Darum geht's:
- Der Klimawandel macht Extremwetter wahrscheinlicher, die Folgen sind auch in Deutschland spürbar.
- Eine Minderheit, die den Klimawandel leugnet oder verharmlost, versucht Einfluss zu nehmen auf die Bundespolitik.
- Um ihre Falschbehauptungen zu stützen, bedienen sie sich bekannter Strategien und instrumentalisieren seriöse Quellen, wie die Daten des Deutschen Wetterdienstes.
Gletscher schmelzen, Grundwasserspiegel sinken und bei der Flutkatastrophe im Ahrtal im vergangenen Jahr starben 134 Menschen. Die Folgen des Klimawandels sind längst auch in Deutschland spürbar. Auch wenn sich nicht jeder Waldbrand und jedes Hochwasser einzeln auf den Klimawandel zurückführen lässt: Darin, dass Extremwetterereignisse wegen der menschengemachten Erderwärmung insgesamt häufiger werden, sind sich Forscher einig. "Der vom Menschen verursachte Klimawandel wirkt sich bereits auf viele Wetter- und Klimaextreme in allen Regionen der Welt aus", heißt es im sechsten Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen von 2021.
Und: Laut einer Studie der Cornell University in New York kommen 99,9 Prozent aller Studien, die durch unabhängige Gutachter aus demselben Fachgebiet geprüft wurden ("peer-reviewed"), zu dem Ergebnis, dass der Klimawandel menschengemacht ist.
"Septembertemperaturen" als vermeintlicher Beweis gegen die Erderwärmung
Trotzdem wehren sich einige Menschen gegen diese wissenschaftlichen Fakten, leugnen oder verharmlosen den Klimawandel und seine Folgen und versuchen, mit diesen Positionen politisch Einfluss zu nehmen.
Ein Beispiel: Ein Artikel über die "Septembertemperaturen in Deutschland" auf der Webseite des sogenannten Europäischen Instituts für Klima und Energie e.V., (EIKE), von Anfang Oktober. Eine Grafik darin zeigt eine zackige Kurve der durchschnittlichen Septembertemperaturen seit dem Jahr 1932. Die Werte schwanken stark, zeigen mal bis zu 16,5 Grad Celsius an, mal nur 10,5 Grad Celsius. Darauf liegt ein nahezu waagerechter, roter Strich: Er suggeriert, die Durchschnittstemperatur sei stabil, es gebe seit 1932 kaum Erwärmung. Das ist irreführend, wie dieser Artikel später noch ausführlicher erläutern wird.
Fünf Strategien, mit denen der Klimawandel geleugnet oder verharmlost wird
Mit welchen Strategien sät EIKE Zweifel am wissenschaftlichen Fakt der menschengemachten Klimakrise? Der #Faktenfuchs hat Klimawissenschaftler und Kommunikationsexperten dazu befragt. Die Argumentationsmuster und Suggestiv-Techniken sind erkennbar, die Pseudoargumente widerlegbar.
1. Strategie: Wissenschafts-Mimikry
Eine zentrale Taktik sei "Mimikry", sagt Michael Brüggemann, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg im Interview mit dem #Faktenfuchs. Brüggemann forscht zur Klima- und Wissenschaftskommunikation und hat sich in der Vergangenheit auch mit EIKE beschäftigt.
In der Zoologie bezeichnet Mimikry die Anpassung, die dem eigenen Schutz oder der Täuschung dient. Der Verein EIKE ahme wissenschaftliches Arbeiten nach, imitiere die Methoden und Rituale: "Wissenschaft zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass Wissenschaft Konferenzen macht, dass Wissenschaft Papers veröffentlicht. Dass es da Experten gibt, die Grafiken zeigen." All das kopiere EIKE, so Brüggemann.
Schon der Vereinsname suggeriere, dass es sich um ein wissenschaftliches Institut handle. Das sei aber nicht der Fall - das bestätigt auch Toralf Staud, Journalist, Buch-Autor und Redakteur bei "Klimafakten.de" im Interview mit dem #Faktenfuchs. Laut Stauds Einschätzung melden sich bei EIKE vor allem wissenschaftliche Laien oder pensionierte Wissenschaftler fachfremder Fakultäten zu Wort: "Eine wirkliche Forschungsarbeit habe ich da noch nicht gesehen", so Staud. "Was ich dort sehe, sind sehr isolierte Texte auf der Webseite, die im Blog veröffentlicht werden, die wirklich nicht mal Mindestanforderungen für einen offenen oder gar wissenschaftlichen Blick aufs Thema genügen."
