Am vergangenen Wochenende gingen in ganz Deutschland Hunderttausende Menschen auf die Straße und protestierten gegen Rechtsextremismus. In Hamburg und München mussten die Demonstrationen aus Sicherheitsbedenken aufgelöst werden. Genau zu diesen Demonstrationen und der Anzahl der Teilnehmenden verbreiten sich nun irreführende Inhalte im Netz. Der #Faktenfuchs hat sich drei der Behauptungen genauer angesehen.
Behauptungen zu Bildern der Demonstration in Hamburg und München
Zum Beispiel teilten der AfD-Politiker Björn Höcke und der Islamkritiker Ali Utlu den Vorwurf, das ZDF habe gefälschte Bilder der Hamburger Proteste in ihrer Berichterstattung verwendet, um höhere Teilnehmerzahlen zu suggerieren. Auf dem Foto sähe es so aus, als stünden Demonstranten am Hamburger Jungfernstieg in der Alster, schreibt Höcke auf X. Utlu hat den Post mittlerweile gelöscht.
Bei dem vom ZDF verwendeten Bild handelte es sich um Material des Fotografen Jonas Walzberg, der im Auftrag der Nachrichtenagentur dpa unterwegs war, wie der #Faktenfuchs verifizieren konnte. Es kommt also aus verlässlicher Quelle und wurde unverändert in dem ZDF-Beitrag eingebaut. So ordnete es die dpa auch unter dem Post von Höcke ein.
Außerdem gibt es noch weiteres Fotomaterial von dieser Szene am Jungfernstieg. Ein Hamburger Fernsehsender veröffentlichte am 19. Januar ein YouTube-Video, auf dem die Szene aus einer ähnlichen Perspektive zu sehen ist.
Dass es auf dem Foto so aussieht, als wären die Demonstranten im Wasser, liegt an der Perspektive. Ein Foto, das vom X-Account des Hamburger Senats geteilt wurde und das die Szenerie von weiter oben zeigt, verdeutlicht das.
Auch veraltete Fotos im Umlauf
Es gibt aber auch Bilder, die eindeutig aus dem Zusammenhang gerissen wurden und mit den Protesten in Hamburg oder München nichts zu tun haben. Sie sind falsch.
Ein X-Account teilte beispielsweise ein Foto mit dem Hinweis "Beeindruckende Bilder aus München. So sieht Widerstand gegen die AfD aus."
Das Foto zeigt aber nicht München, sondern eine Massenkundgebung auf dem Moskauer Manegen-Platz in der Nähe des Kreml am 10. März 1991. Das Foto ist also aus dem Kontext gerissen.
Behauptungen zu falschen Demozahlen
In Verbindung mit den Bildern kommt immer wieder die Behauptung auf, die Veranstalter der Demonstrationen, Medienschaffende oder Unterstützer der Demos würden versuchen, diese größer erscheinen zu lassen als sie eigentlich waren.
Das mag auch damit zu tun haben, dass zu fast allen Demonstrationen der vergangenen Tage verschiedene Teilnehmerzahlen kursieren. So sprachen die Veranstalter der Demonstration in München vom Sonntag von mehr als 250.000 Demonstranten, die Polizei München hingegen von 100.000. Am Montagvormittag korrigierten die Veranstalter ihre Schätzung dann noch einmal nach oben: Mindestens 320.000 Menschen hätten sich in München auf den Weg gemacht.
Eine Differenz von mehr als 200.000 Menschen. Wie kommt es, dass die Zahlen so weit auseinander liegen? Der #Faktenfuchs hat das bereits im Jahr 2022 recherchiert, als ähnliche Diskussionen rund um die Corona-Demonstrationen aufkamen. Damals lautete der Vorwurf, die Zahlen seien von Polizei und Medien mit Absicht zu niedrig angesetzt worden, um die Bedeutung der Proteste herunterzuspielen. Das Ergebnis der Recherche: Teilnehmerzahlen von Demonstrationen zuverlässig zu ermitteln, ist komplex. Am verlässlichsten ist es, sie anhand einer Flächenkalkulation zu schätzen. Das heißt, man berechnet die Fläche, auf der demonstriert wurde, und multipliziert sie mit einer geschätzten Personenanzahl pro Quadratmeter - je nachdem, wie dicht gedrängt die Menge stand.
