214.099 erfasste Gewalttaten gab es laut Bundeskriminalamt im Jahr 2023 und damit 8,6 Prozent mehr als noch 2022. Müssen wir wirklich mit Gewalt leben? Warum Menschen gewalttätig werden – die Rolle der Gene, Risikofaktoren, was bei der Erziehung von Kindern zu beachten ist, damit aus ihnen später möglichst keine Gewalttäter werden. Und: Ist eine Gesellschaft ohne Gewalt überhaupt realistisch?
Wie stark ist Gewaltbereitschaft genetisch bedingt?
Rund 40 Gene haben Wissenschaftler gefunden, die mit Gewalt in Zusammenhang gebracht werden. Sie sind für die Regulierung verschiedener Botenstoffe zuständig. Das MAO-A Gen etwa lässt uns, wenn es weniger aktiv ist, aggressiver werden, weil dann weniger Dopamin und Noradrenalin im Gehirn abgebaut werden. Eine hohe Konzentration dieser beiden Botenstoffe im Gehirn macht uns wütend. Auch das 5-HTT-Gen, das für den Transport von Serotonin zuständig ist, spielt eine Rolle. Wer zu wenig davon hat, reagiert aggressiver und impulsiver.
Nur: Ob jemand aufgrund seiner genetischen Disposition später gewalttätig wird oder nicht, lässt sich nicht vorhersagen. Entsprechende von Wissenschaftlern durchgeführte Versuche sind bisher gescheitert. Entscheidend für eine erhöhte Gewaltbereitschaft ist laut Forschenden die Aktivierung der Gene, die mit Gewalt in Zusammenhang gebracht werden und bestimmte Risikofaktoren. Dies alles hängt laut Wissenschaftlern oft mit Erfahrungen in der Kindheit zusammen.
Welche Rolle spielen Erfahrungen in der Kindheit?
Wer als Kind lernt, dass Gewalt eine Art ist, mit Problemen umzugehen, wird dies auch als Erwachsener tun, ist die Erfahrung von Wissenschaftlern. Erleben also Menschen in ihrer Kindheit körperliche, emotionale oder sexuelle Gewalt, kann das ihre Gewaltbereitschaft als Kind und später als Erwachsener erhöhen, weil eben Gene aktiviert werden, die Auswirkungen auf ihr Verhalten haben - etwa derart, dass sie jede Art von schlechtem Gefühl, wie etwa Stress, in Aggression umwandeln.
Was passiert im Gehirn, wenn ein Mensch gewalttätig wird?
Hypothalamus, Mandelkern und Hirnrinde sind diejenigen Hirnregionen, die bei Gewaltausbrüchen im Wesentlichen eine Rolle spielen. Wenn uns jemand plötzlich angreift, erfährt das zunächst die Hirnrinde. Sie analysiert das Geschehen und entscheidet, wie gefährlich die Situation ist. Ist sie bedrohlich, meldet sie das dem Mandelkern, auch Amygdala genannt. Dort wird entschieden, wie auf die Situation reagiert werden soll: mit Flucht oder mit einem Angriff.
Der Mandelkern gibt den Impuls dann weiter an den Hypothalamus. Und der gibt dem Gehirn schließlich den Befehl, anzugreifen, das heißt, aggressiv zu werden. Das vegetative Nervensystem wird sofort aktiviert, damit wir kämpfen können.
Bei kühl geplanten Gewalttaten werden hingegen bestimmte Nervenzellen im Gehirn aktiviert, die dafür sorgen, dass Dopamin ausgeschüttet wird. Der Botenstoff aktiviert das Belohnungszentrum. Ist das Belohnungszentrum einmal aktiviert, sagt es dem Gehirn: Möglichst noch einmal. Diese Gewalt kann daher süchtig machen.
Wie kann man Gewaltbereitschaft bei Menschen verhindern?
Wer seine Kinder vor körperlichem und emotionalem Missbrauch schützt, hat eine gute Chance, dass diese später weniger gewalttätig werden. Weitere Faktoren, die meist zu weniger Gewalt und Aggressivität führen: eine gute Wertevermittlung, soziale Kontakte und Bindungen. Sich selbst vor dem eigenen Gewaltpotenzial schützen kann man zum Beispiel, indem man sich in Konfliktsituationen nicht provozieren lässt und lieber erst mal innehält.
Wie realistisch ist eine gewaltfreie Gesellschaft?
Gefühle wie Angst, Frustration und mangelnde Wertschätzung gehören zum Menschsein, sind tief in uns verwurzelt, aber gleichzeitig häufig Auslöser von Gewalt. Weil das so ist, halten die meisten Wissenschaftler eine Gesellschaft ohne Gewalt für unrealistisch.
Ein Blick in die Geschichte zeigt auch: Gewalt hat es immer gegeben. Manche Wissenschaftler sagen: Gewalt sei eine Grundkomponente, die wir aus der Evolution mitgenommen haben. Respekt, Höflichkeit und gegenseitiges Verständnis einerseits und klare Gesetze, Regeln, eine faire Rechtsprechung und ein guter Lebensstandard andererseits können aber dazu beitragen, dass es weniger Gewalttaten gibt.
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