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#Faktenfuchs: Behauptungen zum Bürgergeld im Check

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#Faktenfuchs: Behauptungen zum Bürgergeld im Check

#Faktenfuchs: Behauptungen zum Bürgergeld im Check

Zu viel oder zu wenig Geld, angeblicher Anreiz für Migration und die Frage, wer es bekommt: Derzeit wird heftig über das Bürgergeld diskutiert. Grund ist die Erhöhung ab Januar 2024. Der #Faktenfuchs checkt drei häufige Behauptungen.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Darum geht's:

  • Über die Erhöhung des Bürgergelds zum neuen Jahr 2024 gibt es eine Diskussion. Rund um das Bürgergeld tauchen immer wieder ähnliche Behauptungen auf.
  • Fakt ist: Eine Person, die arbeitet und alle staatlichen Transferleistungen in Anspruch nimmt, hat mehr Geld zur freien Verfügung als ein Bürgergeld-Empfänger.
  • Fakt ist: Von den Menschen, die in einem Bürgergeld-Haushalt leben, haben 62 Prozent einen Migrationshintergrund. Das umfasst auch Deutsche mit ausländischen Eltern.
  • Fakt ist: Die Behauptung, dass Sozialleistungen wie das Bürgergeld Migration anziehen, ist nicht belegt.

Von Januar 2024 an gibt es mehr Bürgergeld: Die Regelsätze steigen um zwölf Prozent. Eine alleinstehende Person erhält dann zum Beispiel 563 statt 502 Euro. Das Bürgergeld steht den Menschen zu, die arbeitssuchend sind oder die so wenig verdienen, dass sie davon nicht leben können. In der Regel bekommen Arbeitssuchende zuerst ein Jahr lang Arbeitslosengeld, bevor sie dann ins Bürgergeld wechseln.

"Unsere Verfassung gibt vor, dass das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum garantiert sein muss", schreibt das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales als Begründung auf seiner Webseite. Die Anhebung des Bürgergelds richte sich nach den Inflationsraten, die früher rückwirkend, aber jetzt vorausblickend berücksichtigt werden. Die Berechnungsgrundlagen sind gesetzlich festgelegt.

In der politischen Diskussion ist umstritten, ob das Bürgergeld steigen soll. Union und FDP sind dagegen. Sozialverbände kritisieren die Diskussion als "populistisch", es gehe beim Bürgergeld um Existenzen. Bürgergeld-Empfänger sagen, sie müssten sich jede kleine Ausgabe genau überlegen, sonst bleibe kein Geld für Essen übrig.

In der Diskussion werden häufig Argumente angeführt, die das Gegenüber beeinflussen oder Stimmung gegen manche Personengruppen machen sollen. Der #Faktenfuchs hat drei häufige Behauptungen rund um das Thema Bürgergeld überprüft.

  1. Bürgergeld sei höher als Arbeitseinkommen.
  2. Unter den Bürgergeld-Beziehern seien viele Ausländer.
  3. Das Bürgergeld würde Migration anziehen.

Bürgergeld und Arbeitseinkommen im Vergleich

Die Behauptung

Eine sehr häufig geteilte Behauptung zum Bürgergeld betrifft das Verhältnis zwischen dem Einkommen aus Bürgergeld und dem Einkommen aus Arbeit. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) äußerte sich bereits vor der letzten Anhebung des Bürgergelds in diesem Sinne.

Im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF sagte Söder im Oktober 2022, Menschen der unteren Einkommensgruppen würden "am Ende, wenn sie arbeiten, weniger haben, als wenn sie nicht arbeiten".

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Eine Person, die arbeitet, hat mehr Geld zur freien Verfügung als ein Bürgergeld-Empfänger.

Richtig oder falsch?

Ab wann sich arbeiten lohnt, wie viel Bürgergeld es geben sollte und ob die Abstände zwischen Bürgergeld-Empfängern und unteren Lohngruppen zu niedrig sind - das alles sind subjektive Bewertungen, die nicht in richtig oder falsch zu unterscheiden sind.