Eben das haben in München sowohl die Polizei als auch die Veranstalter versucht. Trotzdem bleiben beide am Montag bei ihren unterschiedlichen Angaben. Ein Sprecher der Polizei sagte dem BR am Mittag: Dank des eingesetzten Polizeihubschraubers habe die Einsatzleitung einen guten Überblick über die flächenmäßige Ausdehnung der Proteste gehabt. Die Schätzung sei dank dieses Überblicks und der wahrgenommenen Dichte der Platzbesetzung zustande gekommen. Dabei seien auch die Erfahrungen mit anderen Versammlungen eingeflossen, sagte der Sprecher der Polizei. Berücksichtigt wurden demnach auch die Menschenansammlungen außerhalb der vorgesehenen Versammlungsfläche zwischen Odeonsplatz und Siegestor, also die Teilnehmer, die sich auf der Leopoldstraße bis zur Münchner Freiheit und in verschiedenen Seitenstraßen befanden.
Doch auch die Veranstalter rücken nicht von ihren Zahlen ab. Luca Barakat, Sprecher von Fridays for Future (FFF) München, erklärt auf Nachfrage, auch FFF hätten ihre Schätzung anhand der Fläche berechnet, auf der sich Menschen aufhielten. Zunächst habe man das ausgehend von dem gemacht, was man vor Ort sehen konnte. Von vor Ort sei die Ausdehnung der Demo aber nicht komplett zu überblicken gewesen. Gegen 14.40 Uhr am Sonntag hätte man dann ein Drohnen-Video zugeschickt bekommen, das aus der Luft zeigt, wie weit sich die Demonstration erstreckte. Auf Grundlage des Videos (zum Beispiel hier zu sehen) habe man die Zahlen dann noch einmal nach oben korrigiert, sagt Sprecher Barakat. Denn darin sei zu sehen, dass die Teilnehmer auch in den Seitenstraßen standen. Das Video liegt dem Faktenfuchs vor. Es zeigt in der Tat, dass die Menschen noch hinter dem Siegestor in Richtung Münchner Freiheit bis etwa zur Höhe der Bushaltestelle Georgenstraße standen. Doch wie viele Menschen sich noch in den Seitenstraßen aufhielten, ist darin nicht klar zu erkennen.
Behauptung: Wurden Komparsen bezahlt, damit die Demos größer wirken?
Von München geht es wieder nach Hamburg: Denn zur Demonstration in Hamburg taucht noch eine Behauptung in sozialen Netzwerken immer wieder auf. Dass Komparsen bezahlt worden seien, um die Hamburger Demonstration größer erscheinen zu lassen. Sie findet sich etwa in den Kommentaren unter diesem ZDF-Video auf YouTube.
Konkret lautet der Vorwurf: Jemand habe über das Job-Portal JOBWRK nach bezahlten Komparsen für die Demo am 21. Januar gesucht. Die Anzeige mit dem Titel "Statist:innen (m/w/d) als 'Demoteilnehmer' für eine Videoaufnahme" gibt es tatsächlich - doch sie ist nicht aktuell und bezieht sich nicht auf die Demo am Wochenende.
Konkret heißt es in der Anzeige: "Für eine Filmsequenz suchen wir einige Statisten für ein kurzes Video. Aufgenommen wird eine kleine Demonstration. Die Statisten müssen nichts auswendig lernen und stehen auch nicht direkt vor der Kamera. Es geht mehr um das Wirken im Hintergrund, sodass die eigentliche Demo etwas voller wirkt."
Die volle Anzeige ist nur nach Registrierung sichtbar. Auch ohne Registrierung sieht man allerdings den Hinweis, den das Portal nun hinzugefügt hat: "Dieses Inserat wurde am 13.10.2022 veröffentlicht, mit Bewerbungsschluss am 18.10.2022 und steht in keinem Zusammenhang mit den Demonstrationen in Hamburg am 19.01.2024. JOBWRK ist keine Casting- oder Vermittlungsagentur. Für den Inhalt ist ausschließlich der Auftraggeber verantwortlich."
Auch diese Behauptung ist also falsch. Die Ausschreibung ist schon deutlich älter.
Fazit
Zu den Protesten gegen Rechtsextremismus am Wochenende kursieren verschiedene Behauptungen. Einerseits werden tatsächliche Bilder der Demonstrationen fälschlicherweise als manipuliert bezeichnet. Andererseits kursieren auch Fotos, die aus dem Kontext gerissen sind.
Die angegebenen Teilnehmerzahlen von Polizei und Veranstalter sorgen im Netz für Verwirrung, unterscheiden sich allerdings häufig bei Demonstrationen.
Der Vorwurf, es seien Statisten gecastet worden, um die Demonstrationen "aufzufüllen", ist falsch. Die Anzeige, die als vermeintlicher Beweis dienen soll, ist veraltet und stammt aus dem Jahr 2022.
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