Die Sommerferien haben angefangen. Viele Bayern werden dafür auch in diesem Jahr ins Flugzeug steigen, denn laut dem Deutschen Reiseverband nehmen 41 Prozent der Deutschen für längere Urlaubsreisen gerne das Flugzeug. Das ist zumindest teilweise widersprüchlich: Denn in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov sagten zugleich 73 Prozent, dass ihnen der Klimawandel Sorgen bereitet. Bei vielen dürfte die Flugreise also ein schlechtes Gewissen auslösen.
Ein viel gepriesener Weg, dem Dilemma zu entkommen, ist der sogenannte freiwillige CO2-Ausgleich – auch als "Carbon Offsetting" bekannt. Dabei spendet der Fluggast einen Betrag an Klimaschutzprojekte, mit denen die durch den Flug verursachten Emissionen ausgeglichen werden sollen. Doch funktioniert das auch in der Praxis? Wie viele Deutsche nutzen das Angebot? Welche Projekte sind sinnvoll? Und wie viel bringt das Offsetting wirklich für den Klimaschutz?
Wie funktioniert der freiwillige Ausgleich von Emissionen?
Nach wie vor ist das Flugzeug das mit Abstand umweltschädlichste Verkehrsmittel. Nach Angaben des Umweltbundesamts erzeugt ein Flugzeugpassagier im Durchschnitt fünf Mal so viele Treibhausgase wie ein Bahnreisender. Der Treibhauseffekt des CO2 wird im Flugzeug noch verstärkt, weil bei der Verbrennung von Kerosin zusätzliche Substanzen entstehen, die zur Erwärmung der Erdatmosphäre beitragen: Stickoxide, Aerosole, Wasserdampf. Diese Stoffe wirken sich in der Luft stärker aus als am Boden und vergrößern den "normalen" Treibhauseffekt des CO2. Die Treibhauswirkung des Fliegens ist deshalb dem Umweltbundesamt zufolge im Durchschnitt zwei- bis fünfmal höher als die alleinige Wirkung des ausgestoßenen CO2.
Viele klimabewusste Flugreisende entscheiden sich deshalb dafür, ihre Flugemissionen auszugleichen. Dabei kaufen Reisende Emissionszertifikate von Kompensationsanbietern. Die Anbieter fördern mit den Geldern Klimaschutzprojekte, mit denen an anderer Stelle CO2-Emissionen eingespart werden. Dahinter steht der Gedanke, dass es für den Klimawandel nicht entscheidend ist, an welcher Stelle einmal ausgestoßenes CO2 wieder eingespart wird – ob in Deutschland oder beispielsweise Nicaragua.
Doch wie läuft so ein freiwilliger Emissionshandel ab? Für die Kompensation wird zunächst die Höhe des CO2-Ausstoßes berechnet, den die Flugreise verursacht. Mit dem Geld finanzieren die Anbieter Klimaschutz-Projekte, zum Beispiel für mehr erneuerbare Energien, zur sauberen Müllentsorgung oder zur Aufforstung von Wäldern – viele davon in Schwellenländern. Manche Anbieter entwickeln diese Klimaschutzprojekte selbst, andere arbeiten mit Dritten zusammen, die die Projekte für sie durchführen.
Der Reisende erhält im Gegenzug für seine Spende ein Emissionszertifikat. Es bestätigt, dass genauso viel CO2 eingespart wurde wie er oder sie durch seine Reise verursacht hat. In Deutschland gibt es verschiedene Anbieter für diesen Handel. Einige von ihnen sind gemeinnützig, andere arbeiten gewinnorientiert. 2018 hat die Zeitschrift Finanztest, die zu Stiftung Warentest gehört, drei von ihnen mit "sehr gut" bewertet: Atmosfair, Klima-Kollekte und Primaklima.
Wie viele Deutsche nutzen die CO2-Komensation?
