Mario Draghi, ehemaliger ehemaliger Präsident der Europäischen Zentralbank, und Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, geben eine Pressekonferenz zu Draghis Bericht über Europas Wettbewerbsfähigkeit.
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Um wirtschaftlich mit Wettbewerbern Schritt halten zu können, fordert Mario Draghi von der EU Reformschritte in historischem Ausmaß.

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EU-Wirtschaft in Existenznot: Draghi fordert drastische Reformen

EU-Wirtschaft in Existenznot: Draghi fordert drastische Reformen

Die Wirtschaft in der EU wird von China und den USA immer mehr abgehängt. Um das zu ändern, braucht es laut Mario Draghi Reformen und Investitionen wie nie zuvor. Der Ex-EZB-Chef hat im Auftrag der Kommission entsprechende Vorschläge erarbeitet.

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Es geht um die wirtschaftliche Existenz der Europäischen Union: Ohne höhere Produktivität könne Europa nicht "führend bei neuen Technologien, Leuchtturm der Klimaverantwortung und unabhängiger Akteur auf der Weltbühne" sein. Auch das europäische Sozialmodell sei dann nicht mehr finanzierbar, beschreibt Mario Draghi die Situation. Die EU-Kommission hatte den ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank gebeten, einen Strategiebericht zur EU-Wettbewerbsfähigkeit zu verfassen. Seine drastischen Forderungen hat Draghi nun vorgestellt.

Draghi: Investitionen von 800 Milliarden Euro pro Jahr nötig

Um wirtschaftlich mit Wettbewerbern wie den USA und China Schritt halten zu können, fordert Mario Draghi von der EU Reformschritte in historischem Ausmaß. Er verlangt einen Dreiklang aus einer koordinierten Industriepolitik, schnelleren Entscheidungswegen und massiven Investitionen. In dem Bericht beziffert Draghi für die EU einen Bedarf von zusätzlichen Investitionen in Höhe von 750 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr. Dies entspricht bis zu fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU. Das sei weit mehr als die ein bis zwei Prozent, die im Marshallplan zum Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg vorgesehen waren.

Ein Teil der erforderlichen enormen Investitionen werde durch bestehende nationale oder EU-Finanzierungsquellen abgedeckt. Doch seien möglicherweise neue gemeinsame Quellen erforderlich, heißt es in dem Bericht, der als Beispiele Investitionen in die Verteidigung und das Energienetz nennt.

Bei dem Stichwort "gemeinsame Quellen" gehen bei Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) Alarmleuchten an. Lindner begrüßte es zwar grundsätzlich, dass Wachstumskräfte des privaten Sektors mobilisiert würden. Doch mit einer gemeinsamen Schuldenaufnahme durch die EU seien strukturelle Probleme nicht zu lösen. Die Verantwortung der EU-Mitglieder für die eigenen Staatsfinanzen dürfe nicht weiter verwischt werden: "Die Vergemeinschaftung von Risiken und Haftung schafft demokratische und fiskalische Probleme. Deutschland wird dem nicht zustimmen."

Draghi: EU ist komplex und träge

Die Entscheidungsprozesse der EU seien überdies komplex und träge. Es bestehe Reformbedarf: "Dazu wird es erforderlich sein, die Arbeit der EU auf die dringendsten Probleme zu konzentrieren, eine effiziente politische Koordinierung hinter gemeinsamen Zielen sicherzustellen und bestehende Governance-Verfahren auf eine neue Art und Weise zu nutzen, die es den Mitgliedsstaaten, die schneller vorankommen möchten, ermöglicht, dies zu tun", heißt es in dem Bericht.

Darin schlägt der 77-jährige Italiener vor, die sogenannte qualifizierte Mehrheitsentscheidung – bei der es nicht notwendig ist, dass eine absolute Mehrheit der Mitgliedstaaten dafür stimmt – auf mehr Bereiche auszuweiten und als letztes Mittel gleichgesinnten Ländern zu gestatten, bei manchen Projekten eigene Wege zu gehen.

Forderung: Energiepreise senken, Abhängigkeit von China verringern

Laut Draghi hat die EU nach dem Verlust des Zugangs zu billigem russischem Gas mit höheren Energiepreisen zu kämpfen und kann sich nicht länger auf offene ausländische Märkte verlassen. Der frühere italienische Regierungschef erklärte, die EU müsse Innovationen ankurbeln, die Energiepreise senken und gleichzeitig die grüne Transformation vorantreiben. Zudem gelte es, die Abhängigkeit von anderen Ländern, insbesondere von China bei wichtigen Mineralien, zu verringern und die Investitionen in die Verteidigung zu erhöhen.

DIHK: Draghi-Vorschläge geben wichtige Impulse

"Die Vorschläge von Mario Draghi geben wichtige Impulse, um die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu stärken", erklärte DIHK-Präsident Peter Adrian. Der Wirtschaft sei besonders dann geholfen, wenn hohe Energiepreise, überbordende Bürokratie und eine schleppende digitale Transformation als Hindernisse der Wettbewerbsfähigkeit konsequent abgebaut würden.

Bei Initiativen zur Verringerung strategischer Abhängigkeiten müsse die EU allerdings darauf achten, dass sie nicht über das Ziel hinausschieße – wie zum Beispiel durch Vorgaben für eine Mindestproduktion in der EU: "Unternehmen passen ihre Lieferketten ohnehin fortlaufend an, um Risiken zu managen und ihre Resilienz zu stärken. Sie müssen aber gerade dazu die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung auch jenseits der EU-Grenzen nutzen können", forderte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK).

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte Draghi als ökonomischen Vordenker mit der Aufgabe betraut, das Wettbewerbsprofil der Länder-Gemeinschaft auf dem Weg zur grünen Transformation zu schärfen. Die EU müsse auf dem Weg in die Zukunft klären, wie sie die Inflation drücken, den Fachkräftemangel bekämpfen und das Wirtschaftswachstum ankurbeln könne, forderte sie im September vorigen Jahres.

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