Schulleiter Michael Böck steht zusammen mit Elternbeirätin Anja Waninger in der Schul-Toilette. Es stinkt nach Urin, Waninger schaut angeekelt in die Kamera.
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Schulleiter Michael Böck und Elternbeirätin Anja Waninger in der Schul-Toilette

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Marode Schulen: Wenn Schüler den Uringestank nicht mehr ertragen

Marode Schulen: Wenn Schüler den Uringestank nicht mehr ertragen

Brüchige Treppen, Uringestank, kaputte Fenster: Für etliche Kinder in Bayern beginnt die Schule in maroden Gebäuden. In Augsburg haben deshalb sogar Eltern zum Werkzeug gegriffen. Über Helfer, eine Stadt ohne Geld und einen Freistaat ohne Überblick.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

Stellen Sie sich den Geruch einer Autobahn-Toilette vor. So ähnlich riecht es in der Ulrichschule, wohlgemerkt im Treppenhaus vor der Toilette. Betritt man die Toilette, wird der Gestank noch beißender. Dabei wurde sie gerade geputzt. "Manche Kinder lassen sich von den Eltern abholen, weil sie in der Schule nicht mehr auf die Toilette gehen wollen", sagt Elternbeirätin Anja Waninger. Schuld am Gestank sei die alte Bausubstanz.

Einsturzgefährdete Treppe im Nebengebäude

Die Elternbeirätin könnte die Mängelliste fast beliebig fortsetzen: Eine einsturzgefährdete Treppe im Nebengebäude, nur gesichert durch einen provisorischen Balken. Oder ein Fenster, das herauszufallen droht. Löcher im Putz. Doch die Stadt hat kein Geld für die Sanierung der Förderschule.

Für Schulleiter, Lehrer und Lehrerinnen sowie Elternbeirat eine unzumutbare Situation. Sie organisieren ein Spendenfest, finden in der "Schwabenhilfe Augsburg" ehrenamtliche Helfer. Und legen in den Ferien los: In Eigenregie gehen sie die Sanierung ihrer Schule an. An Wochenenden und in Nachtschichten wird gearbeitet. Um Geld zu sparen, werden alte Kloschüsseln gebürstet und poliert und so wieder für den Einbau ertüchtigt. Ohne staatliche Unterstützung kommt es auf jeden Euro an.

"Das ist krass, wenn Eltern hier Kloschüsseln schleppen"

Simone Fleischmann traut ihren Augen nicht, als sie die Bilder sieht: "Das ist krass, wenn Eltern hier Schutt und Kloschüsseln durch die Gegend schleppen", sagt die Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands BLLV. Eine schöne Umgebung sei wichtig für den Lernerfolg der Kinder. Schulsanierungen dürften daher nicht vom Geldbeutel der Eltern oder wohlwollenden Großspender abhängen. Das benachteilige die Kinder in finanziell schwachen Gegenden, die es ohnehin schon schwerer hätten, so Fleischmann: "Das ist Aufgabe des Freistaates. Punkt."

Im bayerischen Kultusministerium zeigt man erstmal nach Augsburg. Man fördere zwar Schulsanierungen "im Rahmen der verfügbaren Finanzmittel". Zuständig seien aber die Kommunen. Doch in Augsburg verweist man auf leere Kassen: "Wir müssen jeden Euro fünfmal umdrehen", klagt Bildungsreferentin Martina Wild. Und immerhin habe die Stadt in den vergangenen Jahren 550 Millionen Euro in Schulen investiert.

Freistaat hat keinen Überblick über Sanierungsbedarf

Doch es reicht eben nicht. Nicht mal für drängendste Sanierungsmaßnahmen wie in der Ulrichschule. "Wir müssen aufhören mit dem Schwarzer-Peter-Spiel, das hilft uns nicht weiter", sagt BLLV-Präsidentin Fleischmann. Die Kommunen müssten mit dem Freistaat eine Lösung finden, und der Freistaat mit dem Bund. "Wir haben seit Jahren einen massiven Investitionsstau."

Doch wie viel Geld bräuchten die rund 4.800 öffentlichen Schulen in Bayern? Im Kultusministerium ist man offenbar ahnungslos: "Dem Staatsministerium liegen keine statistischen Erkenntnisse über den jeweiligen Zustand der Schulgebäude, den Finanzbedarf für Schulsanierungen sowie die Planungen für zukünftige Sanierungsmaßnahmen vor", schreibt ein Sprecher. Und auch im bayerischen Bau- und Finanzministerium: Unwissenheit.

"Freistaat zieht sich aus der Verantwortung"

"Das ist unglaublich, das ist Wegschauen, sich aus der Verantwortung ziehen", sagt die SPD-Landtagsabgeordnete Simone Strohmayr. Der Sanierungsbedarf der Schulen liege allein in Augsburg bei zwei Milliarden Euro. Das sei mehr als der gesamte Haushalt der Stadt. "Ohne den Freistaat wird es nicht gehen. Wir brauchen ein Sonder-Investitionsprogramm. Dafür müsste der Freistaat aber wissen, wie hoch der Bedarf eigentlich ist." Die Kreditanstalt für Wiederaufbau KfW hatte vor drei Jahren den Bedarf bundesweit mit 45 Milliarden Euro angegeben. Gesonderte Zahlen für Bayern gebe es nicht.

Helfer hätten sich zumindest einen Schutt-Container gewünscht

Für die Ulrichschule kommt die Debatte zu spät. Hier sind die günstigsten Arbeitskräfte zugange, die es gibt: Ehrenamtliche und Eltern. Auch Lehrerinnen und Lehrer helfen. "Man kennt das ja als Mama: vormittags Arbeit, man kocht und will dann eigentlich was Cooles mit den eigenen Kindern machen", sagt Elternbeirätin Waninger. "Aber dann muss ich den Kindern sagen: 'Nein, wir müssen wieder in die Schule'. Das ist anstrengend für die ganze Familie."

In Toiletten und Treppenhaus stinkt es dafür nun nicht mehr, die Stadt Augsburg hat sich bei allen Helfern bedankt. Über einen Container für Bauschutt hätte man sich jedoch auch gefreut, heißt es von den Freiwilligen. Doch auch den hätten sie selbst organisieren müssen.

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