In diesem Text liefert der #Faktenfuchs deswegen Kontext, damit sich die Leserinnen und Leser ihr eigenes Bild machen können. Was auf alle Fälle stimmt: Jemand, der arbeitet und die ihm zustehenden Staatsleistungen in Anspruch nimmt, hat immer mehr Geld zur freien Verfügung als ein Bürgergeldempfänger, der nicht arbeitet.

Die Fakten

Beim Vergleich zwischen Bürgergeld-Empfängern und Berufstätigen wird oft übersehen, dass auch Menschen mit Arbeitseinkommen Anrecht auf Transferleistungen haben. Als Transferleistung bezeichnet man Leistungen des Staates an die Bürger, für die keine konkrete Gegenleistung, etwa in Form von Beitragszahlungen, anfällt. Zu diesen Leistungen gehören zum Beispiel Wohngeld, Kindergeld oder Kinderzuschlag bei Haushalten mit geringem Erwerbseinkommen.

Andreas Peichl, Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen sowie Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, schreibt dem #Faktenfuchs: "Es gibt keine Konstellation, wo jemand, der arbeitet (und alle Transfers in Anspruch nimmt, die ihm zustehen), weniger hat, als jemand, der nicht arbeitet."

Der einfachste Vergleich ist der zwischen zwei alleinstehenden Personen, eine bezieht Bürgergeld, eine arbeitet Vollzeit für Mindestlohn. Der Deutsche Gewerkschaftsbund berechnete für diesen Fall, dass der Vollzeit-Arbeitnehmer (38-Stunden-Woche) 1.515 Euro verfügbares Einkommen hat, der Bürgergeld-Empfänger 990 Euro. Auf fast exakt dieselben Werte kommt das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (im Auftrag des ARD-Magazins Monitor). Das Institut für Weltwirtschaft Kiel kam auf 364 Euro mehr beim Einkommen des Arbeitnehmers.

Abstand hängt von der genauen Haushaltskonstellation ab

Die unterschiedlichen Werte liegen unter anderem an den angesetzten Mietpreisen. In der Beispielrechnung des DGB ist die Warmmiete für Bürgergeld-Empfänger mit 427 Euro veranschlagt. In Gebieten mit höheren Mieten, wie zum Beispiel München, hat eine Vollzeit-Arbeitnehmerin mit Mindestlohn aber trotzdem mehr Geld zur Verfügung als ein Bürgergeldempfänger.

Denn hier hat sie Anspruch auf mehr Transferleistungen, zum Beispiel Wohngeld oder eine Sozialwohnung. Zu beachten ist auch, dass die Mieten und Wohnungsgrößen für Bürgergeld-Empfänger regional unterschiedliche Obergrenzen haben: In München hat ein Single Anspruch auf höchstens 50 Quadratmeter und höchstens 781 Euro Bruttokaltmiete.

Wie groß der Abstand zwischen Bürgergeld und Arbeitseinkommen ausfällt, hängt aber immer von der jeweiligen Haushaltskonstellation ab: Wie viele Personen im Haushalt haben eine Arbeit, wie viele Kinder leben im Haushalt? "Eine Familie mit zwei Kindern (8 und 12 Jahre), in der ein Elternteil Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, verdient 666 Euro mehr als eine Familie im Bürgergeldbezug", schreibt zum Beispiel der DGB zu seiner Berechnung. Eine alleinerziehende Person mit Vollzeitarbeit und einem Kind ab 14 Jahren habe 635 Euro mehr Haushaltseinkommen, schreibt das WSI.

Bürgergeld-Empfänger: Wer zusätzlich arbeitet, hat immer mehr

Es gibt auch Personen, die mit ihrer Arbeit so wenig Geld verdienen, dass sie zusätzlich Bürgergeld in Anspruch nehmen. Aber diese Personen haben ebenfalls immer mehr Geld zur Verfügung als ein Bürgergeld-Empfänger, der nicht arbeitet. Dafür sorgen die sogenannten Erwerbstätigenfreibeträge, erklärt Andreas Peichl in einer Mail an den #Faktenfuchs.

