Die Inflation in Deutschland liegt inzwischen deutlich unter den hohen Werten nach Ausbruch des Ukrainekriegs. Die Preise steigen mittlerweile moderat: Im Januar lag die Teuerungsrate bei 2,3 Prozent. Im Oktober 2022 waren es über 10 Prozent. Was die Verbraucher oft weniger beachten: Ihre Einkünfte sind ebenfalls deutlich gestiegen. Unterm Strich ist die Kaufkraft nicht gesunken.
Die Realität wird aber von den Menschen anders wahrgenommen. Die Mehrheit der Deutschen sind überzeugt, dass das Leben für sie viel teurer geworden ist. Eine Erklärung für die verschobene Wahrnehmung gibt die Verhaltensökonomie. Nach der von Nobelpreisträger Daniel Kahnemann beschriebenen Prospect Theory nehmen Menschen Verluste eher wahr als Gewinne. Sie würden also Preiserhöhungen eher bemerken als Preisminderungen. Auch das monatlich aufs Konto fließende Gehalt wird bei einer Steigerung weniger registriert als die Preise beim täglichen Einkauf.
Grafik: Inflationsrechner
Teuerung muss mit steigenden Einnahmen verglichen werden
Nominal also den reinen Zahlen nach ist das Leben natürlich teurer geworden ist. Von daher stimmt die Empfindung der Verbraucher. Doch auf der Gegenseite sind bei vielen auch die Löhne oder Renten gestiegen. Dadurch kann der Nachteil durch die höheren Preise häufig wieder ausgeglichen werden. Und genau das passiert in vielen Jahren auch.
Ein Indikator dafür ist beispielsweise die Entwicklung der realen Nettolöhne. Das sind die Löhne nach Abzug von Steuern und Sozialversicherung, die dann noch um die jeweilige Inflation korrigiert werden. Schaut man sich hier beispielsweise Zahlen an, die das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) ermittelt hat, sieht man, dass in den vergangenen 30 Jahren der Netto-Reallohn pro Arbeitsstunde von 19,12 Euro (1994) auf 24,79 Euro (2024) gestiegen ist. Gesunken sind die Werte zwar in den Jahren 2021 und 2022. Doch der Rückschlag wurde mittlerweile mehr als wettgemacht.
Trotz Inflation 280 Euro im Monat mehr zur Verfügung
Im vergangenen Jahr stieg der Netto-Reallohn von 23,03 Euro im Jahr 2023 auf die schon genannten 24,79 Euro. Ein deutlicher Sprung nach oben. Hochgerechnet auf 160 Arbeitsstunden im Monat entspricht das trotz der Inflation rund 280 Euro, die die Bürger im Schnitt mehr zum Ausgeben oder Sparen haben.
Die durchschnittlichen Lohnerhöhungen waren also größer als die vom Statistischen Bundesamt berechnete Inflation und die Veränderungen bei Steuern und Sozialabgaben. Allerdings muss gesehen werden: Die Lohnerhöhungen kommen oft später als die steigende Inflation. Es gibt also Zeiten, in denen die Kaufkraft tatsächlich niedriger ist.
Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Reallöhne (Brutto) als Index, um die prozentuale Veränderung besser darstellen zu können. Der Grundwert für diesen Index ist das Jahr 2022.
Grafik: Entwicklung der Reallöhne
Fazit: In den meisten der vergangenen 30 Jahre wurde mit jeder Stunde Arbeit mehr Kaufkraft erworben. Das Gefühl, dass die Teuerung das Geld immer weniger wert werden lässt, stimmt also nur bedingt.
Gefühlte Inflation deutlich höher als echte Inflation
Der Versicherungskonzern Allianz hat unlängst die von den Bürgern "gefühlte" Inflation untersucht. Die Schätzungen der befragten Personen lagen in etwa dreimal so hoch wie die echte Inflation. Man nimmt die Preissteigerungen von alltäglichen Produkten also viel bewusster wahr als von anderen Dingen, die man kauft.
Lebensmittel, deren Preissteigerungen in den vergangenen Jahren besonders hoch waren, verzerren das Gefühl für die Teuerung. Dass Notebooks, E-Bikes oder andere Artikel möglicherweise günstiger wurden, haben die meisten gar nicht auf dem Schirm, weil man sie so selten kauft.
Studenten haben real weniger zur Verfügung
Die Sendung Plusminus hat das Thema Kaufkraft im vergangenen Jahr mal sehr genau unter die Lupe genommen und dabei auch verschiedene Einkommens- und Bevölkerungsgruppen angeschaut und geprüft, ob die Reallohnzuwächse für alle gelten. Das Fazit: Egal ob alleinstehender Arbeitnehmer, Familien, Rentner oder auch Bürgergeldempfänger: Bei allen haben die Einnahmen mehr zugelegt als die Inflation.
Allerdings: Bei den vielen nicht tariflich bezahlten Arbeitnehmern kann sich ein anderes Bild ergeben. Und das ist die Mehrheit der Beschäftigten in Deutschland: Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts haben 2023 nur etwas weniger als die Hälfte der Arbeitnehmer in Deutschland in einem tarifgebundenen Betrieb gearbeitet.
Außerdem zählen Studenten zu den Verlierern. Nimmt man den Bafög-Höchstsatz als die zentrale Einnahmequelle, dann hat dessen Steigerung die Inflation nicht ganz ausgeglichen. Für alle anderen gilt: Die Teuerung wurde durch höhere Löhne, Renten oder Bürgergeldsätze ausgeglichen.
Grafik: Inflationsrechner
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