Wer mit Halsschmerzen und Fieber aufwacht, dürfte wohl froh sein, dass er einfach beim Hausarzt anrufen und sich krankschreiben lassen kann, ohne durch die halbe Stadt fahren zu müssen. Doch nutzen viele Deutsche die Möglichkeit der telefonischen Krankmeldung aus, um blau zu machen?
Lindner fordert Ende der telefonischen Krankschreibung
Finanzminister Christian Lindner sieht zumindest "eine Korrelation zwischen dem Krankenstand in Deutschland und der Einführung der Maßnahme, die als guter Bürokratieabbau gedacht war". Er forderte jüngst das Ende der telefonischen Krankschreibung.
Wird die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per Telefon wirklich häufig missbraucht? Die Faktenlage ist nicht eindeutig.
Krankenstand in Bayern niedriger als bundesweit
Bundesweit lagen die krankheitsbedingten Fehlzeiten im Jahr 2023 bei 22,4 Tagen je Beschäftigtem. In Bayern lag der Wert darunter. Laut Betriebskrankenkassen Landesverband Bayern betrug die Anzahl der Krankmeldungen der erwerbstätigen BKK-Mitglieder im Freistaat 19,5 Tage. Sie ist damit leicht gesunken, von 20,5 Tagen im Jahr 2022. Damals waren, auch im Zuge der Corona-Pandemie, überdurchschnittlich viele Deutsche arbeitsunfähig.
Hauptursache für die nach wie vor häufigen Fehlzeiten seien ausgeprägte Grippe- und Erkältungswellen, so der Verband. Im Jahr 2021 lag der Ausfall demnach bei 16,2 Tagen.
Ärzteverband: Arbeitnehmer machen sich keinen "schlanken Fuß"
Nach Daten des Verbands der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist der durchschnittliche Krankenstand im ersten Halbjahr 2024 weiter gesunken. Dabei wurde die Möglichkeit, sich am Telefon krankschreiben zu lassen, im Dezember 2023 dauerhaft eingeführt, nachdem diese Regelung bereits während der Corona-Pandemie über längere Zeit gegolten hatte.
Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband betont, die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung sei medizinisch und versorgungspolitisch eine absolut richtige und sinnvolle Entscheidung gewesen. Unterstellungen, dass Menschen dies missbrauchen und sich "einen schlanken Fuß machen", könne man aus der täglichen Arbeit nicht bestätigen, sagte der Verbandsvorsitzende Markus Beier. Er könne die Aussagen von Finanzminister Lindner nicht nachvollziehen.
Kassen: Elektronische Erfassung hat registrierten Krankenstand erhöht
Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband verweist außerdem darauf, dass Anfang 2023 die elektronische Krankschreibung eingeführt wurde. Das heißt, die Krankenkassen werden von den Ärzten automatisch informiert, wenn ein Patient arbeitsunfähig ist.
Zuvor mussten die Patienten die "gelben Scheine" nicht nur ihrem Arbeitgeber, sondern auch den Krankenkassen per Postweg zuschicken. Letzteres hätten allerdings viele Patienten nicht getan, wenn sie weniger als sechs Wochen krankgeschrieben wurden. Allein deshalb habe es im vergangenen Jahr einen sprunghaften Anstieg der von den Krankenkassen registrierten Krankmeldungen gegeben, so ein Sprecher des Verbands.
DAK: Lange Krankheiten wie Depressionen schlagen mehr zu Buche
Die Auswirkung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) bestätigt auch die Krankenkasse DAK. "Die eAU sorgt dafür, dass Krankmeldungen automatisch von der Arztpraxis an uns übermittelt werden und sich die Dunkelziffer insbesondere bei den Kurzzeit-Fällen drastisch verkleinert", sagte DAK-Vorstandschef Andreas Storm. Nach seinen Angaben schlagen jedoch längerfristige Krankschreibungen etwa aufgrund schwerer Depressionen sehr viel mehr zu Buche.
Im Zuge ihrer Wachstumsinitiative für die Wirtschaft hat die Bundesregierung allerdings wegen des erhöhten Krankenstands eine Überprüfung der telefonischen Krankschreibung vereinbart. In diesem Zusammenhang dürfte auch Lindners Vorstoß zu verstehen sein. Für die Arbeitgeber in Deutschland ist der hohe Krankenstand durchaus ein Problem, da sie ja sechs Wochen lang den Lohn für einen erkrankten Angestellten fortzahlen müssen. 2023 beliefen sich laut einer Schätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) die Fortzahlungen 76,7 Milliarden Euro. Dies sei mehr als doppelt so viel wie noch 2010, berichtete das arbeitgebernahe Institut in Köln.
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