Im Restaurant, Kino oder Schwimmbad wird der Impfstatus seit einigen Wochen nicht mehr kontrolliert. Auch die Testpflicht für Ungeimpfte ist dort weggefallen. Und seit Mai müssen sich auch Kita- und Schulkinder nicht mehr regelmäßig testen lassen. Trotzdem werden täglich neue Corona-Zahlen veröffentlicht.
So sterben jeden Tag in Deutschland noch etwa 200 Menschen "an oder mit Corona", wie es in den Meldungen heißt. Wer ist das? Wie wird in der Praxis unterschieden, wer mit oder an Corona verstirbt? Und was bedeutet die derzeitige Datenlage für den Pandemieverlauf? Antworten von einem Mediziner und einem Mathematiker.
Sterben mit oder an Corona - wie unterscheiden Mediziner?
Ob jemand mit oder an Corona stirbt, ist in der Praxis schwer zu unterscheiden, sagt der Infektiologe Bernd Salzberger vom Universitätsklinikum Regensburg. "In einem zeitlichen Zusammenhang mit einer Corona-Infektion ist ein Tod aufgetreten – das ist letztendlich die Zuordnung, die wir machen", erklärt er im BR-Interview.
Dass vor allem die älteren Ungeimpften mit Vorerkrankungen an einer Corona-Infektion sterben, das bestätigt neben dem Mediziner Salzberger auch Kristan Schneider, Professor für Modellbildung und Simulation an der Hochschule Mittweida. "Das Risiko, an Corona zu sterben, steigt exponentiell, wenn man das sechzigste Lebensjahr überschritten hat, sagt er gegenüber dem BR. Seit Beginn der Pandemie erstellt der Mathematiker Vorhersage-Modelle zu den einzelnen Virus-Wellen.
Datenlage – auch wegen fehlendem Impfregister ungenau
Ob bei den an Corona Verstorbenen Vorerkrankungen vorlagen, ob sie vollständig oder nur teilweise geimpft waren – zu all dem gibt es keine eindeutigen Statistiken. Das Robert Koch-Institut (RKI) weist lediglich in seinem Wochenbericht die Todeszahlen aus. Aus ihnen lässt sich erkennen, dass das Risiko, an einer Corona-Infektion zu sterben, ab 60 Jahren stark ansteigt. Mehr nicht. Dass es über den Impfstatus der Verstorbenen keine bzw. nur unzureichende Daten gibt, liegt insbesondere am fehlenden Impfregister.
Registrierung der Corona-Impfungen könnte Datenlage verbessern
Für den Modellierer und Mathematiker Kristan Schneider wäre eine Registrierung der Impfungen "wahnsinnig wichtig". Zur Bewältigung der Pandemie hält er es generell für notwendig, mehr Daten als bisher zu erfassen. So zum Beispiel – neben dem Impfstatus – das Alter der Patienten, deren Vorerkrankungen und mögliche Risikofaktoren.
Damit könnte man gezielter Impfempfehlungen aussprechen, so Schneider. Daten über die Verweildauer im Krankenhaus hält er ebenfalls für wichtig. Das gebe Aufschluss darüber, wie lange "Kapazitäten im Krankenhaus gebunden" seien.
Hohe Dunkelziffer an Corona-Infizierten
Während der Mediziner Salzberger die Datenlage bezüglich der Corona-Infektionen weniger kritisch sieht und glaubt, "dass wir einen Großteil der Zahlen tatsächlich erfassen", ist der Mathematiker Schneider skeptisch. Er nennt das "Datenvakuum", das durch die fehlende Übermittlung von Infektionszahlen vor allem an den Wochenenden und durch die wenigen Tests entsteht, "eine absolute Katastrophe".
Diese "Verzerrung", wie er die ungenauen Zahlen aufgrund der hohen Dunkelziffer an Infizierten beschreibt, "können wir auch nicht gut korrigieren. Und das liegt daran, dass unterschiedliche Altersgruppen ganz verschieden hohe Inzidenzen haben, aber auch ein unterschiedliches Risiko für einen schweren Verlauf".
Elektronische Patientenakte fehlt – und mit ihr Daten
Schneider kritisiert, dass man aus den vom RKI veröffentlichten Daten wichtige Informationen, wie zum Beispiel Vorerkrankungen und Impfstatus eben nicht herauslesen könne und wünscht sich eine elektronische Patientenakte mit genau diesen Daten. Für ihn sind Länder mit einer sogenannten "Null-Covid-Strategie" wie zum Beispiel Neuseeland und Australien Vorbilder. Sie hätten "bessere" Zahlen und "bessere" Impfquoten und sie verlangten auch nach wie vor PCR-Tests für die Einreise.
Er warnt Deutschland davor, "den großen Vorteil, den man sich hart erarbeitet hat [...] zu verspielen". Seiner Ansicht nach, nehme man sich – wenn man die Lage nicht genau beobachte – "die Möglichkeit, entsprechend schnell genug im Herbst reagieren zu können". Im Herbst, wenn nach Ansicht von Experten die nächste Corona-Infektionswelle drohen könnte.
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