.000 Menschen in Deutschland zwischen 16 und 65 Jahren via Smartphone-App, 400 davon waren nach eigener Aussage aktive Pfandsammler. Dadurch, dass die Teilnehmer die Umfrage am Smartphone ausfüllen mussten und für ihre Teilnahme Geld bekamen, kann es laut Appinio sein, dass die Pfandsammler in der Stichprobe über- oder unterrepräsentiert sein könnten.
Gestiegene Lebenshaltungskosten häufigster Grund für Pfandsammeln
Die Gründe für das Pfandsammeln sind laut der Befragung vielfältig. Knapp die Hälfte der befragten Pfandsammler gab die gestiegenen Lebenshaltungskosten als Grund an - und das, obwohl 62 Prozent der Pfandsammler einen Job ausübten. Knapp 20 Prozent sagten, sie verdienten in ihrem Beruf nicht ausreichend und gut 38 Prozent gaben an, mit dem zusätzlichen Einkommen ihre Familie unterstützen zu wollen. Das Geld, das gesammelte Pfandflaschen einbringen, ist also offenbar ein wichtiger Nebenverdienst.
Die Tatsache, dass so viele Menschen Flaschen sammeln, um über die Runden zu kommen, beschäftigt viele Menschen. Besonders viel Mitgefühl äußern Internetnutzer für Rentner, die Pfand sammeln, weil die Rente nicht zum Leben reiche.
Zum Beispiel auf der Plattform X wird nun seit Wochen aber auch darüber diskutiert, ob der Staat versucht, diese ohnehin einkommensschwachen Menschen finanziell zu belasten - nämlich mit Steuern auf die gesammelten Pfandflaschen. Oft wird zum Beispiel fälschlicherweise behauptet, es gebe eine spezielle "Pfandflaschen-Steuer". Die gibt es nicht. Vor Monaten verbreitete sich dazu auch ein Video der Bundesaußenminister Annalena Baerbock, das mithilfe von KI manipuliert wurde. Der #Faktenfuchs klärt, wann Steuern auf Pfandflaschen anfallen und inwiefern solche Behauptungen genutzt werden, um Stimmung gegen den Staat zu machen.
Wann müssen Pfandsammler Steuern zahlen?
Klar ist: Es gibt keine spezielle Steuer auf Pfandflaschen. Das bestätigte dem #Faktenfuchs ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums. Es könne aber unter bestimmten Umständen sein, dass Einkommenssteuer auf die gesammelten Pfandflaschen anfalle.
Nämlich dann, wenn jemand - auch mit dem Sammeln von Pfandflaschen - mehr als 11.604 Euro pro Jahr verdient. Das ist der geltende Grundfreibetrag, der ein Existenzminimum sichern soll; diese Summe ist steuerfrei. Alle Einkünfte, die über diesen Betrag hinausgehen, müssen versteuert werden. Dabei ist es erst einmal egal, ob das ganze Einkommen durch Pfandflaschen erwirtschaftet wurde oder nur ein Teil.
Werde der Grundfreibetrag überschritten, setze die Steuer allerdings erst einmal sehr niedrig ein, sagt der Anwalt für Steuerrecht Martin Wulf im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. "Ich müsste einen Gewinn haben von ungefähr 16.200 Euro - dann müsste ich insgesamt 1.000 Euro Einkommensteuer zahlen."
Nur für die wenigsten ist das Pfandsammeln laut der Umfrage die einzige Einnahmequelle. Aber selbst wenn jemand durch andere Einkünfte über den Grundfreibetrag kommt: Privatpersonen dürfen zusätzlich zum Grundfreibetrag 256 Euro pro Jahr - zum Beispiel durch Flaschensammeln - verdienen, ohne darauf Steuern zahlen zu müssen. Dass dies explizit auch für das Sammeln von Pfandflaschen gilt, geht aus einem Urteil des Bundesfinanzhofs von 1973 hervor. Darauf bezieht sich das Bayerische Landesamt für Steuern in einer Antwort an den #Faktenfuchs.
