Eine Holzschüssel mit Xylit gefüllt, daneben liegt ein Holzlöffel
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Neue Studie über Zuckeraustauschstoff Xylit: Gesund oder gefährlich?

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Neue Studie zu Zuckerersatzstoff: Wie gefährlich ist Xylit?

Eine neue Studie schlägt Wellen: Xylit wird mit erhöhtem Risiko für Herzprobleme in Verbindung gebracht. Das Süßungsmittel gilt als Alternative zu Haushaltszucker und findet sich in Kaugummis und Zahnpasta. Ist Xylit wirklich gefährlich?

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 1 am Vormittag am .

Xylit - auch Birkenzucker genannt - ist beliebt: Der Zuckeraustauschstoff wirkt gegen die Bildung von Karies, hat 40 Prozent weniger Kalorien als Zucker und wird auch Diabetikern empfohlen, weil er den Blutzucker kaum beeinflusst und nahezu ohne Insulin abgebaut wird. Xylit steckt in Kaugummis, Kuchen, Marmelade und Zahnpasta und gilt als gute Alternative, wenn man seinen Zuckerkonsum verringern will. Schließlich gibt es inzwischen umfangreiche wissenschaftliche Belege dafür, dass hoher Zuckerkonsum viele gesundheitliche Schäden mit sich bringt. Deshalb sorgt eine neue Studie (externer Link) der Cleveland Clinic, die in der Fachzeitschrift European Heart Journal erschienen ist, für Aufruhr: Demnach könnte der Zuckeraustauschstoff Xylit das Risiko für einen Herzinfarkt und Schlaganfall erhöhen. Was bedeuten die Studienergebnisse?

Komplexer Forschungsansatz gewählt

Marco Witkowski, Kardiologe am Deutschen Herzzentrum der Charité (Berlin), wählte für seine Xylit-Studie einen vielschichtigen Forschungsansatz: Zuerst wurden im Rahmen einer Beobachtungsstudie Blutproben von 1157 Probanden genommen, die für Herzuntersuchungen in die Klinik gekommen waren. Dann wurden die Xylit-Konzentration der Proben bestimmt und sogenannte metabolomische Analysen durchgeführt. Diese sollen die Stoffwechselprozesse innerhalb der Zellen genau aufschlüsseln. Dann wurden die Patienten über einen Zeitraum von drei Jahren beobachtet.

Es stellte sich heraus, dass Patienten mit hohen Xylit-Werten im Blut ein um 57 Prozent erhöhtes relatives Risiko hatten, innerhalb von drei Jahren ein sogenanntes "schwerwiegendes kardinales Ereignis" (zum Beispiel Herzinfarkt oder Schlaganfall) zu erleben, verglichen mit Patienten, die die niedrigsten Xylit-Spiegel aufwiesen. Eine Folgeuntersuchung mit 2149 weiteren Probanden bestätigte die Ergebnisse: Höhere Xylit-Spiegel standen auch hier in Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für ein kardinales Ereignis.

Mögliche Mechanismen für höheres Risiko

Die Wissenschaftler wollten als Nächstes herausfinden, welcher biologische Mechanismus hinter diesem Zusammenhang stecken könnte. In der Folgeuntersuchung hatte sich gezeigt, dass erhöhte Xylit-Spiegel auch mit dem Risiko für thrombotische Ereignisse (wie Blutgerinnsel/Thrombosen oder Lungenembolien) in Verbindung stehen. Deshalb konzentrierten sich die Forscher vor allem auf die Rolle der Blutplättchen (Thrombozyten). Blutplättchen sind im menschlichen Körper für die Blutgerinnung zuständig. Im Labor wurden Xylit-Reaktionen im Blut, Blutplasma und an isolierten Blutplättchen von gesunden Menschen untersucht, als auch Reaktionen bei Mäusen. Die Forscher fanden heraus: Höhere Xylit-Konzentrationen begünstigen das Zusammenklumpen der Thrombozyten und fördern so die Bildung von Blutgerinnseln.

Experiment mit Xylit-Getränk

Diese Ergebnisse waren den Forschern noch nicht genug: Denn die ersten beiden Untersuchungen zeigten nur eine Korrelation, also einen vermuteten Zusammenhang. Doch Korrelationen zeigen nur eine mögliche Verbindung auf, sie liefern keinen Beweis für eine Ursache-Wirkungs-Beziehung. Auch die Ergebnisse von Zellexperimenten oder Tierstudien können nicht ohne Weiteres auf den menschlichen Organismus übertragen werden. Darüber hinaus ist Xylit ein Stoff, der vom menschlichen Körper auch selbst hergestellt wird. Bei den über 3.000 Probanden der ersten beiden Gruppen wurde der persönliche Konsum von Xylit nicht abgefragt. Welchen Einfluss hat also Xylit-Konsum auf den tatsächlichen Xylit-Blutspiegel und die Effekte im Körper?

Um das herauszufinden, organisierten die Forscher zusätzlich eine klein angelegte klinische Studie. Dabei bekamen zehn gesunde Freiwillige entweder ein mit Xylit gesüßtes Getränk oder eines, das mit Glukose (Traubenzucker) gesüßt war. Es zeigte sich, dass es bei allen Teilnehmern, die Xylit zu sich nahmen, zu einem signifikanten Anstieg des Xylit-Spiegels im Plasma kam. Auch konnte nachgewiesen werden, dass sich bestimmte Blutwerte änderten, die auf eine verstärkte Reaktivität der Thrombozyten hinweisen.

Video: "Macht Zucker dumm?"

Wie sind die Ergebnisse der Studie zu verstehen?

