"Selbst der Trend ist Genosse geworden." So formulierte es einst der SPD-Wahlkämpfer Karl Garbe nach der Verabschiedung des Godesberger Programms seiner Partei. Der Begriff "Genosse Trend" war geboren, der den anhaltenden Wählerzuwachs für die Sozialdemokraten seit Ende der fünfziger Jahre beschrieb.
Lange schien der "Genosse Trend" die SPD insbesondere in Bayern eher links liegen gelassen zu haben. Bis jetzt. Denn die BayernSPD kann ihren Wert im aktuellen BayernTrend verdoppeln - innerhalb von nur zwei Monaten.
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Scholz auch in BayernTrend
Im Parteienranking springen die Genossen im Freistaat von Platz 5 auf Rang 2, noch vor die Grünen. Vor wenigen Wochen noch undenkbar. Dabei ist es ein Treppenwitz der Geschichte, dass es ausgerechnet der SPD-Rechte Olaf Scholz ist, der die bayerischen Genossen wieder zum Leben erweckt. Traditionell ist die BayernSPD ein links orientierter Landesverband, der neue Partei- und Fraktionsvorsitzende Florian von Brunn spricht sich offen für eine rot-rot-grüne Bundesregierung aus und war im Kampf um den SPD-Bundesvorsitz nicht auf der Seite von Olaf Scholz.
Jetzt würden 94 Prozent der SPD-Anhänger in Bayern Olaf Scholz direkt ins Bundeskanzleramt wählen. Ein sagenhafter Wert. Zum Vergleich: nur 64 Prozent der Grünen-Anhänger würden Annalena Baerbock direkt als Kanzlerin wählen, bei Armin Laschet ist es sogar nur jeder zweite CSU-Anhänger (52 Prozent).
- Zur Übersicht: Alle Ergebnisse des BR-BayernTrends finden Sie hier
In Bayern liegen also Welten zwischen den Kanzlerkandidaten. Und so hat sich im Freistaat in den vergangenen zwei Monaten die Präferenz für die personelle Besetzung des Kanzleramts komplett gedreht. 39 Prozent der Bayern würden aktuell Olaf Scholz direkt zum Kanzler wählen, wenn sie es könnten. Nur noch 18 Prozent den Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet. Anfang Juli war das Bild umgekehrt (33 Prozent Laschet, 22 Prozent Scholz).
Grafik: Direktwahl der Kanzlerkandidaten im Vergleich
Laschet und die CSU
Es hat den Eindruck, Armin Laschet hängt wie ein Mühlstein um den Hals der CSU und zieht die Partei immer weiter nach unten, egal wie sehr sich die Christsozialen auch abstrampeln. Seit Juli hat der Unions-Kanzlerkandidat massiv an Rückhalt bei den bayerischen Wahlberechtigten verloren. Nur noch 17 Prozent sind mit der politischen Arbeit von Armin Laschet sehr zufrieden oder zufrieden. Ein sattes Minus von 17 Punkten. Im exakt gleichen Umfang legt Olaf Scholz zu und erreicht mit 57 Prozent einen deutlichen Sympathiegewinn. Zwar kommt er damit nicht an die Popularität von Ministerpräsident Markus Söder heran (63 Prozent), doch der CSU-Chef verliert im Vergleich zu Juli 7 Punkte.
Es scheint, dass Armin Laschet nicht nur der CSU als Partei, sondern auch deren Parteichef schadet. Markus Söder steckt dabei in einem handfesten Dilemma: kritisiert er Armin Laschet öffentlich und spricht Fehler im Wahlkampf des CDU-Politikers an, wird ihm dies als grobe Illoyalität im Wahlkampfendspurt ausgelegt werden. Stellt er sich weiter tapfer an die Seite von Laschet, könnte der Kanzlerkandidat Söder und die CSU womöglich auch über diese Bundestagswahl hinaus ins Umfragetief reißen. In diesem Spannungsfeld reist Armin Laschet kommenden Samstag zum Parteitag der Schwesterpartei nach Nürnberg. Es könnte ein entscheidender Auftritt werden.
- Zum Artikel: BR-BayernTrend: Klima, Zuwanderung, Ungleichheit als Hauptthemen
CSU planlos ins Umfragetief?
Was sich Markus Söder und die CSU vorwerfen lassen müssen: es war absehbar, dass der Kanzlerkandidat Laschet die Menschen – insbesondere in Bayern – nicht vom Hocker reißen würde. Das haben die Umfragen lange vorher gezeigt, deshalb wollte Markus Söder ja auch selbst als Kanzlerkandidat in den Ring steigen. Jetzt aber haben die Christsozialen offensichtlich keine Antwort auf das abschmieren ihres Kanzlerkandidaten und das damit einhergehende dramatische Umfragetief.
