700.000 Euro, so viel sollte die Doppelhaushälfte von Familie Wolf in Münster kosten. Einen Großteil des Geldes haben die Wolfs bereits investiert. Doch die Baustelle ruht seit Monaten. Nichts geht voran. Der Bauträger, der das Geld der Familie eingeworben hatte, ist insolvent. Die Familie möchte sich nicht vor dem Mikrofon äußern. Wir nennen sie deshalb Familie Wolf. Für sie spricht ihr Anwalt: Andreas Renz aus Münster. Renz ist ein Fachmann, der die Wolfs bereits beim Abschluss des Bauträgervertrags Anfang letzten Jahres beraten hat. Die Rahmenbedingungen hätten damals verlässlich ausgesehen, erzählt der Jurist, doch dann sei die Hiobsbotschaft gekommen: Der Bauträger meldete Insolvenz an, die Doppelhaushälfte in Münster ist da erst zu drei Vierteln fertig. Ob weitergebaut wird, ist offen.
Bauträger-Pleite: Zahl der Betroffenen hoch
Glück im Unglück ist in den Augen des Anwalts, dass die junge Familie ihre Mietwohnung noch nicht gekündigt hat. Denn selbst wenn das Eigenheim fertiggestellt werden sollte, es wird aufgrund der Insolvenz ihres Bauträgers sicherlich viel länger dauern als ursprünglich geplant.
So etwas wie die Wolfs haben viele Menschen in Deutschland in den letzten Monaten erleben müssen, die Kunden eines Bauträgers sind. Schlagzeilen machen nur die großen Pleiten. Doch rein rechnerisch dürfte die Zahl der Betroffenen vier-, wenn nicht fünfstellig sein. Besonders komplex: Der Bau von Mehrfamilienhäusern. Nach einer Bauträgerpleite sprechen hier gleich mehrere Beteiligte mit.
Entwicklung auch in Bayern deutlich zu spüren
Von erhöhtem Beratungsbedarf und größerer Verunsicherung angesichts der Entwicklungen berichtet der Jurist Georg Hopfensperger. Er arbeitet als Rechtsberater für den Münchner Haus- und Grundbesitzerverein.
Die Lage am Immobilienmarkt hat sich zugespitzt, nachdem die Baukosten infolge der Corona-Krise und des Kriegs in der Ukraine durch hohe Material- und Energiepreise stark gestiegen sind. Parallel dazu haben die Notenbanken ihre Leitzinsen rasant angehoben.
Diese Entwicklung hat selbst so alte Hasen wie Rudolf Stürzer überrascht. Seit mehr als 35 Jahren beobachtet der Anwalt den Markt ganz genau. Stürzer ist der Vorsitzende des Münchner Haus- und Grundbesitzervereins. Seines Erachtens hat sich die Situation aber nicht wegen der aktuellen Zinsen so verschärft. Stürzer führt die Entwicklung darauf zurück, dass die Zinsen vor einigen Jahren stark sanken und wiederum eine "Preisexplosion“ auf dem Immobilienmarkt verursachten. Dann seien die Zinsen wiederum angestiegen, die Mischung sei "toxisch“.
Bauträger: Kleinteilige Branche
Wie der Markt, auf dem sich Bauträger bewegen, konkret aussieht, ist schwer zu sagen. Denn die Branche ist sehr kleinteilig. Mehrere Tausende Projektentwickler und Bauträger sind es sicherlich. Viele von ihnen wurden offensichtlich von der Entwicklung überrascht. Die schnell gestiegenen Baukosten auf der einen Seite mit der raschen Zinswende auf der anderen Seite zehren an den Rücklagen der Firmen.