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass durch den dritten Teil der Studie (die klinische Studie) festgestellt werden konnte, dass Xylit-Konsum die Xylit-Konzentration im Blut erhöht und sich bestimmte Blutwerte ändern, die auf eine verstärkte Reaktivität der Thrombozyten hinweisen. Hier handelt es sich um eine Ursache-Wirkungs-Beziehung, einen tatsächlichen wissenschaftlichen Nachweis. Wer Xylit isst/trinkt, dessen Xylit-Spiegel im Blut steigt an und dessen Blutplättchen werden reaktiver. Allerdings war die Zahl der Probanden (zehn Teilnehmende) sehr gering.

Im Gegensatz dazu kann eine Beobachtungsstudie, wie im ersten Teil der Untersuchung, keine Ursache-Wirkungs-Beziehung herstellen. Die Studie kommt zwar zu dem Schluss, dass hohe Mengen an Xylit mit einem höheren relativen Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse verknüpft sind. Dies bedeutet aber nicht, dass Xylit diese Ereignisse verursacht (Korrelation/Assoziation ist keine Kausalität).

Zusätzlich sollte die Formulierung "dass das Risiko für schwerwiegende kardiale Ereignisse bei erhöhten Xylit-Werten im Blut um 57 Prozent erhöht war" richtig verstanden werden. Denn hier wird nicht das absolute Risiko beschrieben. Das wäre die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Ereignis bei einem einzelnen Menschen in einer bestimmten Zeit eintritt. Ein absolutes Risiko von 57 Prozent würde bedeuten, dass von 100 Personen 57 betroffen sein werden. In der Studie wird jedoch das relative Risiko dargestellt - also wie hoch das Risiko für Menschen mit hohen Xylit-Spiegeln ist, ein schwerwiegendes kardinales Ereignis zu erleben im Vergleich zu Menschen mit niedrigen Xylit-Spiegeln.

Die Untersuchung des relativen Risikos wird oft genutzt, um herauszufinden, wie stark ein beobachteter Zusammenhang (z. B. zwischen Xylit und dem Risiko für Herzerkrankungen) ist. Hierfür ein prominentes Beispiel aus der Gesundheitsgeschichte ist Rauchen und Lungenkrebs. Ein relatives Risiko von 1 für Raucher und 1 für Nichtraucher würde heißen: Die Gefahr wäre für beide gleich. Alles über 1 bedeutet, die Gefahr ist für eine Gruppe höher. Tatsächlich liegt das relative Risiko von Rauchern, an Lungenkrebs zu erkranken, im Vergleich zu Nichtrauchern bei 20 zu 1. Das wertete man in den Tabakindustrie-Prozessen in den USA als sehr starken Zusammenhang.

Und wie ist es bei Xylit und kardinalen Ereignissen? Das relative Risiko für Menschen mit hohem Xylit-Blutspiegel, ein solches Ereignis zu erleben, liegt im Vergleich zu Menschen mit niedrigerem Xylit-Blutspiegel bei 1,57 zu 1.

Fazit: Xylit - ja oder nein?

Die Studie der Cleveland Clinic ist ein wichtiger Baustein, um mehr über die gesundheitlichen Effekte von Süßstoffen und Zuckerersatzstoffen herauszufinden. Schließlich hat Xylit in der EU und in den USA den sogenannten "GRAS"-Status ("generally recognized as safe" = allgemein als sicher anerkannt) und darf damit jedem Lebensmittel in unbegrenzter Menge zugesetzt werden. Die Ergebnisse konnten zeigen, dass bereits ein Glas Xylit-gesüßtes Getränk einen Effekt auf das Verhalten der Thrombozyten und somit auf die Blutgerinnung hat. Die Studie konnte jedoch keine Dosis-Wirkungs-Beziehung definieren, das heißt ab welcher Dosis gesundheitsgefährdende Xylit-Spiegel im Blut entstehen. Das machen auch die Studienautoren deutlich: Um langfristige gesundheitliche Effekte von Xylit zu beurteilen, sind weitere Studien erforderlich. An die Politik richten sie jedoch den Appell, die Gesetzgebung dahingehend zu verschärfen, dass die in Lebensmittel verwendeten Mengen von Süßstoffen, Zuckerersatzstoffen wie Xylit, ausgewiesen werden müssen.

Für Verbraucher bedeuten die Ergebnisse nicht, dass man seine Zahnpasta oder seine Kaugummis entsorgen sollte, wenn sie Xylit enthalten. Aber besonders Personen mit einem bereits erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (zum Beispiel bei Übergewicht, Diabetes mellitus oder Rauchern) oder Menschen mit bereits bekannten Blutgerinnungsstörungen (zum Beispiel bei einer bekannten Faktor-V-Leiden-Mutation oder bei Einnahme von Gerinnungshemmern) sollten sich darüber im Klaren sein, dass der Verzehr von Produkten hohen Xylit-Konzentrationen das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle nochmals erhöhen kann.

Wer Xylit in seiner alltäglichen Ernährung zu sich nimmt, sollte mit anderen Süßungsmitteln abwechseln. Die schlechteste Süßungsalternative ist und bleibt allerdings Zucker: Viele Studien und Überblicksarbeiten (externer Link) haben gezeigt, dass erhöhter Zuckerkonsum mit vielen gesundheitlichen Schäden einhergeht. Deshalb empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation, maximal 50 Gramm (etwa 12 Teelöffel) zugesetzten Zucker pro Tag zu sich zu nehmen - im Moment sind es in Deutschland laut offizieller Statistik (externer Link) fast 91 Gramm pro Tag.

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