Eine Baustelle des Firmenverbundes "Nürnberger Baugruppe": Im Stadtteil Nürnberg-Reichelsdorf wird nachverdichtet. Es entstehen weitere geförderte Mietwohnungen. Aus dem Bauleiter-Container dringen Frauenstimmen. "Wie sieht's mittlerweile aus mit den Treppenhäusern, mit dem Geländer und so? Ist da jetzt was geliefert?" Eine andere Frau antwortet: "Ja, diese Seite ist montiert und auch die Treppenzargen sind montiert."
Frauen in Bauberufen
Im Bauleiter-Container steht Zehra Duran vor einem Plan, der an die Wand gepinnt ist. Die 21-Jährige trägt Kopftuch unter dem Bauhelm, einen langen Rock und Sicherheitsschuhe. Sie lässt sich von der gleichaltrigen Anneke Stößel aus dem Bauleiter-Team die Fortschritte auf der Baustelle erklären. Zehra Duran hat bei der Nürnberger Baugruppe gerade die dreijährige Ausbildung zur Bauzeichnerin abgeschlossen. Jetzt möchte sie den Rohbau begutachten und sehen, ob alles nach Plan läuft. Anneke Stößel studiert Bauingenieurwesen und arbeitet als Werkstudentin zwei Tage pro Woche auf der Baustelle mit, verdient sich etwas dazu und bekommt Praxiserfahrung.
Die beiden Frauen machen sich auf den Weg in den Rohbau. Im Treppenhaus werfen sie nochmal einen Blick auf den Plan. Anneke Stößel vom Team Bauleitung zeigt auf das teilweise fertige Treppengeländer: "Also die Seite – wie du sehen kannst – ist komplett montiert. Hier stehen schon die nächsten Geländer zum Einbau bereit."
Ausbildung zur Bauzeichnerin
Zehra Duran klappt ihren Meterstab aus und misst die Höhe der Treppenstufen. Sechseinhalb Zentimeter. Passt. Die junge Frau findet es schön, nicht nur im Büro zu sitzen. Der Beruf der Bauzeichnerin gefällt ihr. Das Einstiegsgehalt liegt bei 2.800 Euro brutto im Monat. Man müsse ein bisschen räumliches Denken mitbringen, sagt sie, denn man müsse sich ja in den Plan hineinversetzen können, um zu wissen, in welchem Raum man gerade steht. Ein bisschen mathematisches Denken schade auch nicht, ergänzt sie lachend.
Auf Baustellen sind Frauen immer noch keine Selbstverständlichkeit. In vielen Köpfen ist der Bau ein klassischer Männerberuf. Doch mittlerweile wächst auch bei Frauen das Interesse, hier zu arbeiten. Bauzeichnerin Zehra Duran und Anneke Stößel vom Bauleiter-Team betonen, sie würden von ihren männlichen Kollegen respektvoll behandelt. Was zähle, sei das Fachwissen.
Mehr Lehrstellen als Bewerber
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) besteht – wie schon in den Vorjahren – ein ungleiches Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt. Weiterhin sind Bewerberinnen und Bewerber klar im Vorteil. Sie können unter vielen Ausbildungsplatz-Angeboten wählen. Am Ende des ersten Quartals 2024 meldet die Arbeitsbehörde 317.000 junge Menschen, die eine Ausbildung machen möchten. Gleichzeitig bieten Unternehmen 438.000 freie Lehrstellen an.
Noch ist der Ausbildungsmarkt stark in Bewegung. Die Bundesagentur hatte im März eine "Woche der Ausbildung" gestartet. Viele Aktionen sollten Schulabgänger vom Wert einer Ausbildung überzeugen. Auf regionalen Jobbörsen oder "speed datings" sollen Bewerber und Arbeitgeber zusammenfinden. Da bei der Berufsentscheidung die Eltern eine große Rolle spielen, veranstaltet die BA in verschiedenen Regionen digitale Elternabende. Dabei präsentieren Firmen sich und ihre Lehrstellen den beteiligten Familien. Die Vorstandsvorsitzende der BA, Andrea Nahles, möchte Schülerinnen und Schüler schon ab der 5. Klasse ansprechen, um deren Berufswahlkompetenzen zu stärken.