Die CSU schafft es nicht sich vom Bundestrend abzukoppeln. Die Bayern-Karte zieht nicht, inhaltlich kommt kein wuchtiger Aufschlag, nur eine defensive Anti-Rot-Rot-Grün-Kampagne. Das ist zu wenig um "Genosse Trend" zu drehen. Es sieht alles nach einem komplett verunglückten Bundestagswahlkampf der Union aus, an dessen Ende sich – stand heute – nicht weniger als ein politisches Erdbeben am 26. September andeutet.
Droht der Union ein böses Erwachen?
Der CSU droht ihr historisch schlechtestes Bundestagswahlergebnis. Sicher, es sind noch zweieinhalb Wochen hin bis zum Wahltag und eine Meinungsumfrage misst immer nur die aktuelle Wahlneigung der Menschen und nicht ihr tatsächliches Wahlverhalten. Doch der BayernTrend zeigt diesmal auch, dass es schwer werden wird für die CSU, die Abwärtsspirale zu durchbrechen in der sie aktuell gefangen ist. Denn 69 Prozent der befragten Bayern sagen, ihre Wahlentscheidung stehe schon so gut wie fest. Nur jeder Dritte hat seine Entscheidung noch nicht final getroffen.
Die Union und die Gunst der Jungwähler
Besonders dramatisch für die CSU: bei den über 65-jährigen, also dort wo die Union traditionell am stärksten ist, haben schon 81 Prozent ihre Wahlentscheidung so gut wie sicher getroffen. Hier gibt es also kaum noch was zu holen für die Christsozialen. Bei den jüngeren Wahlberechtigten sagen zwar überdurchschnittlich viele (39 Prozent), dass sich ihre Entscheidung bis zum Wahltag nochmals ändern könnte, doch in dieser Altersgruppe hat es die Union – Youtuber Rezo lässt grüßen – besonders schwer.
Eher können die Grünen hoffen noch den ein oder die anderen Jungwähler in den nächsten zweieinhalb Wochen von sich zu überzeugen. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Abschneiden der Grünen in diesem BayernTrend ernüchternd ist. Die Ökopartei kann nicht von der dramatischen Schwäche der CSU profitieren und obwohl das Thema Klima und Umweltschutz bei den bayerischen Wählerinnen und Wählern weiter an Bedeutung gewinnt - 44 Prozent sehen darin das wichtigste Problem, ein Plus von 8 Punkten seit Juli – verlieren die bayerischen Grünen in der Sonntagsfrage zwei Punkte im Vergleich zu Juli.
Grafik: Sonntagsfrage Bundestagswahl in Bayern
Unbeliebte Köpfe
Annalena Baerbock ist – ähnlich wie Armin Laschet für die Union – kein Zugpferd für ihre Partei. Für gerade einmal 6 Prozent der Grünen Anhänger ist die Kanzlerkandidatin das Wahlmotiv. Ein extrem schwacher Wert. Zum Vergleich: Olaf Scholz nennen 28 Prozent der SPD-Anhänger als ausschlaggebend für ihre aktuelle Parteipräferenz.
Bleiben FDP (12 Prozent), AfD (10 Prozent), Freie Wähler (7 Prozent) und Linke (3 Prozent). Jede dieser Parteien tritt in Bayern aktuell mehr oder weniger auf der Stelle. Bei den Liberalen stellt sich die Frage, ob der ein oder andere Wähler sich in der Wahlkabine doch noch aus taktischen Gründen für die Union entscheidet. Denn die FDP zu wählen um dann mit Grünen und SPD in der Regierung aufzuwachen dürfte manchen Liberalen zum Nachdenken bringen. Die AfD scheint ihr Potenzial in Bayern ausgeschöpft zu haben. Vielleicht auch weil Hubert Aiwanger mit seinem Corona-Kurs offenbar erfolgreich am rechten Rand fischt.
Das Potential der Freien Wähler
Die Freien Wähler könnten Ihr Ergebnis im Vergleich zu 2017 mehr als verdoppeln, sind von einem Einzug in den Bundestag aber dennoch meilenweit entfernt. Um bundesweit die Fünf-Prozent-Hürde zu knacken müssten Sie in ihrer Homebase Bayern deutlich mehr Prozente einfahren.
Und bei den Linken nennt man sich zwar auch Genosse, doch "Genosse Trend" ist derzeit SPD-Mitglied. Die Linke würde aktuell ihr Ergebnis von 2017 in Bayern halbieren. Bundesweit ist sie so schwach, dass sie um den Einzug in den Bundestag zittern muss.
Grafik: Die Zufriedenheit mit den Politikern im Bayerntrend
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