Seit Samstag sind Elektro-Stehroller auch in Deutschland zugelassen. Voraussichtlich ab Anfang Juli werden die Leihroller auch in vielen deutschen Städten zu sehen sein. Einer Recherche des Mobilitäts-Blogs Radforschung.de zufolge hatten bis April etwa 15 E-Roller-Unternehmen Interesse gezeigt, in das deutsche E-Roller-Verleihgeschäft einzusteigen.
Kritiker verweisen auf Probleme in Paris
In anderen europäischen Ländern haben die Verleihroller längst zu Tausenden die Innenstädte erobert. Die Nutzer können die Roller unkompliziert per App mieten. Während die E-Roller-Leihfirmen ihre Fahrzeuge als "nachhaltige", "umweltfreundliche" und "inklusive" Alternative zum Auto vermarkten, verweisen Kritiker gerne auf Paris.
Dort liegt die Anzahl der Leihroller schon jetzt bei 20.000. Achtlos weggeworfene verstopfen sie Medienberichten zufolge viele Pariser Gehwege, Straßenkreuzungen und Grünflächen. Zudem ist die Zahl der Unfälle deutlich angestiegen, zuletzt war ein E-Scooter-Fahrer bei einem Zusammenstoß mit einem Auto gestorben. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat deshalb angekündigt, E-Roller-Anbieter künftig strenger regulieren zu wollen.
Tragen die Leihroller wirklich zur Reduktion von CO2-Emissionen im Verkehr bei?
Die kurze Antwort auf die Frage, ob durch E-Roller die Kohlendioxid-Emissionen sinken heißt: Das lässt sich noch nicht sagen. Denn bisher gebe es keine verlässlichen Untersuchungen zur Ökobilanz der E-Scooter, erklärt Alexander Jung, Experte für E-Mobilität bei der "Agora Verkehrswende". Die Agora Verkehrswende ist ein Berliner Think Tank, der von der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation finanziert wird.
Aber: Es gibt erste Untersuchungen aus Städten wie Portland in den USA. Dort hat die Verwaltung es zur Zulassungsbedingung für die Leihfirmen gemacht, dass sie Nutzungsdaten teilen. Zwar lassen sich diese Ergebnisse nicht direkt auf den deutschen Markt übertragen - aber sie können erste Hinweise geben.
Welche Wege und Transportmittel wird der E-Roller ersetzen?
Der wahrscheinlich wichtigste Faktor für die Ökobilanz ist die Frage, welche Transportmittel der E-Roller ersetzen wird. Im Falle von Autofahrten wäre der E-Roller eine echte Verbesserung. Steigen Nutzer vor allem vom Fahrrad um oder legen sie Fußwege künftig mit dem Roller zurück, fällt die Bilanz negativ aus. Bisher ist das Versprechen der Anbieter, dass der E-Roller die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs erleichtert: Weil er die sogenannte "letzte Meile" vom öffentlichen Nahverkehrsnetz zur Wohnung überbrücken könnte.
Die Daten aus Portland erlauben keinen klaren Rückschluss: Einerseits sagten 42 Prozent der Nutzer in Portland, dass sie den Roller auf Wegen nutzen, die sie sonst zu Fuß gegangen wären oder mit dem Fahrrad zurückgelegt hätten. Andererseits gaben auch mehr als ein Drittel der Befragten an, mit dem Roller eine Autofahrt ersetzt zu haben. Noch höher waren diese Zahlen unter Touristen: Hier gab fast jeder Zweite an, dass er andernfalls Taxi gefahren wäre. Die Autoren weisen das als Erfolg aus. Doch Jung ist skeptisch: Denn viele der Autofahrer wären auch sonst nicht im eigenen PKW gefahren, sondern hätten Car-Sharing-Angebote genutzt. "Der Elektroroller ist ein kleiner Baustein im Projekt Verkehrswende", sagt Jung. "Aber niemand verkauft dafür sein Auto."
Eine Untersuchung aus Frankreich scheint diese Einschätzung zu bestätigen. Die Mobilitätsberatung 6t hat dafür 4.300 E-Roller-Fahrer in Paris, Lyon und Marseille befragt. Nur acht Prozent der Befragten fuhren eine Strecke mit dem E-Scooter, für die sie sonst ein Auto genutzt hätten. Dahingegen gaben 47 Prozent der Nutzer an, dass sie den Weg sonst gelaufen wären. 29 Prozent hätten öffentliche Verkehrsmittel genutzt.