Diese funktionieren so: Wer mit Arbeit Geld verdient, dessen Bürgergeld wird entsprechend reduziert. Allerdings nicht eins zu eins, erklärt Peichl. Die Personen dürfen von ihrem verdienten Geld mehr behalten, als sie durch die Bürgergeld-Kürzung verlieren. Dasselbe schreibt auch das Institut für Weltwirtschaft (IfW) Kiel in seinem Papier.

Wechsel für Aufstocker in Vollzeit zahlt sich manchmal nur wenig aus

Allerdings bemängeln manche Experten, dass sich für Bürgergeld-Empfänger der Wechsel von einem Minijob auf eine Vollzeitbeschäftigung im unteren Lohnbereich nicht ausreichend rentiere. Denn in dieser Konstellation, und durch das Zusammenspiel von Transferleistungen und Besteuerung, bleibe von einem Gehaltsanstieg manchmal nicht mehr viel Geld übrig. Das IfW schreibt, es existieren für Bürgergeld-Empfänger "starke Anreize zur Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung, nicht aber zur Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung".

Eine Studie des Ifo-Instituts und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) mit Andreas Peichl als federführendem Autor zeigt das Beispiel einer Alleinerziehenden mit zwei Kindern. Zuerst berichtete die "Süddeutsche Zeitung" darüber. Zuerst verdient sie 1.000 Euro brutto und erhält Bürgergeld und andere Sozialleistungen. Wenn sie ihre Arbeitszeit aber erhöht und 1.500 Euro brutto verdient, dann hätte sie am Ende nur 84 Euro zusätzlich verdient. Die Studienautoren fordern deswegen: Sozialleistungen dürfen nicht gestrichen werden, wenn Menschen mehr Arbeitseinkommen haben.

Die Bürgergeld-Bezieher mit Migrationshintergrund

Die Behauptung

Ebenso wie die Höhe des Bürgergelds stehen immer wieder die Empfänger im Fokus. So werden Behauptungen zur Staatsbürgerschaft und dem Migrationshintergrund der Bürgergeld-Berechtigten aufgestellt, die aber falsch sind und Kontext vermissen lassen. Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel sagte im November 2023 im Bundestag, dass 62 Prozent der Bürgergeld beziehenden Familien keinen deutschen Pass hätten.

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Von den Menschen, die in einem Bürgergeld-Haushalt leben, haben 62 Prozent einen Migrationshintergrund, auch Deutsche mit ausländischen Eltern.

Richtig oder falsch?

Alice Weidels Behauptung ist falsch. Korrekt ist: 62 Prozent der Personen in Bürgergeld-Haushalten haben einen Migrationshintergrund, darunter fallen aber auch deutsche Bürger. Experten weisen darauf hin, dass bei Geflüchteten die Integration in den Arbeitsmarkt länger dauert. Der Arbeitsmarkt-Forscher Herbert Brücker sagt, man müsse alle Leistungen des Sozialstaats miteinander vergleichen, nicht nur das Bürgergeld.

Die Fakten

Seit 2011 erhebt die Bundesagentur für Arbeit Daten zum Migrationshintergrund bei den Arbeitsmarktstatistiken. Die aktuellste Statistik hat den Stand von Juni 2023, die meisten folgenden Zahlen sind dieser entnommen.

Zu diesem Zeitpunkt gab es 3,93 Millionen sogenannte "Erwerbsfähig Leistungsberechtigte" in Deutschland. Das sind die erwerbsfähigen Personen, die in einem Haushalt leben, der Bürgergeld erhält. Diese Personen sind arbeitsfähig oder arbeiten, können ihren Lebensunterhalt für sich oder ihre Familie aber nicht aus eigenen Mitteln sichern. Deswegen erhalten sie Bürgergeld. Im Februar 2022 arbeiteten zum Beispiel knapp 23 Prozent aller Bürgergeld-Empfänger, die sogenannten "Aufstocker".