Das lässt sich nicht definitiv sagen. Atmosfair, einer der größten Anbieter von CO2-Kompensation, meldet im ersten Halbjahr 2019 einen Spendenzuwachs von 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zugleich wächst aber auch der Flugverkehr rasant: Im Jahr 2018 starteten oder landeten auf deutschen Flughäfen insgesamt 244,3 Millionen Passagiere. Das sind laut Deutschem Reiseverband 10,5 Millionen Fluggäste mehr als 2017 und entspricht einem Zuwachs von 4,1 Prozent. Insgesamt dürfte der Anteil der Deutschen, die ihre Flugreisen kompensieren, noch immer verschwindend gering sein. Atmosfair geht aufgrund von internen Erhebungen davon aus, dass es weniger als ein Prozent sind.
Das könnte sich allerdings bald ändern. Denn die 191 Mitgliedstaaten der internationalen staatlichen Luftfahrtorganisation ICAO haben sich darauf geeinigt, ab 2020 nur noch klimaneutral wachsen zu wollen. Alles zusätzlich hinzukommende CO2 soll dann kompensiert werden.
Was bringt das Off-Setting für den Klimawandel?
In einem Punkt sind sich die Wissenschaftler einig: CO2 zu vermeiden ist besser als es auszugleichen. "Carbon Offsetting ist nur eine Notlösung", sagt etwa Dr. Janus Schipper, Leiter des Süddeutschen Klimabüros am Karlsruher Institut für Technologie. Denn: Einmal entstandene CO2-Emissionen sind in der Luft. Besser wäre es, dass das Flugzeug gar nicht fliegt. Einige Kritiker befürchten sogar, dass die Ausgleichszertifikate das Flugaufkommen insgesamt erhöhen, indem sie den Reisenden eine Art Freifahrtschein ausstellen. Das Umweltbundesamt empfiehlt deshalb den Dreiklang: Vermeiden – reduzieren – ausgleichen.
Wenn sich die Emissionen nicht vermeiden lassen, kann es dennoch sinnvoll sein, sie auszugleichen. Wichtig ist hierbei, dass man sich für einen seriösen Anbieter entscheidet. Das Umweltbundesamt hat deshalb eine Checkliste erstellt, welche Faktoren bei der Bewertung der Klimaschutzprojekte besonders wichtig sind. Die ganze Liste kann man hier einsehen, anbei nur die wichtigsten:
1. Transparenz: Seriöse Anbieter informieren auf ihrer Webseite darüber, dass Offsetting allein keine Lösung für den Klimawandel ist. Transparenz sollte auch bei der Berechnung der Emissionen herrschen. Viele Anbieter bieten eigene Rechner an. Die errechnete CO2-Menge kann variieren, weil sich die Berechnungsmethoden unterscheiden. Das hängt vor allem damit zusammen, dass der Treibhauseffekt von Flugemissionen stärker ist als der von CO2 am Boden. Die Anbieter setzen hierfür unterschiedliche Faktoren an. Ein seriöser Anbieter sollte möglichst detaillierte Angaben zur Methode machen. Wer sich unsicher ist, kann die Berechnungen mit dem CO2-Rechner des Umweltbundesamtes gegenchecken.
2. Permanenz: Klimaschutzprojekte entwickeln sich oft unvorhersehbar: Sie können eingestellt werden oder misslingen. Damit der Ausgleich aufgeht, muss das CO2 jedoch dauerhaft der Atmosphäre entzogen werden. Besonders umstritten sind deshalb Aufforstungsprojekte. Wachsende Bäume speichern zwar CO2, im Fall von Waldbränden oder wenn der Baum später verrottet, setzen sie es aber auch wieder frei. Die Einsparung wäre dann verloren.
