Staaten können nicht pleite gehen, glauben viele. Schließlich können Staaten darauf verweisen, dass sie auch in Zukunft noch Steuern erheben können, um damit Schulden zu bezahlen. Außerdem würden Kredite ohnehin nie richtig zurückgezahlt, vielmehr habe der Staat die Möglichkeit, alte Schulden mit Hilfe neuer Schulden abzulösen.
Staaten können durchaus pleite gehen, sagen dagegen Wirtschaftshistoriker. Allein im 20. Jahrhundert gab es mehr als 100 Staatsbankrotte, auch wenn sie nicht immer so hießen. Mal sprach man von Währungsreformen, mal von einem Währungsschnitt, mal von Umschuldungen. Auch Deutschland war in der Folge der beiden Weltkriege zweimal zahlungsunfähig.
Schon jetzt fast 2,5 Billionen Euro Schulden
Von einer Staatspleite ist Deutschland heute natürlich weit entfernt. Und doch stellt sich die Frage, wie viel Schulden die Politik machen kann, ohne dass es zu Verwerfungen kommt. Bis zu 200 Milliarden Euro sollen jetzt noch einmal dazu kommen, um den Gasmarkt zu stabilisieren und Verbraucher und Unternehmen bei den hohen Energiepreisen zu entlasten. Dabei lagen die deutschen Staatsschulden bereits zum Jahresende 2021 nach Angaben der Bundesbank bei fast 2,5 Billionen Euro.
… doch im Vergleich steht Deutschland gut da
Dabei steht Deutschland im internationalen Maßstab recht gut da. Das zeigt sich an zwei Kennzahlen: Zum einen liegt der Anteil der Staatsverschuldung an der jährlichen Wirtschaftsleistung bei knapp 70 Prozent, in den USA liegt der Anteil bei über 120 Prozent. Die Zahl ist ein wichtiger Indikator, um einzuschätzen, wie tragfähig Schulden sind.
Zum zweiten muss der Bund deutlich niedrigere Zinsen für seine Schulden zahlen als andere Länder. Zum Vergleich: Zehnjährigen Bundesanleihen kommen derzeit auf eine Rendite von rund 2,1 Prozent, während die Rendite zehnjähriger US-Anleihen bei knapp 3,8 Prozent liegt. Das bedeutet: Bundesfinanzminister Christian Lindner kann deutlich günstiger Kredite aufnehmen als seine US-Kollegin Janet Yellen.
- Zum Artikel: "Zinswende in den USA: Was heißt das für Verbraucher bei uns?"
Doch allein der Vergleich reicht nicht aus, um die Frage nach den Grenzen der Staatsverschuldung zu beantworten. Denn ein entscheidender Faktor für Kreditwürdigkeit ist Vertrauen. Und Vertrauen lässt sich an den Kapitalmärkten nur langsam verdienen, es ist aber schnell verspielt. Das erlebt gerade die neue britische Premierministerin Liz Truss. Ihre Pläne für Steuersenkungen auf Pump haben prompt für Verwerfungen an den Märkten gesorgt: Das Pfund fiel zeitweise auf ein Rekordtief, die Zinsen für Staatspapiere stiegen im Gegenzug deutlich.
Deutschland wiederum hat eine besondere Verantwortung innerhalb der Europäischen Union. Mit der vergleichsweise niedrigen Verschuldung sorgt der Bund auch für eine gewisse Stabilität innerhalb der Euro-Zone, von der selbst hochverschuldete Länder wie Italien profitieren. So orientieren sich auch die Zinsen für italienische Staatsanleihen an den Zinsen für Bundesanleihen.
Der Staat als Inflationsgewinner
Eine besondere Herausforderung geht von dem schwierigen Verhältnis von Inflation und Staatsverschuldung aus. Allgemein gilt ja: Inflation schadet Anlegern, während Kreditnehmer profitieren, denn ihre Schulden werden mit der Zeit weniger wert. Das gilt auch für den Staat, der aus diesem Grund oft als Inflationsgewinner bezeichnet wird - unabhängig davon, dass der Staat aufgrund der Preissteigerungen auch höhere Steuereinnahmen hat. Dass Inflation dem Staat zumindest vordergründig hilft, lässt sich beispielsweise an der Schuldenquote zeigen: Wenn das Bruttoinlandsprodukt wegen der höheren Preise steigt, sinkt der Anteil der Schulden.
Für "alte" Schulden ist Inflation aus Sicht des Staates daher eine gute Sache. Anders sieht das bei "neuen" Schulden aus: Wenn Anleger Inflation fürchten, fordern sie zum Ausgleich höhere Zinsen - oder weigern sich gleich ganz, Staaten neue Kredite zu geben. Insofern kann eine galoppierende Inflation schnell zum Staatsbankrott führen.
Schulden - wofür?
Unabhängig von den rein finanztechnischen Themen ist aber auch zu fragen, wofür der Staat Kredite aufnimmt. Das ist im Prinzip ähnlich wie bei privaten Haushalten: Kredite für Immobilien sind anders zu bewerten als Kredite für Urlaubsreisen. Wer für ein Haus Schulden aufnimmt, erhält dafür einen Gegenwert. Wer sich dagegen den Urlaub auf Pump leistet, zahlt auch dann noch, wenn die schönen Urlaubserinnerungen verblassen.
Es ist daher auch ein Unterschied, ob der Staat investiert oder ob er Konsum fördert. Zum einen aus Sicht der Märkte: Schulden für Investitionen sind tragfähiger, weil man sich beispielsweise von Infrastrukturmaßnahmen Erträge in der Zukunft erwartet. Anders sieht das bei Schulden aus, die für Sozialausgaben aufgenommen werden. Damit wird lediglich kurzfristig der private Konsum gestärkt.
Auch eine Frage der Gerechtigkeit
Hier deutet sich auch an, dass Schulden eine Frage der Gerechtigkeit sind. Von schuldenfinanzierten Investitionen haben auch die künftigen Generationen etwas, die die Schulden mit ihren Steuern finanzieren müssen. Konsum auf Pump bedeutet nichts anderes, als dass sich die heutige Generation einen Teil ihrer täglichen Ausgaben von den Kindern bezahlen lässt.
Europäische Perspektiven
BR24 wählt regelmäßig Inhalte von unseren europäischen öffentlich-rechtlichen Medienpartnern aus und präsentiert diese hier im Rahmen eines Pilotprojekts der Europäischen Rundfunkunion.
- Zum Artikel: "EBU-Projekt Europäische Perspektiven"
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!