Unter den "62 Prozent" sind nicht nur Migranten

Von den 3,93 Millionen Bürgergeld-Beziehern hatten 2,46 Millionen einen Migrationshintergrund - das sind die 62 Prozent, die immer wieder erwähnt werden. Präziser ausgedrückt: 62 Prozent hatten einen Migrationshintergrund, könnten arbeiten und lebten in einem Haushalt, der in irgendeiner Form Leistungen bezog.

Diese 2,46 Millionen oder 62 Prozent umfassen keine Menschen, die nicht arbeitsfähig sind, aber die in Bürgergeld-Haushalten leben oder selbst Bürgergeld beziehen. Darunter fallen zum Beispiel Kinder, ältere Menschen oder gesundheitlich Geschädigte.

Asylbewerber erhalten kein Bürgergeld, sondern "erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz", schreibt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf seiner Webseite. Erst wenn sie als Asylberechtigte, Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder subsidiär Schutzberechtigte anerkannt sind, können Sie Bürgergeld beantragen.

In die Kategorie "Mit Migrationshintergrund", so wie es die Bundesagentur für ihre Statistiken definiert, fallen folgende Menschen: Personen, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, Personen mit einem Geburtsort außerhalb Deutschlands und Personen, bei denen ein oder beide Elternteile außerhalb Deutschlands geboren wurden und eingewandert sind. Aber auch Deutsche, die im Ausland gelebt haben und wieder zurückkommen, fallen in diese Kategorie. Oder demzufolge eine deutsche Bürgergeld-Bezieherin, deren Eltern eingewandert sind.

Insgesamt bezogen mit Stand Juni 2023 1,62 Millionen ausländische Menschen, die nach Deutschland eingewandert sind, Bürgergeld. Das entspricht 41 Prozent der gesamten Bezieher. Es gab 1,47 Millionen deutsche Bürgergeld-Berechtigte, ein Anteil von 37 Prozent.

Bürgergeld-Quote bei Migrationshintergrund höher

Was unstrittig ist: Die Quote an Bürgergeld-Empfängern ist höher bei den Personen mit Migrationshintergrund als ohne. Im letzten Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes von 2020 gaben 6,5 Prozent der Personen mit Migrationshintergrund an, dass sie Arbeitslosengeld II erhielten, der direkte Vorgänger des Bürgergelds. Bei den Personen ohne Migrationshintergrund waren es 1,5 Prozent.

Dass Migrantinnen und Migranten vergleichsweise öfter Bürgergeld beziehen als der Rest der Bevölkerung, liege an mangelnden Sprachkenntnissen, fehlenden Qualifikationen für den deutschen Arbeitsmarkt, keinen Netzwerken vor Ort oder Beschäftigungsverboten während des Asylverfahrens, sagt Herbert Brücker. Er leitet den Forschungsbereich "Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung" am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur und ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität zu Berlin. Bei Geflüchteten seien diese Probleme ausgeprägter als bei anderen Migranten.

Gerade im letzten Jahrzehnt seien viele Geflüchtete nach Deutschland eingewandert. Im vergangenen Jahr kamen zudem noch Menschen aus der Ukraine, die sofort Bürgergeld beziehen durften, im November 2023 waren das 703.000 Empfänger. "Und das hat natürlich voll in die Statistik rein geschlagen", so Brücker. Das seien allerdings vorübergehende statistische Sondereffekte.

Die Geflüchtetenzahlen insgesamt würden sich in den kommenden Jahren deutlich reduzieren, schätzt Brücker. Und: "Mit zunehmender Aufenthaltsdauer nähern sich die Erwerbstätigenquoten denjenigen von anderen Migrantengruppen und der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund an", sagt Brücker.

Das IAB schreibt zum Beispiel in einem Bericht, dass nach sechs Jahren mehr als die Hälfte der Geflüchteten erwerbstätig seien, nach sieben Jahren 62 Prozent. Das Bruttomediangehalt von ehemaligen Geflüchteten steigt in diesem Zeitraum auf 2037 Euro bei Vollzeit. Deswegen ist Brücker überzeugt: "Das Bild wird in fünf Jahren schon völlig anders aussehen."

