"Früher war ich irritiert, wenn mich jemand nach einem Euro gefragt hat. Heute brauche ich selber Hilfe", erzählt eine Frau um die 50. Sie steht am Rande der Essensausgabe des Vereins "Aktion Brücke" und möchte unerkannt bleiben. "Von der Top-Stylistin zur Obdachlosen. Erst war mein Job weg, dann kam der Alkohol. Es ging so schnell."
"Aktion Brücke" hilft mit Versorgungsfahrten
In der Nacht war es in München minus sieben Grad kalt. Um zehn Uhr vormittags warten am Transporter der Obdachlosenhilfe "Aktion Brücke" bereits zahlreiche Frauen und Männer, die jüngsten Mitte 20, die ältesten um die 80.
Jeden Sonntag findet hier am Platz vor dem Münchner Ostbahnhof eine Essens- und Kleiderausgabe statt. Auch Hygiene-Artikel gibt es. Besonders wichtig sind Schlafsäcke. Sechs Ehrenamtliche sind heute mit dabei. Einer von ihnen ist Patrick Schianchi. "Essen bekommt bei uns jeder", sagt er. "Aber wenn wir nur vier Schlafsäcke dabeihaben, sind die schnell weg. Da wird auch schon mal gestritten."
Auch Tom und Basti kommen jeden Sonntag hierher. Basti ist ein großer junger Mann, ein Punk mit grünen Haaren. "Die Aktion Brücke ist für mich sehr wichtig", erzählt er. "Die Lebensmittel reichen meist für eine Woche. Wenn ich nicht zu viel saufe." Basti lebt seit Jahren auf der Straße. Er schlafe draußen im Wald in einem Zelt, sagt er, oder in einer Garage. Wie das jetzt so im Winter sei? Das mache ihm nichts aus, sagt er.
Neben Basti steht Tom. Er ist älter, wirkt gesundheitlich stabiler. Tom hat eine Wohnung. Aber er bezieht Bürgergeld und zahlt Schulden ab. Es bleibe nichts übrig, sagt er. Deshalb versorge er sich hier mit Essen, Kleidung und Hygiene-Artikeln.
Immer mehr Menschen in Bayern sind wohnungs- und obdachlos
Die Wohnsituationen der Menschen hier sind unterschiedlich. Aber sie alle brauchen Hilfe. In München gibt es laut Sozialreferat 10.458 akut wohnungslose Menschen. Davon kommen einige bei Freunden und Familie unter, andere in den Obdachlosenunterkünften der Stadt. Aber nach Schätzungen des Sozialreferats leben 342 Menschen komplett auf der Straße.
In Nürnberg liegt die Zahl der wohnungslosen Menschen bei 2.500. Davon sind etwa 190 ganz ohne Obdach. In beiden Großstädten steigen die Zahlen. Nürnberg hat deshalb seine Notschlafstellen ausgebaut; hier gibt es jetzt 250 Plätze. Außerdem hat die Stadt eigene Unterkünfte für Frauen und Transmenschen geschaffen. Denn sie seien auf der Straße besonders gefährdet. Laut bayerischem Sozialministerium leben im gesamten Freistaat 39.000 Menschen ohne eigene Wohnung.
"Aktion Brücke" versorgt immer mehr Bedürftige
Dass die Zahl der Bedürftigen steige, liege an den explodierenden Mietpreisen, den hohen Energiekosten und den gestiegenen Lebensmittelpreisen, sagt Anja Sauer, Gründerin der Obdachlosenhilfe "Aktion Brücke". Aktuell betreut ihr Verein bis zu 1.200 Menschen pro Wochenende. Seit 2023 sei der Zulauf um 40 Prozent gestiegen. Das sei enorm beängstigend, sagt sie.
Die Idee für die "Aktion Brücke" hatte Anja Sauer im Jahr 2020 gemeinsam mit einer Freundin. Zu ihrer ersten Fahrt starteten sie mit 30 geschmierten Semmeln und zwei Kannen Kaffee.
120 Ehrenamtliche im Einsatz
Heute – fünf Jahre später – steckt hinter dem Verein eine aufwendige Logistik. Der Verein betreibt eine Kleiderkammer, organisiert Essensspenden, begleitet Betroffene bei Behördengängen. 120 Ehrenamtliche helfen mit, damit jeden Sonntag die drei verschiedenen Versorgungstouren quer durch München stattfinden können.
Nach zwei Stunden wird es bei der Essens- und Kleiderausgabe am Münchner Ostbahnhof langsam ruhiger. Für die Ehrenamtlichen Patrick Schianchi und seine Frau Manuela aber geht es jetzt noch weiter zu einer nächsten Station. Seit drei Jahren engagieren sie sich bei der "Aktion Brücke". "Die Schicksale der Menschen bewegen uns sehr", sagen sie. Vor allem, wenn die Betroffenen manchmal kaum älter seien als ihre eigenen beiden Teenager-Kinder. "Wenn wir nach der Tour nach Hause gehen", sagt Patrick, "dann wissen wir nochmal mehr, dass wir überhaupt keinen Grund haben über irgendwas zu meckern."
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