Jedes Jahr am 1. Juni ist weltweit der Tag der Milch: Seit 1958 feiert die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization FAO der UN) an diesem Tag das schneeweiße Lebensmittel als kleines Ernährungswunder.
- Zum Artikel: Bauern-, Land-, Weide- oder Alpenmilch: Was ist wirklich drin?
Milch: Heute Alltag, früher nur für Säuglinge
Die Milch extra zu feiern kommt uns, die wir in Deutschland jährlich fast fünfzig Liter Milch trinken und dazu knapp 25 Kilogramm Käse essen, fast schon seltsam vor, so alltäglich ist Milch für uns. Aber das ist sie eigentlich erst seit kurzer Zeit: Bis vor einem Jahrhundert war Milch nicht sonderlich beliebt als Nahrungsmittel. Bis uns in den 1920er-Jahren die Milch in großen Werbekampagnen schmackhaft gemacht wurde, wurde Milch vor allem für eins eingesetzt: als Säuglingsnahrung.
Denn ursprünglich war Milch genau das: Nahrung für frisch Geborene, die möglichst schnell wachsen müssen und dafür gut ernährt werden sollen.
Um Milch überhaupt verdauen zu können, sind Babys speziell gerüstet: Das Enzym Laktase sorgt dafür, dass der Milchzucker in der Muttermilch aufgespalten und verdaut werden kann. Sobald das Stillen beendet wird, verschwindet auch die Laktase. So ist das bei Tieren und auch den meisten Menschen - weltweit gesehen.
Die Agrarwissenschaftlerin Barbara Orland hält daher Milch für kein natürliches Nahrungsmittel für Erwachsene:
"Durch diesen fortgesetzten Milchkonsum halten wir uns in einem Dauerzustand des Säuglings. Von Natur aus ist es nicht vorgesehen, dass wir als Erwachsene noch Milch verarbeiten können. Und viele Menschen spüren das ja auch in ihrer Laktose-Intoleranz." Agrarhistorikerin Dr. Barbara Orland
💡 Was ist Laktose-Intoleranz?
Etwa 15 Prozent der Deutschen haben eine Laktose-Intoleranz, eine Unverträglichkeit von Milchzucker. Sie können Milch nicht gut verdauen, da bei ihnen das Enzym Laktase nicht oder nur unzureichend vorhanden ist. Nehmen diese Menschen Milch zu sich, leiden sie unter Blähungen, Übelkeit und Durchfall. (Erklärt von Iska Schreglmann, Redaktion IQ - Wissenschaft und Forschung, Bayern 2)
Evolution durch Viehhaltung?
In Europa vertragen allerdings inzwischen rund 85 Prozent der Bevölkerung Milch auch als Erwachsene noch. Grund dafür ist eine Gen-Mutation, die sogenannte Lactasepersistenz. Dass sich diese Mutation in Gesellschaften, die Viehhaltung betreiben, so deutlich durchgesetzt hat, deutet nach Ansicht des Genetikers Albano Beja-Pereira darauf hin, dass die nahrhafte Kuhmilch einen gewaltigen evolutionären Wettbewerbsvorteil mit sich gebracht haben muss.
Damit stellen aber die Europäer - und ihre Nachfahren in den USA, Australien oder anderswo - eine Ausnahme dar, betont der Ernährungswissenschaftler Michael Krawinkel. Die Mehrheit der Erwachsenen weltweit vertragen Milch nicht.
Milch als wichtiger Nährstofflieferant
Milch ist in unserer Ernährung ein wichtiger Lieferant für Eiweiß, aber auch für Mineralstoffe wie Kalzium, Zink und Jod und versorgt uns mit einem Großteil des Bedarfs an den Vitaminen B2 und B12. Letzteres ist ohne tierische Produkte schwer zu erlangen. Und wir decken einen nicht unerheblichen Teil unseres Energiebedarfs über das Fett in der Milch. Daher gilt für die Deutsche Gesellschaft zur Ernährung (DGE) nach wie vor die Empfehlung: täglich 200 bis 250 Gramm Milch (möglichst frische) und Milchprodukte und dazu etwa 50 Gramm Käse, etwa zwei Scheiben.
