War es der Klimawandel? Das ist die Frage, die sich inzwischen bei fast jedem extremen Wetterereignis stellt - auch bei der Flutkatastrophe, die Mitte Juli im Westen Deutschlands und in Belgien Hunderte Menschenleben beendete und allein im Ahrtal in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz fast 9.000 Häuser und die gesamte Infrastruktur zerstörte.
Eine neue Attributionsstudie der internationalen Forscherinitiative World Weather Attribution liefert nun eine Antwort auf diese Frage. Demnach hat der menschengemachte Klimawandel derartige Starkregenfälle um das 1,2- bis 9-Fache wahrscheinlicher gemacht. Darüber hinaus hat die globale Erderwärmung die Intensität derartiger extremer Regenfälle in der Region zwischen 3 und 19 Prozent erhöht.
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Attributionsstudie: Nie zuvor so extremen Regenfall gemessen
Die extremen Regenfälle im Westen Deutschlands sowie den Benelux-Staaten fielen zwischen dem 12. und 15. Juli 2021. Dafür vordergründig verantwortlich: Tief "Bernd", das aus dem Mittelmeerraum sehr feuchte und warme Luft in die Regionen brachte und dann auf vom Westen kommende, kühlere Atlantikluft stieß. Ergebnis: extreme Regenfälle, die auf bereits Regen-gesättigte Böden fielen. So fielen zum Beispiel in der Region um die Flüsse Ahr und Erft in Deutschland an einem einzigen Tag rund 93 Liter Regen pro Quadratmeter. Diese schiere Menge an Wasser ist mehr, als jemals seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gemessen wurde.
Allerdings: Für die Attributionsstudie konzentrierten sich die Forscherinnen und Forscher rein auf den meteorologischen Aspekt, also wie viel Wasser als Regen zu Boden fiel. Eine hydrologische Betrachtung und Einschätzung der Flutkatastrophe und des Hochwassers direkt war nicht möglich, beziehungsweise hätte kaum belastbare Ergebnisse gebracht: Dafür hätte es Daten der Pegelstände der Flüsse gebraucht. Doch die Pegelmesser hatte die Flut teilweise mitgerissen.
Wie die Attributionsforschung extreme Wetterereignisse erforscht
Vereinfacht gesagt modellieren Attributionsforscherinnen und -forscher eine Parallelwelt: Mithilfe von Simulationen, Klimamodellen und Beobachtungsdaten berechnen sie, wie wahrscheinlich ein gewisses Extremwetterereignis in der vorindustriellen Zeit gewesen wäre. Das Ergebnis dieser Rechnung wird mit Beobachtungen und Klimamodellen des Ist-Zustandes verglichen, erhöhte Durchschnittstemperaturen aufgrund der globalen Erwärmung inklusive. Da immer mehrere Klimamodelle zum Einsatz kommen, berechnen Forscher sozusagen auch mehrere Parallelwelten.
Daraus ergibt sich die große Bandbreite beim Ergebnis der vorliegenden Attributionsstudie: Die Forscherinnen und Forscher haben mit unterschiedlichen Klimamodellen gerechnet, die unterschiedliche Ergebnisse erbracht haben.
Eindeutig: Starkregenereignisse wahrscheinlicher und intensiver
Somit erklärt sich das Ergebnis, dass der Klimawandel derartige Starkregenfälle um das 1,2- bis 9-Fache wahrscheinlicher gemacht hat und auch, dass die globale Erderwärmung die Intensität derartiger extremer Regenfälle in der Region zwischen 3 und 19 Prozent erhöht hat. Es gibt kein einzelnes Ergebnis, weil die Forscherinnen und Forscher keinem einzelnen Klimamodell den Vorzug geben wollen und können.
Allerdings: Die Tendenz ist klar. "Die Richtung ist eindeutig, auch wenn die Bandbreite groß ist", sagt Enno Nilson von der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG), der an der Attributionsstudie beteiligt war. Das heißt: Der Klimawandel macht Starkregenereignisse wie das, das die Flutkatastrophe auslöste, nicht nur wahrscheinlicher, sondern auch intensiver.