Experte: Vergleich aller Sozialleistungen ist nötig

Wer ausschließlich die höhere Bürgergeld-Quote bei den Personen mit Migrationshintergrund kritisiere, lasse wichtigen Kontext außen vor, sagt Herbert Brücker: "Man greift sich hier ganz selektiv einen Leistungstyp heraus, bei dem die Migrationsbevölkerung besonders schlecht abschneidet und blendet die Leistungstypen aus, wo die deutsche Bevölkerung schlecht abschneidet."

Denn die Leistungen für Menschen im arbeitsfähigen Alter sind nur ein Teil einer Sozialstaats-Bilanz, also einer Rechnung, wie viel eine Person in solche Leistungen einzahlt oder erhält. Man müsse gleichzeitig die Summen für jüngere oder ältere Menschen mit bedenken, sagt Brücker. Diese anderen Sozialleistungen dürfe man nicht unter den Tisch fallen lassen.

Im bisher noch nicht beschlossenen Haushaltsplan für 2024 sind zum Beispiel Zuschüsse von 117 Milliarden Euro zur Rentenversicherung vorgesehen. Zum Vergleich: Für das Bürgergeld rechnet die Bundesregierung im nächsten Jahr mit circa 27 Milliarden Euro an Ausgaben. Auch die Ausgaben der Krankenkassen machten mit 289 Milliarden Euro im Jahr 2023 einen großen Teil der Sozialleistungen aus. Diese Gesundheitsausgaben sagt Brücker "fallen überwiegend im Alter an, in den letzten Lebensjahren".

Forscher: Migranten kommen später und ziehen wieder weg

Viele Migranten seien aber nur vorübergehend in Deutschland, sagt Brücker. Menschen zögen wieder aus Deutschland weg und bekämen dann weniger Leistungen des Sozialstaats für Ältere – wie zum Beispiel Pflegeversicherung, Krankenversicherung und Grundsicherung für ältere Menschen. Außerdem bezahlten jüngere Menschen sehr viel mehr in die Rentenversicherungen ein, als sie herausbekommen werden.

"Das heißt, wir haben eine gewaltige Umverteilungsmaschinerie - von den jungen Altersgruppen in die alten Gruppen ganz generell. Und damit aber auch von der arbeitenden Migrationsbevölkerung weg, die viel jünger ist als der deutsche Durchschnitt."

Zweitens habe "ein erheblicher Teil" der Personen mit Migrationshintergrund ihre Jugend im Ausland verbraucht. Ergo "kosteten" sie den deutschen Staat in diesen Jahren nichts an Bildungs- oder Infrastrukturausgaben. "Und das verschiebt dann auf einmal die Bilanz enorm", sagt Brücker. Es gebe leider bisher nur wenige guten Studien zu den gesamten sozialstaatlichen Leistungen an Personen mit Migrationshintergrund, sagt Brücker. Oft werde zum Beispiel die Rückwanderung im Alter nicht berücksichtigt.

Zieht das Bürgergeld Migranten an?

Die Behauptung

Ein weiterer unbelegter Dauerbrenner in der Diskussion ist die Behauptung, dass Sozialleistungen wie das Bürgergeld "Pull-Faktoren" seien: Menschen würden sich deswegen dafür entscheiden, nach Deutschland einzuwandern oder zu fliehen.

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz sagte etwa im Oktober 2022 im Interview mit T-Online: "Mit der zukünftig 'Bürgergeld' genannten Sozialleistung lohnt es sich auch für Zuwanderer häufig nicht mehr, eine einfache Tätigkeit aufzunehmen. Und genau das zieht die Menschen aus vielen Ländern erst richtig an, es schafft einen sogenannten Pull-Faktor." Die gleiche Behauptung findet sich im Internet.

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Die Behauptung, dass Sozialleistungen wie das Bürgergeld Migration anziehen, ist nicht belegt.

Richtig oder falsch?