"Wir profitieren davon, dass sehr viel Eiweiß, sehr viel Kalzium, sehr viele Vitamine in der Milch enthalten sind und sie deshalb weiterhin als sehr gesund eingestuft wird." Prof. Bernhard Watzl, MRI
Milch hilft nicht gegen Osteoporose, aber vielleicht gegen Asthma
DGE-Präsident Prof. Watzl beschäftigt sich seit Langem mit der Milch, ihren Vorzügen, aber auch den Mythen um sie. Und räumt mit einem Mythos gleich auf: Milch hilft nicht gegen Osteoporose, so Watzl. Das Kalzium der Milch helfe zwar, die Knochen während der Wachstumsphase eines Menschen zu stärken. Doch die Krankheit Osteoporose habe komplexe Ursachen, die nicht mit Milch zu bekämpfen sind, so der Wissenschaftler.
Studien zeigen aber auch, dass Milch sehr wohl gegen manche Krankheiten helfen kann: Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen und viel frische Rohmilch trinken, leiden beispielsweise weniger unter Asthma. Auch fieberhafte Erkrankungen sind seltener. Der Grund dafür sind die Immunstoffe der Kuh, die diese mit der Milch an ihr Kalb weitergeben "will".
Frischmilch ist nicht gleich Frischmilch
Der immunisierende Effekt fand sich in der Studie beim Konsum von Milch frisch aus der Kuh, wohlgemerkt. Der Effekt ist bei pasteurisierter Milch zwar noch spürbar, bei H-Milch allerdings gar nicht mehr zu finden. Dafür finden sich in der aber wiederum keine Keime wie beispielsweise Tuberkulose oder EHEC, die durchaus über unbehandelte Milch weitergegeben werden könnten.
💡 Was ist pasteurisierte Milch?
Beim Pasteurisieren wird Milch kurzzeitig auf bis zu 70 Grad Celsius erhitzt, um Keime abzutöten. Die Milch soll damit schonend haltbarer gemacht werden, ohne Geschmack und Nährwert zu stark zu beeinträchtigen.
💡 Was ist H-Milch?
H-Milch ist ultrahocherhitzt auf mindestens 135 Grad Celsius, um die Keime abzutöten, und homogenisiert, um die Fetttröpfchen in der Milch zu verkleinern. Dabei werden die Proteine in der Milch teilweise zersetzt, was den Geschmack verändert, die Milch aber besser verdaubar machen kann.
💡 Was ist ESL-Milch?
"Extended Shelf Life"-Milch ist Milch, die mehr erhitzt wird als beim Pasteurisieren, aber weniger stark als H-Milch. Sie ist etwas länger haltbar als pasteurisierte Milch, muss aber ebenfalls gekühlt werden.
Massentierhaltungs-Milch mit zu viel Hormonen
Die meisten Menschen in Deutschland sind aber weit davon entfernt, Rohmilch zu trinken, quasi frisch aus dem Euter. Vielen würde sie vermutlich auch gar nicht schmecken. Milch ist längst ein Massenprodukt, das meist industriell gefertigt wird: Knapp vier Millionen Milchkühe geben in Deutschland tagtäglich 20 bis 30 Liter Milch - mehr als 32 Milliarden Liter werden im Jahr aus den Eutern gezapft.
Und die Kühe geben die Milch oft auch noch dann, wenn sie bereits wieder trächtig sind. Dann aber, so zeigte eine Studie der Harvard Universität aus dem Jahr 2007, ist die Milch extrem Hormon-belastet. Das Östrogen in der Milch steht jedoch in Verdacht, Hoden-, Brust- und Prostatakrebs auszulösen.