Extreme Regenfälle in Westeuropa: Alle 400 statt alle 2.000 Jahre?
Laut der Attributionsstudie wäre unter den gegenwärtigen Klimabedingungen zu erwarten, dass Gegenden in dieser Region etwa alle vierhundert Jahre mit einem derartigen Ereignis zu rechnen haben. Nun halte man sich die Bandbreite der erhöhten Wahrscheinlichkeit vor Augen: Demnach habe der Klimawandel das Ereignis um das 1,2- bis 9-Fache wahrscheinlicher gemacht. Wenn man sich den Faktor 5 aus dieser Bandbreite herauspickt, dann sollte ein solches Ereignis ohne Klimawandel nur etwa alle 2.000 Jahre auftreten.
Statistik bei Hitzewellen konkreter
Das klingt nach viel Statistik - und vor allem weit weniger eindeutig als bei Hitzewellen. Bei denen nämlich lassen sich die Forschenden der World Weather Attribution durchaus zu solchen Aussagen hinreißen, wie, dass diese oder jene Hitzewelle ohne den menschlichen Einfluss durch den Klimawandel quasi unmöglich gewesen wäre: So war die Wahrscheinlichkeit der diesjährigen Hitzewelle in Nordamerika im das 150-Fache erhöht, und eine Hitzewelle in Sibirien im Jahr 2020 hat der Klimawandel laut der entsprechenden Attributionsstudie sogar um das 600-Fache wahrscheinlicher gemacht.
Nun sind aber Starkregenfälle ein vollkommen anderes Wetterphänomen als Hitzewellen. Sie finden in kleineren Regionen über kürze Zeiträume statt - und es spielen andere Prozesse bei ihnen eine Rolle als bei Hitzewellen, die mehr oder weniger direkt von den Temperaturen abhängen.
Erderwärmung hat indirekt Einfluss auf Niederschlag
So mussten die Forscher hier beispielsweise in der Attributionsstudie das Phänomen der Konvektion (vertikale Luftbewegung) mit in Betracht ziehen, das auch für Gewitter verantwortlich ist. Der Einfluss der globalen Erderwärmung ist bei Hitzewellen leichter nachzuweisen als bei einem Phänomen wie Starkregen: Das hängt indirekt mit den gestiegenen Durchschnittstemperaturen zusammen. Denn wärmere Luft kann prinzipiell mehr Wasserdampf aufnehmen, pro Grad Celsius an mehr Temperatur sind es etwa sieben Prozent.
Klimawandel macht Extremwetter extremer
Der Fund der Studie, dass der Klimawandel die Intensität des starken Regenfalls um 3 bis 19 Prozent erhöht hat, passt gut zu diesem bekannten physikalischen Zusammenhang. Und egal, ob nun die Wahrscheinlichkeit um das 1,2-Fache oder um das 9-Fache erhöht wurde: Der Klimawandel hat die Wahrscheinlichkeit auf jeden Fall erhöht und nicht etwa verringert. Beides sind Tendenzen, die sich mit einer voranschreitenden Erderwärmung noch verstärken werden.
Und so kommt der Leiter der vorliegenden Attributionsstudie, Frank Kreienkamp vom Deutschen Wetterdienst (DWD) zum Schluss: "Wieder einmal zeigt sich im Jahr 2021, dass die Schäden und negativen Auswirkungen der aktuellen, durch den Klimawandel verstärkten Extremwetterereignisse die Auswirkungen früherer Unwetter seit Beginn der Aufzeichnungen bei Weitem übersteigen können. Sie können überall auftreten und starke Schäden sowie menschliche Verluste verursachen. Die lokalen und nationalen westeuropäischen Behörden müssen sich dieser wachsenden Risiken durch Starkregen bewusst sein, um besser auf mögliche künftige Extremwetterereignisse vorbereitet zu sein."
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