Um anderthalb Grad ist in Bayern die Durchschnittstemperatur in den vergangen Jahrzehnten gestiegen. Und das geht wohl so weiter. Wie werden sich die Seen verändern, wenn durch den fortschreitenden Klimawandel die Temperaturen immer weiter nach oben gehen? Im schlimmsten angenommenen Klimaszenario könnte die Wassertemperatur der Süßwasserseen weltweit um vier Grad steigen. Das würde die Wasserqualität erheblich verschlechtern und der Artenreichtum der Seen wäre gefährdet. Besonders stark betroffen wären dabei die Seen auf der Nordhalbkugel der Erde, so die Schlussfolgerung einer aktuellen Studie.
Lebensraum See - sensibles Ökosystem
Die Temperatur ist für viele biologische und chemische Prozesse ein entscheidender Faktor und beeinflusst so unterschiedliche Dinge wie die Größe eines Organismus, die Verbreitung einer Art, ihre Fortpflanzungsrate oder auch den Zeitpunkt zur Fortpflanzung. Sich ändernde Temperaturen haben oft eklatante Auswirkungen auf Pflanzen- und Tierarten, die sich dem Tempo der globalen Erwärmung nicht schnell genug anpassen können. Das Gleichgewicht in den Ökosystemen wird schnell gestört.
Wird es dem Fisch im See zu warm, kann er nicht einfach auswandern. Seine Nahrungsgrundlage aber womöglich schon. Seen sind daher besonders empfindliche Lebensräume.
Klima der Seen weltweit erkundet
Bislang war es ausgesprochen schwierig vorherzusagen, wie sich Süßwasserseen weltweit durch den Klimawandel verändern werden, denn anders als bei Landmassen und sogar Ozeanen gab es bislang keine klimatische Einteilung von Seen, keine Struktur zur Klassifizierung. Ohne Vergleichswerte lässt sich aber auch keine Veränderung beschreiben. Ein See in den Tropen wird vom Klimawandel anders beeinflusst als ein Bergsee des Himalaja oder der oberbayerische Ammersee.
Ein erster Schritt der Studie, die von einem Forscherteam um den britischen Hauptautor Professor Stephen Maberly erstellt wurde, war daher, ein weltweit gültiges Klassifizierungsmodell für Seen nach klimatischen Gesichtspunkten zu erstellen.
Großes Datenvolumen zur Analyse genutzt
Dazu nutzten die Forscher Daten, die von Satelliten 16 Jahre lang gesammelt wurden und die Temperaturen des Oberflächenwassers von mehr als 700 Seen weltweit maßen - zweimal in jedem Monat. Damit konnten die Wissenschaftler nicht nur jährliche Durchschnittstemperaturen der Seen feststellen, sondern auch die jahreszeitlichen Veränderungen der Seen - und die unterscheiden sich gewaltig:
Sehr nördlich gelegene Seen sind im Sommer um rund 24 Grad wärmer als im Winter (am Oberflächenwasser gemessen), im Extremfall sogar bis zu 29 Grad. Dagegen ändert sich die Wassertemperatur eines Tropensees im ganzen Jahr gerade mal um durchschnittlich 3,9 Grad.
Neun verschiedene Klimazonen für Seen entdeckt
Die Forscher konnten neun verschiedene See-Klima-Typen ausmachen, die sich im Bezug auf Jahresdurchschnittstemperatur und Temperaturschwankungen im Jahresverlauf eindeutig voneinander unterscheiden. Etwa den nordisch-kalten Seentyp in Alaska oder Nord-Russland oder auch im Norden Chinas, der lange Zeit des Jahres von Eis bedeckt ist, den nordisch-kühlen Seentyp oder auch den tropisch-heißen. Seen in Deutschland gehören in dieser Klassifikation zum nordisch-gemäßigten Klimatyp.
Entscheidend: Nähe zum Äquator und Höhe über dem Meeresspiegel
Die globale Verteilung der verschiedenen Klimatypen der Seen ist weitestgehend mit den Breitengraden kongruent: Je näher am Äquator, umso wärmer das See-Klima. Außer natürlich, der See liegt höher: In der Tibetischen Hochebene befinden sich zahlreiche Seen, die zur kühlsten und damit eigentlich nördlichsten Seenklasse zählen. Seen auf der Südhalbkugel sind erstaunlicherweise nicht in den gleichen Klimaklassen wie Seen im Norden mit gleicher Entfernung zum Äquator: Auf der Südhalbkugel ist der kälteste Seentyp "südlich-gemäßigt", denn auf der Südhalbkugel liegen die Seen in der Regel viel tiefer über Normalnull als die Seen im Norden.
Was passiert bis zum Ende des Jahrhunderts?
In einem zweiten Schritt der Studie kombinierten die Forscher diese Erkenntnisse über die Klimatypen der Seen mit drei verschiedenen Klimaszenarien - drei verschiedenen Modellen, wie sich der Klimawandel in den kommenden 80 Jahren entwickeln wird: Mit eher niedrigen CO2-Emissionen, mit mittleren Werten und hohem CO2-Ausstoß bis ins Jahr 2100.
Kühlster See-Typ könnte weitestgehend verschwinden
Je stärker der Klimawandel fortschreitet, umso mehr werden sich die Seen erwärmen - und dadurch irgendwann in einen anderen Klimatyp wechseln. Im schlimmsten angenommenen Klimaszenario würden zwei Drittel aller Seen auf der ganzen Welt sich in den nächstwärmeren Klimatyp entwickeln, als ob sie näher an den Äquator gerutscht wären. Selbst im günstigsten Szenario würden 12 Prozent der Seen den Klimatyp wechseln, im mittleren Szenario über ein Viertel.
Und das beträfe vor allem die kühlen Seen des Nordens: Vom kühlsten Seen-Typ, dem nördlich-kalten, könnten fast 80 Prozent den Typ wechseln und sich zu nördlich-kühlen oder sogar nördlich-gemäßigten aufheizen.
Mehr als Dreiviertel aller Seen weltweit gehören zum nordisch-kalten oder nordisch-kühlen Klimatyp. Nur etwas mehr als zehn Prozent aller Seen weltweit sind nördlich-gemäßigte wie unsere Seen in Bayern. Das heißt in anderen Worten: Der Großteil der Seen wird sich stark verändern.
Badefreuden oder Forelle blau?
Werden die Seen in Bayern also zu "nördlich-warmen" oder sogar "nördlich-heißen" Seen werden? Badegäste mag das freuen, wenn ihnen nicht eine Überraschung blüht: Höhere Wassertemperaturen in den oberen Wasserschichten können eine verstärkte Algenblüte hervorrufen. Diese wiederum schädigt Wasserpflanzen und tierische Bewohner im See.
Schon geringe Temperaturänderungen haben besonders auf kälteliebende Arten wie Lachs, Forelle und Saibling erhebliche Auswirkungen. Weil jede Art in ihrer Geschwindigkeit von Wachstum und Fortpflanzung unterschiedlich auf die Veränderungen reagiert, "leben" sich Jäger und Gejagte im Ökosystem See schnell auseinander, das Nahrungsangebot schrumpft - am Ende auch auf unserem Teller.
Durchgeführt wurde die Studie vom britischen Zentrum für Ökologie und Hydrologie (UKCEH) in Zusammenarbeit mit mehreren Universitäten und Instituten und erschien am 6. März 2020 im Fachmagazin Nature Communications.