Der Milchindustrie-Verband widerspricht in einem Sachstandsbericht diesen Aussagen, Hormone aus der Milch seien im menschlichen Körper nicht wirksam: "Sie werden schnell und effektiv abgebaut. Die Analyse von Rohmilch zeigt keine Auffälligkeiten." Auch das Bundeinstitut für Risikobewertung (BfR) sieht die Gefahr für Prostata- oder Brustkrebs durch Hormone in der Kuhmilch als "sehr gering" an. Die tägliche Produktion von Sexualhormonen bei Menschen sei demnach viel höher als die mit der Nahrung aufgenommenen Hormonmengen. Die Bewertungen des BfR aus den Jahren 2008 und 2014 sind hier und hier veröffentlicht.
Hilft Milch vielleicht auch gegen Krebs?
Das MRI wertete 2015 verschiedene Studien zur Milch aus und kam zu dem Schluss, dass Milch weiterhin als Nahrungsmittel zu empfehlen sei. Die Studien hätten bis dahin ein erhöhtes Krebsrisiko nicht hinreichend nachweisen können. Es gebe sogar Studien, die nahelegen, dass ein erhöhter Milchkonsum das Risiko von Dickdarmkrebs senkt, so Prof. Watzl von der DGE:
"Da können wir sagen, dass viele Studien uns entsprechend Hinweise darauf geben, dass der Verzehr von Milch mit einem verringerten Risiko für Dickdarmkrebs einhergeht. Also je mehr Milch getrunken wird, desto geringer ist das Risiko für Dickdarmkrebs. Und Dickdarmkrebs ist für Männer und Frauen eine der häufigsten Krebsarten." Prof. Bernhard Watzl, DGE
Hier wirkt scheinbar das Kalzium in der Milch schützend. Doch beim Prostatakrebs ist der Effekt genau umgekehrt. Hier sei ein Krebsrisiko sicher nachgewiesen: Männer, die deutlich mehr Milch trinken (ca. 1,2 Liter oder mehr pro Tag), haben ein erhöhtes Risiko für einen Prostata-Tumor. Kalzium, das durch die Milch aufgenommen wird, begünstigt den Prostatakrebs.
Verdacht auf Krebs durch Milch
Inzwischen ist jedoch Milch erneut unter Krebs-Verdacht geraten, ausgerechnet bei Harald zur Hausen, der 2008 den Medizin-Nobelpreis gewann, weil er humane Papillomviren (HPV-Viren) als Auslöser für Gebärmutterhalskrebs entdeckte. Schon damals kündigte der Forscher an, dass er sich auf die Suche nach krebserregenden Stoffen in Rindfleisch und Milchprodukten machen werde.
Denn ein statistischer Zusammenhang ist längst klar: Die Länder, in denen die meisten Produkte des europäischen Rinds (Fleisch und Milchprodukte) verzehrt werden, sind zugleich die Länder mit den höchsten Raten an Brust- und Darmkrebs. Und in den Ländern, in denen der Konsum erst kürzlich oder in den vergangenen Jahrzehnten begonnen hat, sind steile Steigerungsraten der Erkrankungen zu verzeichnen, etwa in Japan und Korea seit den 1950er-Jahren oder in einigen Regionen Indiens. Wo kaum Milch verzehrt wird oder hohe Laktose-Intoleranz vorherrscht wie in Asien, sind die Brustkrebsraten niedriger. Und Länder wie Bolivien oder die Mongolei, in denen zwar viel Rindfleisch verzehrt wird, aber nicht vom europäischen Rind, haben kein Problem mit erhöhten Darmkrebsraten.
Diese Auffälligkeiten brachte eine Forschergruppe um Harald zur Hausen am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) dazu, nach den Auslösern des Krebses zu suchen - im Fleisch und Blut der Rinder sowie in Milchprodukten. So eindeutig fündig wie im Falle des Gebärmutterhalskrebses wurden die Wissenschaftler nicht. Sie fanden keinen Erreger, der den Krebs direkt auslöst. Doch zur Hausen und seine Kollegen entdeckten sogenannte BMMFs (Bovine Meat and Milk Faktors) - kleine ringförmige DNA-Elemente. Sie waren weder Bakterien noch Virus, erinnerten aber an spezielle "Plasmide", die man aus Bakterien kennt, darum wurden sie "Plasmidom" genannt. Sie vermehren sich in den Zellen eigenständig und tragen oft Gene für Antibiotikaresistenzen, die Bakterien schützen.
