Käfige für die Maushaltung in einem Laborraum der mordernen Forschungstierhaltung (2023). Dort können rund 12.000 Versuchstiere gehalten werden.
Bildrechte: picture alliance/dpa | Christian Charisius

Haltung von Versuchstieren in moderner Forschungstierhaltung.

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Schärferer Tierschutz: Tierversuche vor dem Aus?

Eine Reform des Tierschutzgesetzes wird seit Jahren heiß diskutiert. Ein neuer Entwurf schlägt jetzt hohe Wellen, aber nicht bei Tierschützern oder Nutztierhaltern, sondern in der Wissenschaft. Bedrohen die geplanten Veränderungen die Forschung?

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Anfang Februar hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unter Minister Cem Özdemir (Grüne) einen Referentenentwurf für eine Überarbeitung des Tierschutzgesetzes veröffentlicht. Viele Forschungsgemeinschaften und Verbände haben sich den Entwurf angeschaut und schlagen Alarm: Sie sehen durch die geplanten Veränderungen ihre Forschung bedroht, sogar Deutschland als attraktiver Forschungsstandort sei in Gefahr.

Dabei soll sich an den Paragrafen, die das Tierversuchsrecht regeln, gar nichts ändern. Was ist da also los

Für den Tierversuch "nicht verwendbare" Versuchstiere

Bei der Aufregung in der Wissenschaft geht es nur indirekt um Tierversuche. Es geht vielmehr um die Tiere, die zwar für die Forschung gezüchtet worden sind, die aber gerade nicht in Tierversuchen verwendet werden können – zum Beispiel, weil sie nicht das passende Geschlecht haben. Oder – der häufigste Grund – weil sie eine Genvariante in sich tragen, die für die Versuche nicht gebraucht wird. Bei der Zucht genetisch veränderter Tiere werden immer auch Tiere mit genetischen Merkmalen geboren, die eben nicht in die Versuche passen.

Diese "nicht verwendbaren Tiere" werden dann oft getötet. Wenn sie genetisch verändert sind, dürfen sie auch nicht als Futter für Tiere in Zoos oder Wildparks verwendet werden. In Deutschland waren es 2022 mehr als 1,7 Millionen Tiere, die als "nicht verwendbar" getötet wurden. Und Bayern ist ganz vorne mit dabei, mit über 300.000 Tieren.

Das Überschusstier zwischen Forschungsfreiheit und Tierschutz

"Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen." Tierschutzgesetz, Paragraf 1

Was ist aber ein "vernünftiger Grund", ein Tier zu töten? Wiegt hier die im Grundgesetz verankerte Forschungsfreiheit mehr oder das Staatsziel Tierschutz?

Das ist in Deutschland nicht klar definiert und deshalb gerade für das Töten dieser "Überschusstiere" rechtlich unklar, sagt Roman Stilling von der Initiative "Tierversuche verstehen": "Dann und nur dann, wenn es eben gar keine andere Möglichkeit gibt, die Tiere zu verwenden oder anderweitig unterzubringen und gleichzeitig klar ist, dass durch die weitere Haltung der Tiere eben die weitere Forschungstätigkeit eingeschränkt wird oder ganz zum Erliegen käme, nur dann dürfen die Tiere getötet werden. Aber ein rechtlich gültiger, vernünftiger Grund ist das nicht unbedingt, denn es gibt bisher keine gerichtliche Rechtsprechung zu der Frage und man kann sich da nicht auf irgendwas Konkretes beziehen." Deshalb bestehe eine große Unsicherheit, wie Forscher wirklich rechtssicher handeln sollten, erklärt er.

Werden Tiere getötet, um Platz und Ressourcen zu sparen?

Gaby Neumann ist Referentin des Vereins "Ärzte gegen Tierversuche". Für sie ist klar: Nur weil die vielen überschüssigen Tiere den Forschungsbetrieb einschränken oder die Institute keinen Platz für die Tiere haben, ist das noch lange kein "vernünftiger Grund", Tiere zu töten: "Solche Tiere sind bisher routinemäßig getötet worden, also um Geld, Zeit und Haltungskapazitäten zu sparen. Das war auch bisher schon verboten, denn nach dem deutschen Tierschutzgesetz darf keinem Tier ohne vernünftigen Grund Leiden oder Schäden zugeführt werden. Und rein wirtschaftliche Gründe sind laut Rechtsprechung eben kein vernünftiger Grund, ein Tier zu töten. Man könnte sie beispielsweise bis zum Lebensende unterbringen oder sich um die Vermittlung in Privathände kümmern", erläutert Neumann.

Alternativen zu Tierversuchen in der Forschung

Neumanns Verein kämpft dafür, dass die Forschung vollständig auf Tierversuche verzichtet. Dann gäbe es das Problem mit den 1,7 Millionen "nicht verwendbaren" Tieren gar nicht erst, sagt Neumann. Sie hofft deshalb, dass die geplante Gesetzesreform ein Anstoß für einen Paradigmenwechsel ist: "Heutzutage gibt es eine Vielzahl humanbasierter Technologien, die viel effektiver und kostengünstiger sind als Tierversuche. Darauf sollte sich die Wissenschaft fokussieren. Und es sollten viel mehr Gelder in diese Forschung fließen als bisher."

