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Sie heißen Harmony SX, Starship 100 oder Vendetta: 2.879 Tonnen davon landen hochgerechnet pro Jahr auf bayerischen Feldern (externer Link). Es sind Pestizide, chemische oder biologische Mittel zur Bekämpfung von Schädlingen, Unkräutern oder Krankheiten, die Ernteerträge sichern. Während Pestizide weltweit in der Vergangenheit Hungersnöte abmildern konnten, stehen sie heute zunehmend in der Kritik.
User "Happy" bat kürzlich in den Kommentarspalten ganz direkt: "Lieber BR24, wie wäre es mal mit einem Artikel, wie die Erträge ohne Pestizide aussähen? Und welche Mittel bei Bio-Bauern verwendet werden dürfen. Die scheinen nämlich auch nicht gesund zu sein."
Organisch und synthetisch: Unterschiede bei Pestiziden
Zunächst einmal: Pestizide lassen sich in biologische, organische Mittel der Schädlingsbekämpfung und in chemische, teils synthetisierte Varianten unterteilen. Letztere wurden seit den 1950ern entwickelt, um die wachsende Weltbevölkerung durch industrialisierte Landwirtschaft zu ernähren. Heute sind viele der damaligen Stoffe verboten, DDT stellte sich beispielsweise als krebserregend heraus. Heute ist klar, dass einige Spritzmittel Parkinson verursachen können.
Inzwischen wird aufwendig geprüft, wie sicher und wirksam Pflanzenschutzmittel sind, bevor sie eingesetzt werden. In Bayern kontrolliert das unter anderem die Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) und deren Institut für Pflanzenschutz. Moderne chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel seien präzise Werkzeuge, deren Menge heute genau gesteuert und mittels digitaler Technik sogar reduziert werden könne, heißt es dort. "Riskiert man den Ausfall von Ernten, ist es Lebensmittelverschwendung auf dem Acker. Das ist die grundsätzliche Problemstellung", so Rainer Winter vom LfL.
Was weniger Pestizide bedeuten
Insgesamt bestehe beim Thema Ernte ein "Zielkonflikt zwischen Ökologie und Produktivität", wie es der Agrarwissenschaftler Urs Niggli nennt. Ohne Pestizide hängt der Ertrag stärker von Wetter und Bodenverhältnissen ab – und kann geringer ausfallen, rechnet Niggli in seinem Buch "Alle satt? Ernährung sichern für 10 Milliarden Menschen" vor.
Biologisch bewirtschaftete Kartoffelfelder würden 40 bis 60 Prozent weniger Früchte abwerfen als konventionelle Flächen, beim Getreide sind es 15 bis 50 Prozent weniger. Niggli gilt als Vordenker des Ökolandbaus, selbst er räumte allerdings 2021 ein: "Der Biolandbau, so wie er heute funktioniert, eignet sich aber aus verschiedenen Gründen nicht, um das Problem der globalen Ernährungssicherheit auf nachhaltige Art zu lösen."
Was die Erträge im Vergleich zwischen ökologischem und konventionellem Anbau angeht, gibt es jedoch unterschiedliche Studienergebnisse: "Ernährungssicherung ist auch mit 100 Prozent Ökolandbau möglich", sagt Thomas Lang von der bayerischen Landesvereinigung für den ökologischen Landbau (LVÖ) auf BR24-Anfrage und verweist dabei auf Berechnungen des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung oder der UN-Organisation FAO (externe Links). "Wir sind überzeugt davon: Ein pestizid-freies Bayern ist möglich!", so Lang. "Nicht von jetzt auf gleich, aber sehr wohl langfristig gedacht und durch den systemischen Ansatz des Ökolandbaus."
Pestizidfreier Anbau: Gleichzeitig Utopie und Ziel?
Zudem kommt auch der Ökolandbau nicht ohne Pestizide aus – und steht teilweise in der Kritik für zulässige Mittel, wie User "Schwarzerpeter" kommentierte. Ein Beispiel: Die sogenannte Bordeauxbrühe im biologischen Weinanbau, ein traditionelles Mittel gegen Pilzbefall aus Kupfer und Kalk – dessen Schwermetall-Anteil sich allerdings im Boden anreichert.
Auch bei zugelassenen Pestiziden wird laut LfL geforscht, wie weniger davon effizienter eingesetzt werden könne: "Es gibt keinen wissenschaftlichen Konsens, dass diese (Pestizide, Anm. d. Redaktion) vollständig zu vermeiden sind – aber man forscht nach neuen Methoden, wie diese noch sicherer und noch präziser eingesetzt werden können."
Ernährung als Teil der Lösung
Jenseits der Produktivität spielt zunehmend die Klimabilanz von Pestiziden eine Rolle: "Die gesellschaftlichen Folgekosten aus Herstellung und Anwendung der chemisch-synthetischen Pestizide sind enorm", so Thomas Lang vom LVÖ und spielt damit neben gesundheitlichen Folgen auch auf die energieintensive Herstellung an.
Diese Faktoren berechnet auch ein Konzept mit ein, das Ernährung in Industrieländern als Entscheidungsfrage betrachtet: Für die "Planetary Health Diet" haben Wissenschaftler ausgerechnet, wie viel von welchem Lebensmittel jeweils gesund ist – für den Körper und den Planeten.
Ein Fazit: Für eine umweltbewusste Ernährung müssten sich Konsumenten und Landwirtschaft umorientieren, weg von hohen Erträgen, hin zu mehr pflanzenbasierten Lebensmitteln. Wird weniger Anbaufläche für Futtermittel genutzt, könnte der geringere Ertrag von Ökolandbauflächen ausgeglichen werden – so die Theorie.
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