3. Zusätzlichkeit: Ein wichtiges Kriterium für die Glaubwürdigkeit eines Projektes ist, dass es ohne den Kompensations-Mechanismus nicht stattgefunden hätte – die Emissionen also ohne den Zertifikatehandel nicht eingespart worden wären. Ein Zertifikat kann deshalb nicht für eine ohnehin geplante Windkraftanlage vergeben werden und sollte sich nicht allein durch Erlöse aus dem Stromverkauf finanzieren können.
4. Berechnung und Monitoring von Emissionen: Auch muss geprüft werden, ob das Projekt versteckte CO2-Emissionen verursacht, die nicht in die Berechnung einfließen. So etwas passiert beispielsweise, weil nicht bedacht wurde, dass beim Bau eines Windrads auch CO2 freigesetzt wird. Außerdem wichtig: Dass die eingesparten Emissionen nicht nur von einer Stelle an eine andere verlagert werden – etwa, weil Bauern dann einfach andere Waldflächen roden.
5. Vermeidung der Doppelzählung: Um zu vermeiden, dass Zertifikate doppelt vergeben werden, muss der Handel überwacht werden. Seriöse Anbieter tragen die Zertifikate in ein Zentralregister ein und löschen sie nach dem Verkauf. Wer sichergehen will, dass sein Geld gut angelegt wird, kann sich einen Löschnachweis zeigen lassen.
Was bringen Gütesiegel?
Um die Qualität der Projekte zu kontrollieren, gibt es mittlerweile viele sogenannte "Standards" oder Gütesiegel. Neben dem offiziellen Standard für Emissionszertifikate (CDM) – dabei durchlaufen die Projekte einen sehr komplizierten Anerkennungsprozess des UN-Klimasekretariats – gilt der vom WWF mitentwickelte "Gold Standard" als besonders glaubwürdig. Eine Garantie, dass das Projekt auch hält, was es verspricht, sind auch sie aber nicht. "Es gibt keinen Standard, der wirklich perfekt ist", sagt Martin Cames, Leiter des Bereichs Energie & Klimaschutz beim Deutschen Öko-Institut, einem renommierten Forschungsinstitut. Manche Anbieter nutzen deshalb zwei Gütesiegel oder stellen noch eigene Anforderungen; einige entwickeln auch selbst Projekte mit.
Allerdings: Die klassischen Qualitätsstandards untersuchen vor allem, ob die Projekte die Einsparungen leisten, die sie versprechen. Dabei geraten andere Aspekte aus dem Blick: So erzeugen Wasserkraftwerke zwar klimafreundlichen Strom, schaden aber der Artenvielfalt. Und manche Waldschutzprogramme stehen in der Kritik, weil sie die Lebensgrundlage von Bauern zerstören. Wer also wirklich sichergehen will, dass sein Klimaschutz nicht auf Kosten anderer wichtiger Nachhaltigkeitsziele geht, sollte darauf achten, dass die Projekte auch mit sogenannten "Zusatzstandards" zertifiziert sind. Dazu gehören laut Umweltbundesamt vor allem "Social Carbon" und "Climate, Community, Biodiversity Standards".
Fazit
Freiwillige CO2-Ausgleichs-Zahlungen sollten immer nur eine Notlösung sein. Denn besser als CO2 an anderer Stelle wieder einzusparen, ist es, es gar nicht erst in die Atmosphäre zu blasen. Nur so wird langfristig ein Umdenken stattfinden. Zudem nutzt bisher nur ein verschwindend geringer Teil der Deutschen das Angebot. Wer sich dafür entscheidet, sollte bei der Auswahl der Anbieter achtgeben. Die Projekte sollten nach möglichst strengen Standards auf ihre Effektivität hin kontrolliert werden. Anbieter sollten deshalb mindestens ein Gütesiegel verlangen, besser sind zwei; noch besser ist es, wenn sie selbst die Projekte mitentwickeln und kontrollieren. Finanztest bewertet drei deutsche Kompensationsanbieter mit "sehr gut": Atmosfair, Klima-Kollekte und Primaklima.
"Darüber spricht Bayern": Der neue BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!