Nürnberger Baugruppe sucht 30 Lehrlinge
Sechzehn Ausbildungsberufe bietet die Nürnberger Baugruppe an: im Hoch- und Tiefbau, im technischen und kaufmännischen Bereich und in der IT. Anja Engelmayer leitet die Aus- und Weiterbildung. Sie sucht jedes Jahr 30 Lehrlinge. In den kaufmännisch-technischen und den IT-Berufen laufe es ganz gut, sagt sie. Schwierig zu besetzen seien dagegen die klassischen Bauberufe.
"Wir haben Schulkooperationen mit Mittelschulen, gehen in die achten, neunten Klassen. Machen mit handwerklich interessierten Schülern Fachunterricht. Dann bieten wir Praktika an, das ganze Jahr über. Das kann eine ganze Woche sein, auch mal zwei Tage – da sind wir ganz offen. Es gibt auch keinen Bewerbungsschluss mehr. Hauptsache der Schüler ist interessiert, im Freien und eben handwerklich zu arbeiten", sagt Ausbildungsleiterin Engelmayer.
Arbeiten im Freien schreckt viele ab
Genau das ist offenbar der Knackpunkt. Viele Schüler aus der Mittelschule würden genau das nicht wollen - im Freien arbeiten, sagt Ausbildungsleiterin Anja Engelmayer. Deshalb sei die Akquise mühsam. Sie würde gerne mehr junge Männer mit Fluchthintergrund einstellen, doch die Erfahrung zeige, dass es – trotz Deutschunterrichts und Nachhilfe – für sie auf der Berufsschule extrem schwierig sei. Zudem bringe der hohe Betreuungsaufwand das Unternehmen an die Kapazitätsgrenze. Gut laufe das sogenannte "Empfehlungsprogramm". Dabei werben die Auszubildenden im Freundes- und Bekanntenkreis dafür, auch in dem Firmenverbund eine Ausbildung zu machen.
Eigene Winterakademie für Azubis auf dem Bau
Wenn es zu kalt wird, um im Freien zu arbeiten, biete die "Nürnberger Baugruppe" ihren Auszubildenden aus den Bauberufen Workshops an, erzählt Ausbildungsleiterin Engelmayer. Genutzt werde dafür die neue Werkhalle. Dabei gehe es nicht nur darum, Fachwissen zu vertiefen, sondern auch die Persönlichkeit zu stärken. Bewährt hätten sich beispielsweise Workshops zur Gesundheit im Job oder zu Finanzen. Da gehe es um mögliche Anlagestrategien, sobald das erste Gehalt ausbezahlt wird. Es sei ein kunterbuntes Programm, das auch gemeinsame Freizeitaktivitäten vorsehe. Das stärke das Miteinander der Auszubildenden und werde gut angenommen.
Gute Karrierechancen für junge Fachkräfte
Philipp Münch ist im dritten Lehrjahr zum Anlagenmechaniker. Gemeinsam mit dem Werkstattleiter baut er Gasdruck-Regelmessanlagen für städtische Energieversorger im süddeutschen Raum. Ein wichtiger Beruf mit Zukunft, sagt Münch. Er helfe der Infrastruktur, sei handwerklich und abwechslungsreich. Dieses Jahr schließt der junge Mann seine Ausbildung ab. Er findet es gut, dass die "Nürnberger Baugruppe" die Karriere junger Fachkräfte unterstützt. Das spricht sich im Freundeskreis schnell herum und ist auch ein Grund, warum der Firmenverbund allein in Bayern schon mehr als 20 Frauen – wie Zehra Duran und Anneke Stößel – in der Baubranche beschäftigt.
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