2. Strategie: Richtige Daten als "Körnchen Wahrheit"
Die Texte von EIKE zitieren oft seriöse und vertrauenswürdige Quellen, wie etwa Daten des Deutschen Wetterdienstes. Auch das ist eine Taktik, sagt der Kommunikationswissenschaftler Michael Brüggemann: "Wenn man 'gute' Fake-News produzieren will, dann braucht man immer ein Körnchen Wahrheit." EIKE nehme existierende Daten, interpretiere diese einseitig oder reiße sie aus dem Zusammenhang, sodass sie am Ende als vermeintlicher Beleg der eigenen Darstellung dienen.
Klima-Fachjournalist Toralf Staud bestätigt Brüggemanns Eindruck. EIKE versuche, seinen Thesen durch möglichst kompetente und renommierte Kronzeugen, wie dem Deutschen Wetterdienst, eine Legitimität zu verleihen. "Da wird schon durchaus geschickt mit bekannten Namen versucht, die eigene These zu stützen."
Dem Deutschen Wetterdienst ist das Problem bekannt, erzählt Andreas Becker, Meteorologe und Leiter der Abteilung Klimaüberwachung beim Deutschen Wetterdienst (DWD), im Interview mit dem #Faktenfuchs:
"Die Strategie von EIKE ist, dass man versucht, über den DWD eine gewisse Authentizität der Aussagen herzustellen und die Daten vom DWD zu holen. Aber sie dann so zu kneten, dass sie die eigenen Aussagen erfüllen." Andreas Becker vom Deutschen Wetterdienst (DWD)
Im Climate Data Center veröffentlicht der Deutsche Wetterdienst nach eigenen Angaben seit gut 15 Jahren seinen gesamten Datenbestand, dokumentiert nicht nur Werte, sondern auch Metadaten und Veränderungen an den Wetterstationen.
Man sei vor der Veröffentlichung in einer "Bredouille" gewesen, sagt Becker. "Da war relativ klar: Das kann auch zu missbräuchlicher Nutzung führen." Der DWD hat sich trotzdem dafür entschieden - im Sinne der Transparenz.
Wie EIKE über eine selektive Auswahl der korrekten Daten und pseudowissenschaftliche Argumentationen falsche Schlüsse zieht, erklärt der Meteorologe Lukas Kluft, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, im Gespräch mit dem #Faktenfuchs.
3. Strategie: Strohmann-Argumente
Als Beispiel nennt Kluft das sogenannte Strohmann-Argument: Bei diesem geben Leugner des Klimawandels nur vor, sich mit der Theorie des Klimawandels auseinanderzusetzen. Tatsächlich aber argumentieren sie gegen einen "Strohmann", also eine fiktive, verfälschte Version der gegnerischen Argumente.
In dem eingangs erwähnten Artikel zu "Septembertemperaturen in Deutschland" geht EIKE implizit etwa von Folgendem aus: Falls die Theorie des CO2-bedingten Klimawandels wahr sei, müsste man die Erwärmung immer und überall an jedem Ort auf der Welt und zu jedem Zeitpunkt messen können. Die Autoren verweisen dann auf nicht passende Datenreihen einzelner Wetterstationen oder Zeitpunkte. Doch die Annahme sei "schlicht falsch", sagt Lukas Kluft. Der Strohmann führe in die Irre:
"Die gesamte Idee hinter dem Treibhauseffekt ist eben etwas Globales und ist vor allem auch etwas, das wir über längere Zeiträume sehen, nicht an einzelnen Zeitpunkten."
Klufts Analyse: "Die bauen erst mal diesen Strohmann auf, der eigentlich gar nicht zur Debatte steht, und den widerlegen sie dann auch noch nicht wirklich gekonnt, sondern eher mit einem sogenannten Cherry Picking." Diese Taktik ist der nächste Schritt.
4. Strategie: Cherry Picking
Cherry Picking, im Deutschen bekannt als "Rosinenpicken", sei eine typische Taktik von Klimawandelleugnern, aber auch von Wissenschaftsleugnern allgemein, sagt Toralf Staud: "Man sucht sich spezielle Daten raus, die einem passen, um eine vorher schon feststehende These zu untermauern." EIKE wähle etwa Datenreihen einzelner Wetterstationen, Tageszeiten oder Monate aus, die vermeintlich dem wissenschaftlichen Fakt des menschengemachten Klimawandels widersprechen.