Neues Tierschutzgesetz: Nicht genauer, sondern nur höhere Strafen

Im heiß diskutierten neuen Entwurf für das Tierschutzgesetz soll nun aber gar nicht der schwammige "vernünftige Grund" genauer definiert werden, wie es sich die Forscher gewünscht hätten. Geändert werden soll das Strafmaß, der § 17 des Tierschutzgesetzes: Bisher sieht das Gesetz für das Töten von einem Wirbeltier "ohne vernünftigen Grund" bis zu drei Jahren Haft vor. Oder Geldstrafen. Jetzt soll das Strafmaß auf bis zu fünf Jahre Haft erhöht werden - und zwar: Wenn der Täter die Handlungen "beharrlich wiederholt" oder an "vielen Wirbeltieren" so handelt.

Genau das wäre nun bei den "überzähligen" Tieren in der Forschung der Fall, sagt Roman Stilling: "Diese besonderen Tatbestände, das sind genau solche, die in der Arbeit mit Versuchstieren unweigerlich auftreten können. Ich finde, das hat vor allem eine verheerende Signalwirkung für Wissenschaftler in Deutschland."

Das erhöhte Strafmaß des Tierschutzgesetzes soll in Zukunft auch im Strafgesetzbuch stehen.

Tierschutzgesetz-Reform ursprünglich wegen Nutztieren

Tatsächlich hat die Reform des Tierschutzgesetzes eine Vorgeschichte, die mit Tierversuchen erst einmal gar nichts zu tun hat, sondern mit der Landwirtschaft. Schon im März 2021 hatte Renate Künast von den Grünen ihre Idee im Bundestag vorgestellt: "Tierquälerei gehört erstens überhaupt und zweitens strenger bestraft. Wer in Deutschland Tiere in der Nutztierhaltung oder beim Schlachten quält, kann immer noch ziemlich sicher sein, dass er dafür nicht zur Rechenschaft gezogen wird, und das wollen wir ändern."

Es ging ursprünglich also gar nicht um Tiere, die in Forschungseinrichtungen getötet werden, sondern um Kriminalität im Umgang mit Nutztieren. Trotzdem haben viele Fachgesellschaften der Forschung jetzt in Stellungnahmen ihre Sorgen und Kritik ausgedrückt: ob Krebsforschung, Hochschulmedizin, Immunologen oder Diabetesforscher. Denn sie wünschen sich dringend mehr Rechtssicherheit für ihre Arbeit.

Auswirkungen auf Patientinnen und Patienten

Die Strafen in den rechtlichen Grauzonen zu verschärfen, erhöhe dagegen nur die Unsicherheit, verdeutlicht Stilling. Prof. Klaus-Peter Janssen, Krebsforscher an der Technischen Universität München, sieht seine Forschung sogar gefährdet: "Ganz konkret würde die Forschung hier in Deutschland dramatisch eingeschränkt. Und das hat nicht nur mit Auswirkungen auf die Forscherinnen und Forscher, sondern auch auf die Patientinnen und Patienten mit Krebs, da eben Krebsmedikamente nicht mehr in ausreichendem Maß getestet und entwickelt werden könnten. Ein Beispiel ist die Tumor-Immuntherapie, die bei schwarzem Hautkrebs vielen Menschen das Leben gerettet hat. Die wäre ohne Tierversuche nicht entwickelt worden."

Zahl der Überschusstiere bei Tierversuchen sinkt

Immerhin geht die Zahl der "nicht verwendbaren Tiere" in der Forschung in den letzten Jahren zurück. Während es 2017 noch 3,9 Millionen Tiere waren, waren es 2021 noch 2,5 Millionen. Ein Jahr später noch gut 1,7 Millionen Tiere. Den größten Teil davon machen übrigens Mäuse aus, gefolgt von Fischen. Aber es sind auch Frösche, Tintenfische, Vögel oder Schweine dabei.

Dass es immer weniger werden, hat viele Gründe, erklärt Stilling: "Sicherlich wird seit der ersten Erfassung dieser Zahlen vor ein paar Jahren viel genauer hingeschaut. Das Bewusstsein für diese Tiere ist gestiegen, da wird dann doch nochmal genauer geguckt: Können wir die nicht vermitteln? Ist die Zuchtplanung strikt genug? Da hat die Transparenz sicher geholfen."

Auch die Möglichkeiten, befruchtete Zellen einzufrieren, hätte geholfen, dass "nicht verwendbare" Tiere gar nicht erst geboren werden. Es gibt also neue Wege, die den Bedarf an Tieren in der Forschung zumindest verringern.

Es droht der Export des Problems in andere Länder

Allerdings würde ein Teil der Versuchstierzucht auch zunehmend in andere Länder verlagert, gibt Stilling zu bedenken, "wo eben die Problematik mit dem 'vernünftigen Grund', die wir hier in Deutschland rechtlich haben, so gar nicht existiert, und man dann eben nur noch die Tiere importiert, die man wirklich braucht für den Versuch".

Denn die alles entscheidende Frage, nämlich, was ein "vernünftiger Grund" sein soll, ein Tier zu töten, und was nicht, die ist nach wie vor nicht beantwortet. Sie muss weiterhin von Fall zu Fall entschieden werden.

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