Dass Sozialleistungen wie das Bürgergeld Menschen nach Deutschland "ziehen" (englisch: to pull) ist nicht belegt. Experten weisen stets darauf hin, dass Sozialleistungen kein "Pull-Faktor" seien, sondern Migration oder Flucht vielfältige Ursachen haben. Andere Faktoren spielen laut Experten eine größere Rolle.

Die Fakten

Die Begriffe "Push-" und "Pull-Faktor" stammen aus der Migrationsforschung. Laut diesem Forschungsmodell gibt es "bestimmte Bedingungen im Sende- und Aufnahmeland, die Migration in Bewegung setzen". Mittlerweile werde dieses Modell in der Forschung aber als zu simpel kritisiert, schreibt der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags in einer Zusammenfassung. "Ich würde sagen, es ist eine sehr vage Idee, mehr nicht", sagte Frank Kalter, Direktor des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), im November 2022 dem Faktenfinder der Tagesschau.

Der Sozialwissenschaftler Tim Müller von der Humboldt-Universität zu Berlin sagt im Gespräch mit dem #Faktenfuchs ebenfalls: In der politischen Diskussion reduziere der Begriff "Pull-Faktor" die Realität viel zu stark. Migrationsentscheidungen seien vielschichtig und würden nicht nur von einem Faktor abhängen. Müller führt als Beispiel die Diskussion um Bargeld für Asylbewerber an: "Ich glaube nicht, dass die Leute wirklich eine Vorstellung haben, in welchem der Bundesländer in Deutschland es Bezahlkarten-Systeme gibt oder nicht. Und ob das in Dänemark oder in Österreich oder in Frankreich anders ist."

Experte: "Sozialleistungen ziehen keine Migration an"

Tim Müller leitet das Projekt "Migration und Sozialstaat", das vom Bundesarbeitsministerium gefördert wird. Dabei wurden Migrationsdaten von 160 Ländern ausgewertet. Dann wurden diese Zahlen verglichen mit dem Anteil der staatlichen Sozialausgaben am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt. Das Ergebnis laut Müller: "Sozialleistungen ziehen keine Migration an. Selbst wenn wir so einen Effekt finden, ist er einfach realistischerweise so gering, dass er nicht viel ins Gewicht fällt." Wanderungen zwischen Ländern mit hohen Sozialleistungen seien viel wahrscheinlicher als Wanderungen von einem sehr armen Land in ein wohlhabendes.

Nachgewiesene Faktoren, die Migration begünstigen, sind laut Tim Müller: Größe und Wirtschaftskraft der Länder. Stabile demokratische Verhältnisse in Ländern. Höhere Gesundheitsausgaben machten ein Land ebenso attraktiver, hier kann Müller aber nicht genau sagen, woran das liegen könnte. Eine gewisse Rolle spielen laut Studien auch "Netzwerk-Effekte", also wenn schon Familie, Freunde und Bekannte im Zielland sind. Als Beleg für diese Zusammenhänge nennt Müller die USA: Die Sozialleistungen im Land mit der weltweit höchsten Zuwanderung seien im Vergleich mit Europa "sehr gering".

Arbeitsmigration zahlenmäßig bedeutsamer als Flucht

Müller und sein Team konnten bei der Datenauswertung nicht zwischen Geflüchteten und anderen Migranten unterscheiden. Müller untersuchte aber Daten, die zwischen Personen mit hohem und niedrigem Einkommen unterschieden. Wenn hohe Sozialleistungen wirklich ein Pull-Faktor seien, dann müssten "logischerweise die Personen in der prekären Situation sich sagen: 'Jetzt gehe ich in ein besonders reiches Land oder in eines, wo die Sozialleistungen besonders gut sind'". Doch diesen Zusammenhang habe er nicht gefunden.

