Hoch konzentriert blickt Martin auf die Karte vor sich. Im Lichte einer LED-Lampe, die über dem Schreibtisch hängt, dreht und wendet er sie vor sich. Dabei trägt er schwarze Einmalhandschuhe. Mit den Fingern fährt er vorsichtig am Rand der Pappkarte entlang, seine Augen scannen sie nach Unebenheiten und Beschädigungen ab.
Martin gehört zu einem kleinen, achtköpfigen Team der Firma "Absolute Objective Grading" (AOG) in Schwaig bei Nürnberg. Ihre Aufgabe: Karten, die ihnen von Sammlern geschickt werden, bewerten und ihren Zustand dokumentieren. Dazu werden die Karten anschließend in eine fest verschlossene Plastikhülle gepackt, das von einem schicken Label geziert wird. Eine so bewertete – im Fachjargon "gegradete" – Karte ist noch mehr wert. Und gerade bei seltenen – und dementsprechend wertvollen – Karten lohnt sich so eine Dienstleistung.
Tausende Euro für eine Pappkarte
Auch wenn die Pappkarten von Spielen wie Yu-Gi-Oh!, Magic: The Gathering oder dem auf Schulhöfen quasi allgegenwärtigen Pokémon dem Uneingeweihten unscheinbar vorkommen – sie können sehr viel Geld wert sein. Besonders seltene Exemplare, wie etwa das erste Glurak (eine Art Drache aus dem Pokémon-Spiel), kosten auf dem Zweitmarkt mehrere Hundert Euro. Der sogenannte "Black Lotus", eine Magic: The Gathering-Karte aus den Anfängen des Spiels von vor 30 Jahren, ist in einem schlechten Zustand etwa 18.000 Euro wert. Ein gut erhaltenes Exemplar wird derzeit für knapp 100.000 Euro angeboten, ein gegradeter "Black Lotus" kommt auf mehr als das Doppelte.
2023 schaffte es der amerikanische Rapper Post Malone in die Schlagzeilen, weil er eine einzigartige Sammelkarte ("The One Ring" aus dem Herr-der-Ringe-Set von Magic: The Gathering) für mehr als zwei Millionen US-Dollar gekauft hatte [externer Link] – eine bis dato unvorstellbare Summe für eine einzigartige Karte.
Wie schwer ist es, mit Sammelkarten Geld zu verdienen? Im BR24 vor Ort probiert Reporterin Annalena Sippl das aus.
Corona befeuerte den Hype
Natürlich sind nicht alle Karten so wertvoll wie der sagenumwobene Lotus oder der Eine Ring – viele sind nur Cent-Beträge oder fast gar nichts wert. Doch die Jagd nach den ganz teuren Karten hat in den vergangenen Jahren einen regelrechten Hype ausgelöst. Dazu hatte auch die Corona-Pandemie beigetragen: Die Menschen hatten Geld und wenig Optionen, es auszugeben.
Zu genau jener Zeit hatten Patrick Meierhofer und Patrick Kubiak die Idee, AO Grading zu gründen. Beide verbindet die Liebe zu Sammelkarten und gemeinsam wollten sie eine europäische Alternative zum amerikanischen Marktführer PSA schaffen, erzählt Meierhofer. Um die Gründung zu finanzieren, haben sie sogar einen Teil ihrer Kartensammlung verkauft.
Bayerisches Prüf-Team: Transparenter Bewertungsprozess
Wichtig war ihnen vor allem Transparenz: Also dass für den Kunden ersichtlich ist, warum eine Karte eine bestimmte Wertung bekommen hat. Der Grading-Prozess an sich ist auf der Webseite detailliert beschrieben: Wenn die Karte in Schwaig ankommt, wird sie zunächst von einem Mitarbeiter ausgepackt – das Ganze wird gefilmt, als Sicherheitsmaßnahme für Kunde und Firma.
Danach werden die Karten mit Druckluft von Staub und Partikeln befreit, bevor sie von einer selbstgeschriebenen Bilderkennungssoftware erfasst und von einem Mitarbeiter bewertet werden. Dabei bekommt die Karte am Ende eine Wertung von 1 (poor, also die schlechteste Bewertung) bis 10 (pristine). Zum Schluss werden die Karten in einem durchsichtigen Plastik-Case verschweißt.
Neben einer Portion Geduld – einige Wochen kann das Grading dauern – müssen die Kunden auch einiges an Geld mitbringen. Eine Karte hier bewerten zu lassen kostet 23 Euro. Doch das Geschäft scheint sich zu lohnen: 2.500 bis 3.500 Karten werden hier im Monat bewertet.
"Da liegt Geld auf dem Tisch"
Wie beliebt Sammelkartenspiele sind, zeigt auch ein Blick nach Fürth. Im Szene-Laden "The Attic" sitzen an einem Dienstagnachmittag Dutzende Menschen um Tische herum, zwischen jeweils eine bunte Spielmatte und viele Karten vor sich. Sie spielen Magic: The Gathering, es ist eines der wöchentlichen Treffen.
Hier wird vor allem gespielt und nicht gehandelt. Trotzdem: "Da liegt schon einiges an Geld auf dem Tisch", sagt ein Spieler. Denn gerade die spielstarken Karten sind oft die teuersten. Und in einem Kartendeck befinden sich zwischen 60 und 100 Karten.
Spielen oder Spekulieren?
Wer sich unter den Spielern umhört, lernt schnell die Seite "Cardmarket" kennen – wohl Europas größte Verkaufsplattform für Sammelkarten aller Art mit Sitz in Berlin. Nach eigenen Angaben verkaufen hier mehr als 300.000 Menschen, sowohl Händler als auch Privatleute. Findige Verkäufer besorgen sich zum Beispiel im Ausland Karten, die in den jeweiligen Ländern weniger beliebt und dadurch günstiger sind, und verkaufen sie hierzulande teurer weiter.
Oder sie suchen auf Flohmärkten nach Sammlungen und versuchen, diese einzeln auf Cardmarket teurer weiterzuverkaufen. Möglichkeiten, Geld zu verdienen, gibt es also viele. Man muss sich jedoch dafür gut auskennen. Und ob das Verkaufen mehr Spaß macht als einfach das Spiel zu spielen, ist noch eine andere Frage. Oder wie ein Spieler sagte: "Man muss Karten verkaufen, um sich neue Karten zu leisten – weil es ein sehr teures Hobby ist. Aber nur für Geld mach' ich das nicht".
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