Vier Frauen in ukrainischen Farben halten Schilder in die Höhe, auf einem steht: "Fight for them as they were fighting for us."
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Vor dem ersten EM-Spiel der ukrainischen Fußballnationalmannschaft erinnerten in München Tausende Fans des Teams an den Krieg in der Ukraine.

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Emotionaler EM-Auftakt für die Ukraine in München

In München spielte die Ukraine ihr erstes EM-Spiel, es ging gegen das Nachbarland Rumänien. Zahlreiche angereiste Rumänen feiern ausgelassen. Für viele Ukraine-Fans geht es bei dem Spiel aber um mehr als nur Fußball-Euphorie.

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Fast schon ungläubiger Jubel der Rumänien-Fans beim dritten Tor der Fußball-Nationalmannschaft in der zweiten Halbzeit gegen die Ukraine. Beim Public Viewing in der Fan-Zone im Münchner Olympiapark springen sie begeistert von der Wiese auf, jubeln ihrer Mannschaft zu, schwenken Fahnen. 3:0 für Rumänien endete das Auftaktspiel in der Gruppe E bei der Fußball-Europameisterschaft der Männer. Eine Überraschung, denn die Rumänen gingen als Außenseiter in das Duell. Blau-gelbe Ukraine-Fahnen wechseln sich beim Public Viewing im Olympiapark mit blau-gelb-roten Rumänien-Flaggen ab.

Die Stimmung wirkte friedlich. Auch wenn die ukrainischen Fans enttäuscht sind, wie die aus der Ukraine stammende Münchnerin Lena Zöllner sagt. "Es ist natürlich traurig, dass wir so deutlich verloren haben. Aber ich gönne Rumänien den Sieg." Enttäuscht sei sie nur, dass einige rumänische Fans sie mit Bier bespritzt hätten.

Ukraine-Spiel emotional aufgeladen

Schon vor dem Anpfiff war klar: Für viele Ukraine-Fans ist dieses Spiel emotional aufgeladen. Viele haben den Krieg im Heimatland im Hinterkopf – auch wenn heute der Sport, der Zusammenhalt und die Unterstützung für die eigene Fußballmannschaft im Vordergrund stehen sollen.

Demo gegen Putin und Krieg in der Ukraine

Bei einer Demonstration gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den Krieg nutzen am Mittag rund 1.000 Ukraine-Unterstützer die anstehende Sportveranstaltung als Chance, politisch ein Zeichen zu setzen. "Slava Ukraine!", riefen sie in Sprechchören auf dem Wittelsbacherplatz, auf Deutsch etwa "Ruhm und Ehre der Ukraine". Die meisten trugen blau-gelbe Trikots oder eine ukrainische Flagge um die Schulter. Mehrere Frauen verteilten selbst gebackenen Kuchen und Teilchen, ein Mann Aufkleber mit dem Aufdruck "FCK PTN". "Stopp Putin, stopp den Krieg" und "Licht wird über die Dunkelheit siegen", heißt es auf großen Transparenten vor der Bühne. Mehr Anti-Kriegs-Atmosphäre als Fußball-Vorfreude.

Ukraine will Präsenz zeigen

Auffallend viele Frauen sind unter den ukrainischen Fans in der Innenstadt. Eine von ihnen ist Julia Kovalchuk (41). Sie ist mit ihrem zehn Jahre alten Sohn, ihrer Schwägerin und deren Kind für das erste EM-Spiel ihrer Mannschaft extra aus der Westukraine angereist. "Wir sind hier, um unser Team zu unterstützen, weil wir stolz auf unser Land sind", sagt sie. Sie hoffe, dass die Ukraine bald den Krieg gewinnt, dass ihr Land der Europäischen Union beitritt. "Das hier ist eine Chance, dass die EU und die Welt uns wahrnehmen", betont sie.

Gekommen ist auch die 18-jährige Anastasia Butkevych. "Das Spiel ist wichtig für uns. Wir wollen zeigen, dass wir trotz des Krieges in unserem Land hier gut spielen können", sagt sie. Seit dem Kriegsausbruch lebt sie in München. Und wünscht sich, dass ihr Land bei der EM weiterkommt.

Viele Fußballfans bei der Demo kommen ins Reden, erzählen Geschichten von Familienangehörigen und Freunden in der Ukraine, von Verlusten, Leid, Flucht.

Nur vergleichsweise wenige Ukrainer konnten für das Spiel anreisen, schon gar nicht aus dem Land selbst, geben Olexej (25) und Oleksandr (42) zu bedenken. Sie leben seit dem Krieg in Polen und sind für die EM ein paar Tage in München. Ihr Ziel: Mehr Stimmung machen als die rumänischen Fans. Und zeigen: "Die Ukraine existiert weiter und kämpft für die Freiheit", sagen sie. Für sie Grund genug, nach dem Spiel zu feiern, egal wie es endet.

Sport lenkt vom Krieg ab

"Sport ist gerade das einzig Schöne, was vom Krieg ablenkt", ist Ruslan (23) überzeugt. Er stammt aus Charkiw und lebt seit dem Krieg in München. Ständig denke er an den Krieg zu Hause, an die Familie und Freunde, prüfe Nachrichten aus seiner Heimatregion. Es gebe wenig zu feiern. Aber man könne auch nicht "jede Sekunde traurig sein". Auch deshalb sei das Spiel wichtig. Sein Wunsch: "Ich hoffe auf ein Wunder, dass die Ukraine ins Viertel- oder Halbfinale kommt." Seine Bekannte Daria (25) betont: "Ganz Europa schaut diese EM. Und wir können zeigen: Die Ukraine existiert noch, wir leiden, aber wir kämpfen und wir sind noch da."

Ausgelassene Stimmung bei Rumänien-Fans

Wenige Meter weiter Richtung Marienplatz. Dort feierten vor dem Spiel in ausgelassener Stimmung vor allem rumänische Fans. Schon von Weitem schallten Fangesänge durch die Innenstadt. In den Cafés und Restaurants rund um den Marienplatz leuchteten zahlreiche gelbe Trikots und blau-gelb-rote Rumänien-Flaggen. Im Vergleich zu den ukrainischen Fans sind auffallend viele Männergruppen unterwegs, die laut, bunt und teilweise mit viel Bier feiern. Zwei Rumänen stehen mit einer rund zwei Meter langen Fahne auf der Mauer zum U-Bahn-Eingang und begrüßen aussteigende Fußballfans mit lauten Schlachtrufen.

"Wir haben viel Energie für unsere Mannschaft mitgebracht", sagt Rumäne Matthias Plechner (23). "Wenn wir nicht gewinnen, ist das zwar traurig, aber kein Problem." Rumänien unterstützt die Ukraine im Krieg gegen Russland. "Wir sind Freunde", meint Plechner. Er beschreibt die Atmosphäre zwischen beiden Fan-Lagern als friedlich. Für das nächste Rumänien-Spiel am Wochenende will er wieder anreisen. Für die Mannschaft der Ukraine stehen die nächsten Duelle am Freitag und in der kommenden Woche an.

Video: Ukraine zeigt durch Krieg zerstörte Fußball-Tribüne in München

Trümmerteile aus einem Stadion in Charkiw - mitten in München. Vor dem ersten EM-Spiel der Ukraine in München wurden die Sitze am Wittelsbacherplatz gezeigt.
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Trümmerteile aus einem Stadion in Charkiw - mitten in München.

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