Wer krank ist, könnte es die Tage schwer haben, einen Arzt zu finden: Viele Praxen machen ohnehin Urlaub - außerdem hat eine Reihe von Ärzteverbänden für die Tage nach Weihnachten ihre Mitglieder aufgerufen, aus Protest gegen die Politik der Bundesregierung die Praxen zu schließen.
Zu den Forderungen gehört, für alle Fachgruppen Schluss mit "Budgets" mit Höchstsummen bei den Honoraren zu machen. Außerdem solle eine aufgehobene Regelung mit Extra-Honorierungen für neue Patienten in Praxen wieder eingeführt werden. Beklagt werden auch Überlastung und zu viel Bürokratie, zum Beispiel für Abrechnungen und Abklärungen mit den Krankenkassen.
Dr. Klaus-Stefan Holler, HNO-Arzt in Neutraubling bei Regensburg und u.a. Vorstandsmitglied im Bayerischen Fachärzteverband, verteidigte im BR-Interview den Ärzteprotest zum jetzigen Zeitpunkt. Man habe seit Jahren auf Missstände aufmerksam gemacht und nichts habe sich getan. Vor allem die Facharztpraxen seien wirtschaftlich in Not.
"Budgetierung größtes Problem der Fachärzte"
Im Gegensatz zu den Hausärzten gelte für sie die Budgetierung, so Holler. Diese führe dazu, dass die Facharztpraxen zum Ende des Quartals praktisch für umsonst arbeiteten und deshalb letztlich nicht mehr finanzierbar seien. Auch könne man dadurch die Arzthelferinnen nicht mehr angemessen bezahlen, die wiederum in die Kliniken abwandern, wo über Tarif gezahlt werde. Wegen Personalmangels und wegen steigendem Patientenaufkommen würden die Arztpraxen an der Belastungsgrenze arbeiten.
Der Ärzteverband Virchowbund ist federführend bei der Aktion und überzeugt, dass sein Aufruf große Beteiligung findet. Genauer beziffern, wie viele Praxen mitmachen, kann er allerdings nicht. Von "tausenden Praxen" bundesweit spricht der Virchowbund, der in Deutschland rund 12.000 Mitglieder hat, vor allem Fachärzte.
Kassenärzte ohne Streikrecht
Ein Streikrecht für niedergelassene Ärzte im eigentlichen Sinn gibt es aber in Deutschland nicht. Schon seit rund 90 Jahren haben Kassenärzte die Pflicht, entweder ihre Praxis zu öffnen oder eine Vertretung zu organisieren. Es gelten die gleichen Regeln, wie wenn eine Praxis Urlaub macht. Denn Ärzte, die eine Kassenzulassung beantragen, nehmen am sogenannten Sicherstellungsauftrag teil.
Er sieht vor, dass Kassenärzte das Recht haben, alle gesetzlich Versicherten zu behandeln. Die gesetzlichen Krankenkassen dürfen ihre Versicherten daher nicht gezielt nur zu bestimmten Ärzten schicken. Im Gegenzug haben Praxisinhaber die Pflicht, alle Kassenpatienten zu behandeln, sofern es ihre jeweiligen Kapazitäten ermöglichen. Sicherzustellen, dass insgesamt alle Kassenpatienten versorgt werden, ist Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung.
Kein Aufruf vom Hausärzteverband
Der Bayerische Hausärzteverband betont, er rufe seine Mitglieder ausdrücklich nicht zu Praxis-Schließungen auf. Die Praxen aus politischen Gründen dichtzumachen, richte sich gegen die Patienten, sagte der Vorsitzende des Hausärzteverbandes Wolfgang Ritter dem Bayerischen Rundfunk. Der Hausärzteverband hat auf Bundesebene rund 30.000 Mitglieder, Bayern ist mit rund 6.000 Mitgliedern der größte Landesverband.
Auch die Hausärzte hätten zwar viele Kritikpunkte an der Politik von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), betont der bayerische Hausärztechef Ritter. Doch sein Verband halte es für sinnvoller, auf anderen Wegen Einfluss zu nehmen. Es sei auch nicht zielführend, pauschal mehr finanzielle Mittel zu fordern, sagte Ritter: "Geld im System ist da, es ist unserer Ansicht nach aber komplett falsch verteilt." Es müssten grundlegend neue Konzepte entwickelt werden, wie Patientinnen und Patienten in Arztpraxen und Krankenhäusern bestmöglich versorgt werden, forderte der Hausärztechef.
Holler vom Bayerischen Fachärzteverband widerspricht dem Vorwurf, die Protestaktion der Ärzte gehe zulasten der Patienten. Es sei kein Ärzte-Streik, sondern ein Protest. Man habe für dringende Fälle Notdienste organisiert.
Lauterbach weist Forderungen nach mehr Geld zurück
Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angesichts der Proteste bessere Arbeitsbedingungen in Aussicht gestellt, weist Forderungen nach mehr Geld aber weiter ab. "Die Spielräume für Honorarzuwächse, die sehe ich nicht», sagte der SPD-Politiker im ZDF. "Einfach mehr Geld in ein System zu schütten wie in der Vergangenheit - was nicht wirklich gut funktioniert - diese Lösung haben wir einfach zu oft praktiziert."
Praxen bräuchten allerdings weniger Bürokratie, und Geld müsse gerechter verteilt werden. Der Minister hat für Januar einen Krisengipfel zu Verbesserungen vor allem bei Hausärztinnen und Hausärzten angekündigt. Für sie sollen - wie schon für Kinderärzte - die Honorar-Budgets aufgehoben werden, wie es aus Ministeriumskreisen hieß.
Wie viel Praxen einnehmen und ausgeben
Ihre Einnahmen erzielen Arztpraxen zu mehr als 70 Prozent aus der Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen. Nach jüngsten Angaben des Statistischen Bundesamts für 2021 lagen die durchschnittlichen Einnahmen bei 756.000 Euro. Dem standen Aufwendungen von 420.000 Euro gegenüber. Daraus ergab sich ein durchschnittlicher Reinertrag von 336.000 Euro je Praxis.
Der Reinertrag sei nicht mit dem Gewinn beziehungsweise dem Einkommen der Ärzte gleichzusetzen, erläuterten die Statistiker. Er stelle das Ergebnis des Geschäftsjahres der gesamten Praxis dar, berücksichtige aber zum Beispiel nicht Aufwendungen für Alters-, Invaliditäts-, Hinterbliebenen- und Krankenversicherung der Praxisinhaber. Kosten für Personal seien in den Aufwendungen enthalten. Nach Angaben des Virchowbunds sind auch Einkommenssteuer und Investitionen in medizinische Geräte daraus zu bezahlen. Im Durchschnitt bleibe am Ende weniger als ein Viertel des Gesamthonorarumsatzes übrig.
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