Wie viele der Bauträger in Schieflage sind oder noch geraten, lässt sich nicht genau sagen, meint der Ökonom Michael Voigtländer vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Besser dürfte es nach seinen Worten kaum werden. Die Lage beschreibt er als angespannt: "Es fehlen nach wie vor Neubauverkäufe. Umso länger es dauert, bis sich das ändert, um so drückender sind Personal- und Zinskosten. Mit jedem Monat, in dem die Neubauverkäufe haken, wird es wahrscheinlicher, dass Projektentwickler in die Insolvenz gehen.“
Steuerliche Abschreibung: "Tropfen auf dem heißen Stein"
Die Politik hat nun versucht, mit dem sogenannten Wachstumschancengesetz auch die Lage am Immobilienmarkt zu entspannen. Für Wohngebäude wird eine degressive Abschreibung in Höhe von fünf Prozent eingeführt. Das heißt Neubauten können jährlich steuerlich um einen bestimmten Satz abgeschrieben werden, man kann also seine Investition in der Steuerabrechnung berücksichtigen.
Rudolf Stürzer, der Vorsitzende des Münchner Haus- und Grundbesitzervereins, begrüßt "jeden Versuch der Politik, das Ganze einigermaßen in den Griff zu bekommen“. Die Abschreibungsmöglichkeit sei aber nicht viel mehr als "ein Tropfen auf dem heißen Stein“.
Weitere Pleiten von Bauträgern zu erwarten
Beobachter rechnen deshalb mit weiteren Pleiten – ähnlich denen, die Deutschland bereits erleben musste. Eine der größeren war die Insolvenz der Nürnberger "PROJECT Immobilien“-Gruppe, im vergangenen Jahr. Die Firma hatte 118 Projekte laufen, mit mehr als 1.850 Wohnungen.
In Darmstadt bei zwei Apartmenthäusern mit zusammen 164 Wohnungen konnte ein neuer Generalunternehmer gefunden werden, der jetzt weiter baut, und zwar ohne Erhöhung des Kaufpreises für die Wohnungskäufer, wie der Insolvenzverwalter hervorhebt. Auch bei drei Projekten in Nürnberg geht es weiter. Andere Vorhaben, die sich noch in der Anfangsphase befinden, sollen verkauft werden. Und bei wieder anderen Projekten wird noch nach Lösungen gesucht. Auf Anfrage teilt der Insolvenzverwalter mit, dass Verfahren dieser Art viele Jahre lang dauern – "allein schon deshalb, weil die Gewährleistungsansprüche der Käufer fünf Jahre lang bestehen."
Was tun, wenn der bauträger pleite geht? Geduld, Nerven und Geld nötig
Betroffene Bauherren brauchen also viel Geduld, starke Nerven und ausreichend Geld. Geht es nach dem Münsteraner Baurechtsanwalt Andreas Renz, so bauen Insolvenzverwalter nur selten weiter. Oft sei das Risiko zu hoch. Kunden stünden dann – ähnlich wie Familie Wolf – vor einem halb- oder dreiviertel fertigen Bau, im Wissen "dass das restliche Geld nicht reicht, es immer etwas teurer wird, wenn man selbst Handwerker zusammensucht und manchmal auch noch einen Architekten als Bauleiter braucht.“
Zuverlässige Bauträger zu erkennen, sei aufgrund der Größe des Marktes und der vielen Firmen mitunter schwer, zumal man deren Finanzierungsstruktur nicht kenne, meint Ökonom Voigtländer vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Seit 2011 sei ein "Aufwuchs“ des Marktes, um etwa neunhundert Unternehmen zu verzeichnen gewesen. Einige von ihnen, die ambitioniert und mit viel Fremdkapital gestartet seien, bezeichnet Voigtländer als besonders gefährdet. Besser sehe es bei Firmen aus, die bereits lange auf dem Markt tätig seien und so in der Regel über mehr eigene Rücklagen verfügen, die helfen können, die Krise zu überstehen.
Können Versicherungen helfen?
Am besten ist es also, sich bereits vor der Unterschrift bei einem Projektentwickler oder Bauträger gut beraten zu lassen. Aktuell in der Diskussion ist auch, ob vielleicht eine Versicherung gegen eine Insolvenz des Bauträgers sinnvoll ist.
Viele Experten raten zunächst aber dazu, sehr genau zu überlegen, ob überhaupt in eine noch nicht fertig gestellte Immobilie investiert werden soll und ob es nicht ratsamer ist, eine Bestandswohnung oder einen fertigen Neubau zu erwerben.
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