Zahlenmäßig betrachtet sei der Anteil der Arbeitsmigration sowieso "um ein Vielfaches stärker" als der der Flucht-Migration, so Müller. Dasselbe sagte auch Tobias Heidland, Leiter des Forschungszentrums Internationale Entwicklung am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), im Oktober 2022 dem Faktenfinder der Tagesschau: "Im Normalfall sind 90 Prozent oder mehr der Migration vor allem Arbeits- und Bildungsmigration, das meiste davon innerhalb der EU."

Dänische Studie hat Einschränkungen

In der Diskussion wird von Befürwortern der Ansicht "Sozialleistungen = Pull-Faktor" regelmäßig eine dänische Studie zitiert. In dieser Studie wurde der Zeitraum von 1980 bis 2017 betrachtet. Das Forscher-Team fand heraus: Wenn in Dänemark Leistungen für Immigranten aus Nicht-EU-Ländern gekürzt wurden, dann sank die Netto-Zuwanderung. Die Forscher beziffern das Ausmaß auf 3,7 Prozent der registrierten Immigranten.

Tim Müller von der Humboldt-Universität sagte, dass die Studie aber gewisse Schwächen habe: So seien Menschen aus Bosnien-Herzegowina nicht berücksichtigt worden, diese hätten nach dem Jugoslawienkrieg einen hohen Anteil an den Immigranten ausgemacht. Sowohl Müller als auch Thomas Liebig, Migrationsexperte der Industriestaatenorganisation OECD, verweisen auf weitere Regeländerungen in Dänemark, die die Schlussfolgerung der Studie abschwächen. So seien in Dänemark 2015 das Aufenthaltsrecht und die Regeln für Familiennachzug verschärft worden. "Was der reine Effekt der Kürzung der Sozialhilfe ist, lässt sich damit nicht sauber feststellen", sagte Liebig 2019 der Zeitung "Standard".

Schweiz: Studie zeigt keinen Nachzug zu Leistungen

Eine andere bekannte Studie zu diesem Thema betrifft die Schweiz. Die Forscher untersuchten, wie sich Immigranten innerhalb des Landes bewegten. In der Schweiz werden die Sozialleistungen nicht zentral, sondern von den einzelnen Kantonen und Gemeinden geregelt, sind also unterschiedlich hoch. Weil es keine großen Entfernungen zu bewältigen gebe, müsse man also beobachten können, ob die Menschen in Richtung der höchsten Leistungen ziehen, mutmaßten die Forscher. Nachdem sie die offiziellen Statistiken zu allen Sozialhilfe-Empfängern zwischen 2005 und 2015 ausgewertet hatten, stellten sie ein "Nicht-Vorhandensein von Wohlfahrts-Migration" fest.

"Die Leute ziehen schon relativ viel um. Sie ziehen aber nicht dahin um, wo die Sozialleistungen höher sind", sagt Müller zu dieser Studie. Die Menschen würden dorthin wollen, wo sie die größten Netzwerke hätten.

Fazit

Eine Person, die arbeitet und alle staatlichen Transferleistungen in Anspruch nimmt, hat mehr Geld zur freien Verfügung als ein Bürgergeld-Empfänger. Von den Menschen, die selbst Bürgergeld beziehen oder in einem Haushalt leben, der Bürgergeld bezieht, haben 62 Prozent einen Migrationshintergrund. Darunter sind zum Beispiel auch Deutsche mit ausländischen Eltern oder zugewanderte Deutsche.

Ein Arbeitsmarkt-Forscher sagt, man müsse in die Diskussion um das Bürgergeld auch andere Sozialleistungen mit einbeziehen: Migranten würden sich nach einigen Jahren in den Arbeitsmarkt integrieren, in der Regel aber zu Beginn und am Ende ihres Lebens weniger Leistungen erhalten als deutsche Bürger. Die Behauptung, dass Sozialleistungen wie das Bürgergeld Migration anziehen, ist nicht belegt. Experten sagen, dass die Entscheidung viel komplexer und andere Faktoren deutlich wichtiger seien.

Hinweis: Wir haben an einer Stelle im Text die Formulierung für die erste Behauptung geändert, um diese sprachlich präziser einzugrenzen. (15.12.2023, 06.45 Uhr).

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