Ein Beispiel ist die bereits erwähnte Zeitreihe der September-Temperaturen in Deutschland. Diese beginnt in dem EIKE-Artikel in einem relativ warmen September, nämlich im Jahr 1932, und endet dann im diesjährigen, eher kühlen September. Auf diese Weise suggeriert die Kurve, es gebe keine Erwärmung der September-Temperaturen in Deutschland. "Sich künstlich irgendeinen Startpunkt rauszusuchen, ist nicht wirklich wissenschaftlich. Man sollte versuchen, möglichst alle Daten zu berücksichtigen", sagt der Meteorologe Lukas Kluft.
Tatsächlich war der September 2022 laut Deutschem Wetterdienst vergleichsweise nass und kühl. "Das gehört aber zur ganz normalen Variabilität", sagt Andreas Becker vom DWD. Auch die Auswahl des Monats sei Cherry Picking, sagt er. Denn der September sei, wie etwa auch der Mai, ein Übergangsmonat und weise daher höhere Variabilität auf: "Wenn wir in der Jahresuhr schauen, wie der Gesamttrend von 1,6 Grad Kelvin [Erwärmung] sich monatsweise verteilt, dann sind das die beiden Monate, wo er am wenigsten ausgeprägt ist. Sie sind also, wenn man so will, am ehesten verwundbar."
Geschickte Auswahl von Daten - ein "vorhersehbarer Erfolg"
An anderer Stelle vergleicht EIKE eine CO2-Anstiegskurve aus Hawaii, die laut Becker sehr repräsentativ für eine globale Entwicklung ist, mit den Punktmessungen einzelner Wetterstationen, etwa in München oder auf dem Hohenpeißenberg in Bayern.
Auch das sei ein fachlich falsches Vorgehen, sagt Becker vom Deutschen Wetterdienst: "Es werden räumliche und zeitliche Ausschnitte gewählt, die gegen eine globale Aussage eben nicht vergleichbar sind." Daten einer einzelnen Wetterstation seien immer nur beschränkt repräsentativ und hätten eine höhere natürliche Variabilität, so Becker.
Um Vergleichbarkeit herzustellen, rastere der Deutsche Wetterdienst alle Stationsdaten, "sodass ebensolche lokalen Effekte, die mal nach oben und mal nach unten zeigen können oder einen Trend nach oben oder nach unten beeinflussen können, ausgeglichen werden".
Bei der Vielzahl von Wetterstationen und Daten sei Cherry-Picking ein "vorhersehbarer Erfolg", sagt Toralf Staud. Richtige Forschung arbeite aber genau umgekehrt:
"Tatsächlich sind seriöse Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehr, sehr sorgfältig, die Gesamtzahl der zur Verfügung stehenden Klimadaten zu nehmen und daraus Schlüsse abzuleiten. Und die sind tatsächlich eindeutig weltweit für viele unterschiedliche Forschergruppen. Es gibt die menschengemachte Erderwärmung, und die gibt es auch in Bayern." Toralf Staud, Klima-Fachjournalist
5. Strategie: Verharmlosen und verzögern statt leugnen
Die Leugnung dieser physikalischen Tatsachen und wissenschaftlichen Fakten funktioniere inzwischen nicht mehr so gut und werde seltener, beobachtet der Kommunikationswissenschaftler Brüggemann. "Weil die meisten Menschen einfach verstanden haben: Okay, es gibt da ein Problem."
Die neuen Strategien seien jedoch nicht weniger ausgefeilt und gefährlich. So würden in aktuellen Debatten zum Thema Klimaschutz die Folgen des Klimawandels nun häufiger verharmlost. Akteure versuchten, Gründe zu finden, warum jetzt gerade kein Klimaschutz nötig oder möglich sei, sagt Brüggemann.
In einem Artikel der Universität Cambridge identifizieren die Autorinnen und Autoren diese "Diskurse der Klimaverzögerung". "Dazu gehört zum Beispiel, dass man sagt: Oh, das ist doch sehr teuer. Da gehen Arbeitsplätze verloren", erklärt Brüggemann. Die Argumente seien teilweise genauso falsch, wie zu behaupten, dass es keinen Klimawandel gibt.
- Wie man Scheinargumente und typische Fallen der Falschinformation erkennen kann, zeigt dieser #Faktenfuchs.
Eine weitere Taktik sei es etwa, die Hoffnung auf Technologien zu schüren, die es (noch) gar nicht gebe. Das Motto laut Brüggemann: "Wir müssen jetzt gar nichts machen, sondern die deutschen Ingenieure werden uns dann schon eine Lösung für dieses Klimaproblem präsentieren, den großen CO2-Staubsauger, den wir in die Luft aufhängen und wo wir das dann wieder raussaugen."