Täglicher Verdienst liegt häufig bei null bis vier Euro
Flaschensammler kommen nach mehreren Stunden bisweilen auf ein paar Euro. Inwieweit solche Beträge dem Finanzamt überhaupt bekannt werden, ist unklar. Der Steuerrechtler Wulf hält die Frage einer Besteuerung von Einnahmen aus Pfandflaschen für sehr theoretisch. In einer Mail an den #Faktenfuchs schreibt er, das Finanzamt erfahre von den Einnahmen des Pfandsammlers mit großer Wahrscheinlichkeit nichts.
Die Steuerfreibeträge alleine durch Flaschenpfand zu überschreiten, dürfte für den größten Teil der Flaschensammler kaum zu schaffen sein. Denn mehr als die Hälfte von ihnen verdiente nach eigenen Angaben im Schnitt null bis vier Euro pro Tag damit. Diese Zahl stammt aus der durch Fritz-Kola beauftragten Befragung unter Pfandsammlern von 2021. Der maximale Verdienst hingegen lag danach pro Tag bei 30 bis 49 Euro. Den erreichte aber nur ein Prozent der täglichen Pfandsammler. Rechnet man für die Mehrheit den Verdienst auf 365 Tage hoch, läge der Jahresverdienst durch Pfandsammeln, ausgehend von einem Tagesverdienst von vier Euro, bei 1.460 Euro. Weit entfernt von der Grundfreibetragsgrenze von 11.604 Euro.
Pfandsammeln ist ein saisonales Geschäft: In den Wintermonaten verdienen Pfandsammler deutlich weniger als im Sommer. Die Menschen halten sich seltener draußen auf, entsprechend werden auch weniger Pfandflaschen im Freien zurückgelassen. Während knapp 27 Prozent der befragten Pfandsammler angaben, in den Sommermonaten zwischen 50 und 99 Euro monatlich zu verdienen, erreichten in den Winter- und Frühlingsmonaten nur circa 19 Prozent der Pfandsammler so hohe Summen.
Dennoch: Einzelfälle, in denen Menschen so viel allein mit Pfandsammeln verdienen, dass sie steuerpflichtig werden, gibt es. Über Beispiele berichteten etwa die "Süddeutsche Zeitung" oder die "Rheinische Post" (externe Links, möglicherweise Bezahlinhalte).
Müssen Pfandsammler Gewerbesteuer zahlen?
Mit seinem oben erwähnten Urteil von 1973, auf das sich das Bayerische Landesamt für Steuern beruft, stufte der Bundesfinanzhof Pfandsammeln explizit nicht als gewerbliche Tätigkeit ein. Damit fällt auch keine Gewerbesteuer an.
Denn dafür müssten sich Pfandsammler unter anderem am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr beteiligen. Das sah man in dem speziellen Fall von 1973 als nicht gegeben an. Damals ging es um eine Person, die Coca-Cola-Flaschen auf dem Kasernengelände der US-Armee gesammelt hatte und mit dem Flaschenpfand 9.000 D-Mark verdiente. Ein Finanzgericht sah diese Summe zunächst als gewerbliche Einkunft an, der Bundesfinanzhof entschied dann anders.
Der Steuerrechtler Martin Wulf hält die Rechtsprechung von damals allerdings für zu speziell und daher kaum übertragbar auf Pfandsammler allgemein. Die Frage sei, ob aktuelle Fälle wirklich gleichgelagert seien. Dem #Faktenfuchs sagt er: "Das Steuerrecht geht davon aus, dass jede selbstständige Tätigkeit, die ich nachhaltig und mit Gewinnerzielungsabsicht ausübe, als gewerbliche Einkunft begründet ist." Diese drei Kernmerkmale sieht er beim Pfandsammeln gegeben. Ebenso die Beteiligung am Markt - etwa dann, wenn ein Pfandsammler seine Flaschen bei verschiedenen Getränkehändlern abgibt.
