Sie entstehen beim Atmen, Husten, Niesen – und auch beim Singen oder Sprechen: Aerosole. Wenn es um die Verbreitung des Sars-Cov-2-Erregers geht, spielen sie eine zentrale Rolle. Denn die Flüssigkeitspartikel tragen das Virus sozusagen im Rucksack und verbreiten es so weiter. Für Innenräume ist das aus Experimenten gut bekannt: Mit verschiedenen Rechnern im Netz lässt sich das Risiko abschätzen, sich dort über Aerosole anzustecken. Doch wie sieht es im Freien aus?
"Da ist es so, dass die Aerosole, die aus dem Mund kommen, sich ganz diffus verteilen und verdünnen, sodass experimentelle Untersuchungen über die tatsächliche Infektionsgefahr auch technisch ganz schwierig durchzuführen sind", sagt Michael Pfeifer, Lungenfacharzt und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin.
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Das Wissen über Aerosole und ihr Verhalten stützt sich also im Wesentlichen auf Experimente in Innenräumen. In einem Positionspapier hat die Gesellschaft für Aerosolforschung erst kürzlich den Forschungsstand dazu zusammengetragen. Trotzdem sind sich Mediziner wie Aerosolforscher weltweit einig, das Risiko draußen ist sehr klein. Einer chinesischen Studie zufolge kam es in über 7.000 Corona-Fällen nur zu zwei Übertragungen im Freien.
"Es ist tatsächlich so, dass draußen die Ansteckungsgefahr erheblich geringer ist, weil diese Aerosolwolke, die wir ausatmen, eben sehr schnell verdünnt wird." Christof Asbach, Aerosolforscher und Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung
Das Prinzip gilt drinnen wie draußen: Größere Tröpfchen schaffen es nicht sehr weit – daher auch die Abstandsregeln. Kleinere Partikel hingegen können über Stunden in der Luft bleiben. Drinnen muss deshalb gelüftet werden.
Dadurch, dass die Luft draußen ständig in Bewegung ist, erklärt Asbach, werden diese Partikel kontinuierlich abtransportiert und deponieren irgendwo auf dem Boden, an Blättern, an Häuserwänden und Ähnlichem. "Das heißt, draußen habe ich die Konzentration entsprechend niedrig", so der Aerosolforscher. Und trotzdem gibt es Situationen, die Sorge bereiten:
Beispiel 1: Ist die Begegnung mit Rauchern gefährlicher als mit anderen Personen?
Aus Sicht von Mediziner Michael Pfeifer ist die Situation klar: "Ein Raucher verbreitet natürlich mehr Aerosole, weil er ja erstmal tief einatmet und ausatmet und damit verteilt er seine Aerosole in der Umgebung." Solange einem der Rauch aber nicht direkt ins Gesicht geblasen wird, hält Pfeifer das Risiko sich anzustecken für gering.
Aus Sicht von Aerosolforscher Asbach ist der Rauch prinzipiell ein guter Indikator dafür, wie sich Aerosole in der Luft verhalten. Immer dann, wenn wir Rauch einatmen, würden wir Aerosolpartikel einatmen, und damit gegebenenfalls auch Viren. Trotzdem solle man sich von Rauch nicht täuschen lassen: Wenn man schon etwas riechen kann, ist häufig messtechnisch noch keine erhöhte Schadstoffkonzentration erfassbar. Der Grund: Unsere Nase nimmt Verbrennungsgase einfach schon wahr, bevor der Rauch überhaupt bei uns ankommt. Der übliche Abstand von 1,5 bis zwei Metern reicht daher auch bei Rauchern aus.
Beispiel 2: Können Jogger oder Fahrradfahrer einen Spaziergänger anstecken?
Ausschlaggebend ist für Aerosolforscher Christof Asbach hierbei der Faktor Zeit:
"Die Begegnungszeit zwischen dem Jogger beziehungsweise einem Radfahrer und Spaziergänger sind so kurz, dass man in der Zeit einfach gar nicht so viele Aerosolpartikel einatmen könnte, dass ich mich dort wirklich infizieren kann. Das heißt, es wäre ein absoluter Ausnahmefall, dass so etwas geschehen könnte."
Wie der Ausnahmefall aussehen könnte, das hat ein belgischer Forscher kürzlich in einer Studie dargelegt. Dazu Christof Asbach: Wenn zwei Radfahrer hintereinander herfahren oder zwei Jogger hintereinander oder auch nebeneinander laufen, in einem relativ geringen Abstand, dann atmet der Hintere gegebenenfalls kontinuierlich das ein, was der Vordermann ausgeatmet hat. "Da kann es möglicherweise zu Problemen kommen", so Asbach.
Ein Restrisiko besteht aus Sicht von Lungenspezialist Pfeifer immer. Denn wie viele Viren jemand ausstößt, und wie viele nötig sind, um sich anzustecken – das weiß bisher niemand genau. Und es lässt sich vermutlich auch nie feststellen, weil jeder Mensch anders ist, schätzt Michael Pfeifer. Trotzdem ist er sicher:
"Dass ich mich jetzt bei dem Vorüberjoggen dann schon anstecken könnte, das würde ich als Hysterie bezeichnen." Michael Pfeifer, Lungenfacharzt und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin
Beispiel 3: Wie gefährlich ist Spazierengehen mit anderen?
Entscheidend ist für die Experten hier der Abstand: "Solange ich mich vernünftig verhalte und entsprechend Abstand halte, kann man auch den ganzen Tag zusammen spazieren, Wandern, Radfahren gehen", sagt Aerosolforscher Christof Asbach.
Lungenspezialist Michael Pfeifer rät dagegen beim Spazieren mit anderen, eine Maske zu tragen. Der Grund: Wir laufen tendenziell näher beieinander. Und wenn wir uns unterhalten, wenden wir uns auch einander zu. Das Risiko, sich draußen anzustecken, sollte allgemein aber auch nicht überbewertet werden:
"Wir reden von Wahrscheinlichkeiten. Und die Wahrscheinlichkeit, sich im Freien anzustecken, ist extrem gering." Lungenspezialist Michael Pfeifer
Fazit:
Die Forschungslage für Situationen im Freien ist dünn. Trotzdem sind Forscher sicher: Sich im Freien über Aerosole mit Sars-Cov-2 zu infizieren ist nicht ausgeschlossen, aber eher unwahrscheinlich. Dafür sorgen die stete Luftbewegung und der meist nur kurze Kontakt zu Passanten – egal, ob Jogger, Radfahrer oder Raucher. Wer trotzdem auf Nummer sicher gehen möchte, kann zusätzlich Abstand halten und eine Maske tragen.
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