Ein Roboterkorpus steckt auf einem Stativ. Er trägt ein altertümliches Gewand – eine grüne Weste mit weiß-rot gestreiften Ärmeln, auf dem Kopf ein Hut mit Feder. Das Gesicht ist die Projektion des einzigen Bildes, dass es von dem Ansbacher Hofastronomen Simon Marius gibt. "Ich bin Simon Marius, Astronom aus Gunzenhausen. Ich bin geboren im Jahr 1573. Was möchtest du von mir wissen?", fragt der Roboter.
Marius KI erweckt Wissenschaftler zum Leben
Anlässlich seines 400. Todestages hat die Stadt Ansbach mit der Simon-Marius-Gesellschaft zum Jubiläumsjahr ausgerufen. Ein Element daraus ist dieser Roboter: die "Marius KI". Die wurde vom Zentrum für angewandte KI und Transfer der Hochschule Ansbach (AN[ki]T) innerhalb von drei Monaten entwickelt. Das Ziel: Mit dem Wissenschaftler aus dem 17. Jahrhundert persönlich sprechen.
Wissen nur aus der Geschichte
"Das alles funktioniert über ein Verfahren, das nennt sich "retrieval augmented generation" - RAG - und das ist die Basis, dass man die mathematische Repräsentation einer semantischen Bedeutung berechnen kann", erklärt Johannes Scholl vom Entwicklerteam. Ganz vereinfacht gesagt bedeutet das, dass dem Roboter eine Datenbank mit allem Wissen von und über Simon Marius zugrunde liegt. Daraus kann die KI dann ihre Antworten generieren. Auf das inzwischen bekannte "Weltwissen", wie es Entwickler Sudarshan Kamath Barkur nennt, kann die KI dabei aber nicht zugreifen. Das war die Schwierigkeit in der Entwicklung.
Ermöglicht Zeitreise
Auf die Frage "Hörst du Radio?" antwortet die Marius KI dann zum Beispiel: "Mit Verlaub, ich kenne dieses Radio nicht! Welch seltsame Erfindung ist das? Erzählt mir mehr, ich bin ganz Ohr!". Diese Illusion wollte man erreichen, erklärt der Projektverantwortliche Sigurd Schacht von der Hochschule Ansbach. Man soll das Gefühl haben, eine Zeitreise zu machen, indem man mit einem Roboter spricht, der auch nur das Leben und die Sprache aus der Zeit der Renaissance widerspiegelt. Übertragbar ist diese Technologie auch auf andere Persönlichkeiten der Geschichte und wäre künftig zum Beispiel interessant für Ausstellungen oder im Tourismusbereich.
Bratwurst war Marius‘ Lieblingsessen
Einen kleinen Spaß hat sich das Entwicklerteam allerdings erlaubt. Alle Daten von und über Simon Marius hat die Hochschule von der Simon-Marius-Gesellschaft erhalten. Doch darin gibt es so gut wie keine Informationen über Persönliches aus dem Leben des Renaissance-Gelehrten. Für ein flüssiges Gespräch mit der KI sei das aber von Vorteil, so Johannes Scholl. Also hat das Team ein paar Fakten erfunden, wie zum Beispiel Simon Marius' Lieblingsessen (die Bratwurst von einem Metzger aus Gunzenhausen), seinen Lieblingsort in Ansbach und die Hobbys des Astronomen.
Simon Marius, Mobbingopfer von Galileo Galilei
Der Astronom und Mathematiker Simon Marius hat mit seinem Teleskop etwa zeitgleich mit dem italienischen Wissenschaftler Galileo Galilei etwas Großes entdeckt: die Jupitermonde. Das waren zum damaligen Wissensstand die ersten Objekte, die sich nicht unmittelbar um die Erde drehten, berichtet Pierre Leich, Präsident der Simon-Marius-Gesellschaft. Weil Galilei seine Beobachtungen vor Marius veröffentlichte, wurde er von ihm zu Lebzeiten beschuldigt, abgeschrieben zu haben.
Zwei Gelehrte – eine Idee
Inzwischen weiß man, dass beide zeitgleich an den Jupitermonden forschten. Doch die frühere Veröffentlichung von Galilei ist der Grund, warum Simon Marius heute weniger bekannt ist. Darüber hinaus hat er aber auch andere astronomische Phänomene beobachtet, wie zum Beispiel den Andromedanebel.
Groll hegt die Marius KI deshalb aber nicht. Wenn man heute den Roboter Simon Marius auf Galileo Galilei anspricht, antwortet er trotzdem sehr höflich – auch in einem Chat mit der KI auf der Homepage der Simon-Marius-Gesellschaft.
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