Entzündungen führen vielleicht zu Krebserkrankung
Die BMMFs der Rinder finden sich im Körper der Krebspatienten wieder, wo sie reproduziert werden und Entzündungen auslösen, die Jahrzehnte später wiederum die Ursache für die Entstehung eines Krebsgeschwürs sein könnten, vermuten die Forscher. Nachweisen ließ sich ein so indirekter Zusammenhang bisher aber nicht, wie eine gemeinsame Stellungnahme von BfR und und MRI zeigt.
Es geht auch anders - in ganz Asien
Keine Frage: Es geht auch ohne Milch. Kalzium etwa findet sich ebenso in Nüssen, Brokkoli oder Grünkohl. Der Großteil der Menschen in Asien ernährt sich völlig frei von Milch oder Milchprodukten und kann sich dennoch gesund ernähren. Umgekehrt beginnt in Ländern wie China gerade der Milch-Boom: Hier werden Kinder langsam an den dauerhaften Genuss von Milch gewöhnt. Kein Wunder: Milch ist nicht nur nahrhaft, sie ist auch noch preiswert - wenn auch nicht überall so günstig wie bei uns.
Ungesund für die Umwelt
Einen Patienten hat hoher Milch- und Fleischkonsum in jedem Fall: die Natur. Das Klima und unsere Umwelt zahlen auf jeden Liter Milch drauf. Denn die Viehhaltung ist eine unserer größten Treibhausgas-Quellen: Die CO2-Emissionen aus der Tierhaltung machen knapp 70 Prozent des Kohlendioxid-Ausstoßes der Landwirtschaft aus. Und die Landwirtschaft ist wiederum nach der Energieerzeugung der größte Faktor in der Treibhausgas-Produktion Deutschlands.
Mit jedem Glas Milch werden umgerechnet etwa 0,25 Kilogramm CO2 (oder seine Äquivalente an Methan) frei - so viel, wie ein Auto auf einer Strecke von zwei Kilometern in die Luft bläst. Und in jedem Glas Milch stecken außerdem 250 Liter virtuelles Wasser.
Darüber hinaus leiden die Milchkühe unter der Massenproduktion von Milch. Etwa 8.500 Kilogramm Milch gibt eine Durchschnittskuh im Jahr. Im Jahr 1950 waren es nicht einmal 2.500 Kilogramm. Milchkühe sterben auch viel eher, mit 6 oder 7 Jahren im Durchschnitt. Doch Kühe können eigentlich 15 bis 20 Jahre alt werden. Für die Tiergesundheit ist das fatal und eine deutschlandweite Studie zum Tierwohl der Milchkühe beurteilte 2021 die Situation der Milchkühe als "mittelmäßig", die "verbesserungswürdig" sei.
Pflanzliche Alternativen zur Milch
Eine Alternative zur Kuhmilch sind pflanzliche Milchersatzprodukte beispielsweise aus Hafer, Mandel, Soja oder Erbsen. "Milch" dürfen sie nicht genannt werden, erfreuen sich aber großer Beliebtheit. So ist der Absatz pflanzlicher Drinks im Jahr 2023 gegenüber 2020 um 85 Prozent gestiegen. 2020 wurden insgesamt in Deutschland 250 Millionen Liter der pflanzlichen Alternativen verkauft. Im Vergleich zu rund 4,5 Milliarden Litern Trinkmilch ("Konsummilch") pro Jahr machen die pflanzlichen Alternativen immerhin schon 5 Prozent aus.
Dieser Artikel ist erstmals am 28.05.2019 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel aktualisiert.
Dieser Artikel ist erstmals am 28.05.2019 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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