Die Lebensdauer der E-Roller ist bisher noch sehr kurz
Der zweite große Punkt, der für jede E-Roller-Ökobilanz von Bedeutung sein wird: Die Frage, wie viel Kohlendioxid bei der Herstellung und beim Aufladen der Roller erzeugt wird. Von E-Autos weiß man, dass die Öko-Bilanz nicht zwangsläufig positiv ist. Denn die Herstellung der Akkus verbraucht viel Energie - und diese kommt oft noch aus fossilen Quellen. Auch wer sein E-Auto an einer Ladestation in Deutschland auflädt, bezieht dabei oft zumindest teilweise noch Kohlestrom – weil dieser noch immer Teil des deutschen Strommixes ist. Die Frage ist also, wie lange es dauert, bis dieses Mehr an Emissionen in der Herstellung durch Einsparungen in der Nutzung kompensiert wird. Dieser "Break Even Point" – also der Punkt im Lebenszyklus, an dem ein E-Auto klimafreundlicher ist als ein Verbrenner – liegt bei etwa 150.000 Kilometer, im städtischen Einsatz schon deutlich früher.
Für den E-Roller gibt es bisher keine vergleichbaren Berechnungen. Aber ein Problem zeichnet sich jetzt schon ab: Die Lebensdauer der E-Roller ist kurz. Wie kurz genau, ist schwer zu sagen, da die Verleihfirmen diese Daten nicht veröffentlichen wollen. Die seriöseste Zahl, die Alexander Jung von der Agora Verkehrswende kennt, ist: Vier Monate. Der Elektroroller-Anbieter Lime hat sie in einem Antrag für eine Lizenz in Portland, USA genannt.
Zum normalen Verschleiß kommen Fälle von Vandalismus. Die Roller erleiden oft dasselbe Schicksal wie das inzwischen berüchtigte Münchner "Obike" – frustrierte Nutzer und Randalierer warfen die Räder in Flüsse, Büsche oder hängten sie in Bäume.
Nachts werden die Roller eingesammelt und aufgeladen – oft mit Autos
Für die Klimabilanz ist neben der Lebensdauer interessant, was die Anbieter mit ausgedienten Rollern machen: Werden kaputte Roller repariert? Werden ausgediente Modelle recycled? Hinzu kommt das Vandalismus-Problem: Wenn zerstörte Scooter nicht eingesammelt werden, rottet der Elektroschrott in der Landschaft vor sich hin. Viele Anbieter sagten zwar, dass sie kaputte Scooter recyceln würden, erklärt Alexander Jung, "aber die meisten sind da nicht wirklich transparent." Mehrere Betreiber hätten angekündigt, mit den Kommunen in Deutschland zusammenarbeiten zu wollen, sagt Jung.
Was die Ökobilanz der E-Roller weiter verschlechtern dürfte: Die Instandhaltung produziert Emissionen. Denn viele Firmen haben das Ladeproblem bisher nicht gelöst. Die Akkus sind in vielen Rollern fest verbaut. Und da die meisten Leihmodelle "free-floating" sind – also überall in der Stadt abgestellt werden können – bezahlen viele Unternehmen Drittfirmen, um die Roller nachts einsammeln, aufladen und wieder aufstellen zu lassen. So machen sie es in den USA und so machen es beispielsweise auch die Bamberger Stadtwerke, die die Roller schon für eine Testphase zugelassen haben. Auch die CO2-Emissionen dieser nächtlichen Sammelaktionen – die oft im Auto stattfinden – müssen in die Ökobilanz der Roller eingerechnet werden.
Fazit: Ob der E-Roller tatsächlich einen Beitrag dazu leistet, den Kohlendioxid-Ausstoß im deutschen Verkehr zu senken, ist unklar. Denn verlässliche Zahlen gibt es dazu noch nicht – nur erste Eindrücke aus den USA und Frankreich. Was sich schon jetzt sagen lässt: Zielgruppe sind vor allem Touristen und Menschen in Städten, die "die letzte Meile" zum öffentlichen Nahverkehr zurücklegen wollen. Dass der E-Roller im großen Stil das Auto ersetzen wird, ist daher unwahrscheinlich. Drei Faktoren werden für die Ökobilanz der Roller entscheidend sein: Ob die Firmen das Vandalismus-Problem in den Griff bekommen, ob sie die Lebensdauer der Roller verlängern können und ob sie es schaffen, das Aufladen der Roller so zu organisieren, dass dabei nicht zu viele zusätzlichen Emissionen anfallen.