Die aktuell hohen Energiepreise sind für viele Menschen existenzgefährdend. Und auch viele Unternehmen wissen nicht, wie lange sie durchhalten können. Im schwäbischen Landkreis Günzburg kommt nun Hilfe von einer Seite, von der man das vielleicht nicht erwartet hätte.
Rund 500 Schweine wurden auf dem Gutshof bei Neuburg an der Kammel noch bis zum vergangenen Jahr gemästet. Jetzt sind es nur noch zwei. Landwirt Frieder Heidemann, der den Betrieb mit seinen Eltern führt, brauchte eine Perspektive. "Der Stall war zwar für das, was der Verbraucher jetzt fordert, schon ausgelegt damals. Aber er war einfach zu klein", sagt Heidemann. "Und dann hat sich natürlich die Frage gestellt was machen wir jetzt?"
Zeitgleich beschloss ihre Gemeinde, das Gewerbegebiet zu erweitern. Ansässige Firmen wollten sich vergrößern, neue Unternehmen sollten angelockt werden. Elf Hektar Fläche wurden benötigt, darum war das Projekt durchaus umstritten, wie Neuburgs Bürgermeister Markus Dopfer bestätigt. Man habe demnach auch etwas für die Natur und für die Umwelt tun wollen und so die Wärmeversorgung mittels regenerativen Energien sicherstellen wollen.
Die Lösung kommt aus dem Wald
Als zweites Standbein betreibt die Familie Heidemann ein Forstunternehmen. Sie bewirtschaftet 32 Hektar eigenen Wald und arbeitet für viele Waldbesitzer in der Region. Vater Wolfgang ist gelernter Forstwirt, dem ein starker Wald wichtig ist. Durch eine gezielte Auswahl und Entnahme von Bäumen stellt er eine stabile Entwicklung des Waldes sicher.
Die gefällten Bäume gehen ans Sägewerk. Dünne Teile oder beschädigte Stämme, aus denen keine Bretter gesägt werden können, werden zu Hackschnitzeln verarbeitet. Bislang hat sich der Aufwand mit dem Häcksler kaum gelohnt, da der Verkauf nie besonders gut lief. Doch seit August sind die Hackschnitzel wichtig für die neue Einkommensquelle der Heidemanns, denn sie sollen in einer Heizanlage Energie für ein ganzes Gewerbegebiet liefern.
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"Unter dem Strich zählt die Wirtschaftlichkeit"
Familie Heidemann ist jetzt ein Energieunternehmen. Für ihre Nahwärme-Anlage mussten die Heidemanns Leitungen verlegen, durch die 65 bis 80 Grad heißes Wasser zu den Firmengebäuden geleitet wird. Das abgekühlte Wasser fließt später wieder zurück zur Heizanlage. Diese befindet sich rund einen Kilometer vom Hof entfernt, alle sechs bis acht Wochen fährt Frieder Heidemann Hackschnitzel-Nachschub dorthin. Seit diesem August ist die Nahwärme im Gewerbegebiet in Betrieb.
Die Hackschnitzel werden vom Lager aus über Förderschnecken in drei Heizkessel transportiert und verbrannt. Die Anlage feuert nach Bedarf, die Abgase werden sehr effektiv gefiltert. Ein Warmwasserspeicher dient als Puffer. Geplant und konzipiert wurde die Anlage bereits Ende 2020, damals war Energie noch günstig. "Wir haben mit dem Gaspreis konkurrieren müssen und haben denen natürliche eine Alternative bieten müssen", erinnert sich Frieder Heinemann. "Nicht nur, wo grüne Energie oder Wärme herkommt, was eine Image-Sache ist für die Firmen – es zählt halt unterm Strich immer noch die Wirtschaftlichkeit."
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Unternehmen profitieren von Versorgungssicherheit
Der größte Abnehmer ist die Firma Kardex, ein Hersteller von Lagerlogistik-Elementen. Seit rund 30 Jahren produziert das Unternehmen in Neuburg, aktuell wird der Betrieb erweitert. Die Firma benötigt so viel Heizenergie wie rund 150 Einfamilienhäuser. Bis August war Kardex noch voll an das Gasnetz angeschlossen. Jetzt bezahlt das Unternehmen Dank der Wärme aus Hackschnitzeln, die hier ankommt, gegenüber dem vorhandenen Altvertrag 20 Prozent weniger pro Kilowattstunde - und nach aktuellem Marktpreis sogar 64 Prozent weniger pro Kilowattstunde als vorher.
Neben der Ersparnis beim Energiepreis betont Werkleiter Reinhardt Neddermeyer auch den Vorteil der lokalen und modernen Versorgung. "Wir wollen immer mehr unabhängig werden. Das fängt an mit Gas geht weiter mit Strom. Also wir versuchen gerade in mehreren Bereichen einfach eine gewisse Autarkie zu erreichen." Dafür sind auch Solaranlagen in Planung.
Beim Nachbar-Unternehmen, der Firma Müller, war gerade Richtfest. Sie stellt Fahrsilos her. Und auch sie nutzt den Nahwärme-Anschluss. "Ich habe mir die letzten Monate jetzt seit es aufgekommen ist mit den Gaspreisen einfach keine Gedanken darüber machen müssen. Über die Abhängigkeit, ob das Gas verfügbar ist, zu welchen Kosten nachher", sagt Geschäftsführer Karl Müller. "Ich weiß, die Leitung liegt da, sobald ich den Hahn aufmache, läuft meine Heizung"
Sicherheit für den kommenden Winter
In die Nahwärme-Anlage haben die Heidemanns viel Arbeit, Zeit und 1,4 Millionen Euro investiert. Jetzt starten sie in ihren ersten Winter-Betrieb. "Wir haben auf den Tag hingefiebert, wo es dann losgeht", sagt Frieder Heinemann. "Dass man sieht: Jetzt rührt sich was, jetzt läuft der Ofen. Wir freuen uns eigentlich auf den Winter." Das können wohl gerade nicht sehr viele Energieversorger sagen. Die Heidemanns haben mit ihrer dezentralen Wärmeversorgung ein Modell mit Zukunft geschaffen.
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