Oder aber es werde die Verantwortung auf andere abgewälzt: "Dass man sagt, die Chinesen sind schuld. Wir können ja als Deutsche gar nichts machen, weil die verschmutzen ja die Umwelt so stark. Sodass man selber eben nichts tun muss. Das ist die kognitiv bequemere Lösung", so Brüggemann.
Verharmloser des Klimawandels als Pseudo-Experten bei Anhörungen im Bundestag
EIKE ist wohl der bekannteste Akteur der Klimawandelleugner-Szene in Deutschland, ein eingetragener Verein, der sich "Europäisches Institut für Klima und Energie" nennt. Der Verein besteht seit 2007 und hatte jahrelang den Status der Gemeinnützigkeit inne. Dieser wurde dem Verein jedoch im Februar 2022 vom Finanzamt Jena entzogen. Grund dafür war, laut Angaben von EIKE selbst, ein Gutachten von Sönke Zaehle, Professor am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena und Mitautor des sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC, zur Aktivität von EIKE im Jahr 2018. In dem Gutachten ist von "fachlichen Mängeln" in EIKE-Publikationen die Rede. Weiter heißt es, es lasse sich "nicht belegen, dass EIKE e.V. eigenständige Forschung durchführt oder unterstützt".
Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat Publikationen von EIKE analysiert und dabei Mängel festgestellt.
Wie EIKE sich finanziert, bleibt unklar. Laut eigenen Angaben erhält der Verein Spenden. Von wem und in welcher Höhe ist nicht bekannt. Auch auf eine entsprechende Anfrage des #Faktenfuchs an den Verein hin liefert EIKE keine weiteren Details. Das Aufkommen liege unter dem anderer Institute, "die jede Menge Staatsgelder und/oder Gelder großer Stiftungen erhalten", schreibt EIKE.
Studien und Recherchen zeigen, dass ähnliche Akteure, etwa in den USA, häufig auch aus der Öl- und Gasindustrie finanziert werden.
Laut Recherchen des gemeinnützigen Recherchezentrums Correctiv hat EIKE enge Verbindungen zur AfD. So war etwa der Vizepräsident von EIKE, Michael Limburg, zumindest in der vergangenen Legislaturperiode offenbar Mitarbeiter im Büro eines AfD-Bundestagsabgeordneten und selbst Mitglied in der Partei. Wie das Magazin "Katapult" recherchiert hat und auch in einem Youtube-Video des Deutschen Bundestages dokumentiert ist, wurden EIKE-Vereinsmitglieder in der Vergangenheit von der AfD als vermeintlich Sachverständige zu Anhörungen in den Umweltausschuss berufen.
Warum die Narrative anschlussfähig sind
Die Narrative seien teilweise anschlussfähig, sagt Klimafakten-Redakteur Toralf Staud. Der Grund: Manche Leute wollten die vom Menschen verursachte Erderwärmung nicht wahrhaben: "Das ist ein unangenehmes Thema. Es hat unangenehme Konsequenzen. Und wenn man dann auf einen Text stößt, der sagt: ‘Ach, so schlimm ist das gar nicht.’ Dann ist man erst mal innerlich durchaus empfänglich dafür, weil das bietet eine leichte Ausflucht." An der Realität, dass es den Klimawandel gibt und wir seine Folgen spüren ändert dies aber nichts.
FAZIT:
Menschen, die Fakten über die vom Menschen verursachte Erderwärmung ablehnen, versuchen den Klimawandel zu leugnen oder zu verharmlosen. Dabei bedienen sie sich verschiedener Strategien, ahmen etwa wissenschaftliches Arbeiten nach und veröffentlichen pseudowissenschaftliche Artikel.
In ihren Texten berufen sich Klimawandelleugner oft auf seriöse Quellen, wie die Daten des Deutschen Wetterdienstes, um ihre Aussagen zu legitimieren. Bei der Interpretation der Daten gehen sie dann jedoch unwissenschaftlich vor, gehen von falschen Annahmen aus, konstruieren Strohmann-Argumente oder betreiben Rosinenpicken. Der Schluss, dass es den menschengemachten Klimawandel nicht gibt, ist fehlerhaft.
Eine überwiegende Mehrheit aller Klimaforscher weltweit ist sich einig: Die Erderwärmung ist vom Menschen verursacht, der Klimawandel macht Extremwetter häufiger und intensiver.
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