Auf Nachfrage erklärte das Bayerische Landesamt für Steuern, dass es bisher keine andere Rechtsprechung gegeben habe und deshalb die von 1973 bindend sei. Ein Sprecher schreibt dem #Faktenfuchs per E-Mail: "Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs wird im amtlichen Einkommensteuer-Handbuch des Bundesfinanzministeriums - zuletzt in der aktuellen Ausgabe 2022 - unverändert zitiert und ist deshalb von der Finanzverwaltung verpflichtend anzuwenden." Auch das Finanzamt München verwies in einer Antwort an den #Faktenfuchs auf diese Rechtsprechung.
Diese Regelungen treffen übrigens nicht auf diejenigen zu, die ihre eigenen Pfandflaschen zurückbringen. Sie erwirtschaften keinen Gewinn und müssen deshalb auf die zurückgebrachten Pfandflaschen auch keine Steuern zahlen.
Die Regierung gegen die "einfache Bevölkerung" - ein populistisches Narrativ
Das Bild, das in sozialen Netzwerken häufig zum Thema Flaschensammeln gezeichnet wird: "Die Regierung gegen Pfandsammler", also gegen die, die ohnehin wenig haben. Der Politikwissenschaftler Philipp Adorf von der Universität Bonn sieht darin populistische Elemente. Denn solche Äußerungen spielten bestimmte gesellschaftliche Gruppen gegen den Staat aus, sagt Adorf.
"Hier wird versucht, eine gesellschaftliche Situation zu schaffen, in der auf der einen Seite die normale Bevölkerung steht, die hart arbeitet, die nur ein bisschen mehr von ihrem Geld behalten will. Oder die Rentnerinnen und Rentner, die lange gearbeitet haben und Steuern gezahlt haben. Und auf der anderen Seite ist eben der Staat, der einen nicht unterstützt und schützt, sondern der Staat, der immer weitere Hürden in den Weg stellt und der Gegner ist." - Philipp Adorf, Politikwissenschaftler
Um solche Erzählungen zu stützen, ist eine Strategie, einprägsame Begriffe zu erfinden - wie eben eine angebliche "Pfandflaschen-Steuer". Das Wort weckt konkrete Vorstellungen und Gefühle - auch wenn es die Steuer nicht gibt.
Mit der Zeit könnten solche Aussagen laut Adorf dazu führen, dass diese Personen teilweise Institutionen des Staates als illegitim ansehen, da diese ihrer Ansicht nach nicht mehr die Interessen des "wahren" Volkes, sondern die anderer Personen oder "globaler Eliten" verfolgen. In einer E-Mail an den #Faktenfuchs schreibt Adorf, das führe zu einer Art "Systemverdrossenheit", die anti-demokratischen oder auch anti-parlamentarischen Bewegungen zu mehr Unterstützung verhelfe.
Fazit
Entgegen der Behauptungen, die sich seit Wochen hartnäckig in sozialen Netzwerken halten, gibt es keine spezielle Pfandflaschen-Steuer in Deutschland. Übersteigen die Einkünfte aus dem Sammeln von Pfandflaschen geltende steuerliche Freibeträge, wird aber Einkommenssteuer fällig.
Diese Regelungen treffen nicht auf diejenigen zu, die ihre eigenen Pfandflaschen zurückbringen. Sie erwirtschaften keinen Gewinn und müssen deshalb auf die zurückgebrachten Pfandflaschen keine Steuern zahlen.
Der Politikwissenschaftler Philipp Adorf beobachtet bei der Diskussion um die angebliche Steuer auf Pfandflaschen populistische Elemente. Behauptungen, die den Staat als Gegner aufbauen, könnten zu "Systemverdrossenheit" führen.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!