Die Staatsanwaltschaft sei das "schärfste Schwert zur Aufklärung", sagt das bayerische Justizministerium. Strafrechtler ziehen das jedoch in Zweifel, zumindest was die Aufklärung der Foltervorwürfe gegen die JVA Gablingen betrifft.
Vom Ministerium zur Justiz
Konkret geht es um eine Mail, die die frühere Gefängnis-Ärztin vor einem Jahr ans Justizministerium geschickt hat. Darin ist von verzweifelten Häftlingen die Rede, die teils über Wochen in sogenannten "besonders gesicherten Hafträumen" (BgH) eingesperrt worden sein sollen. Ohne ersichtlichen Grund. Auf eineinhalb Seiten schildert die Ärztin detailliert ihre Erfahrungen. Das Justizministerium leitet das Schreiben vor einem Jahr an die Staatsanwaltschaft Augsburg weiter.
Staatsanwaltschaft: Rückschlüsse auf Straftaten "nicht zwingend"
Dort beginnt man mit Vorermittlungen. Doch der Fall wird vorerst zu den Akten gelegt. Die Behörde betont, dass das Schreiben der Ärztin "allgemein gehalten" sei. Rückschlüsse auf konkrete Straftaten hätte die Mail "nicht zwingend" zugelassen", – insbesondere im Hinblick auf die Unterbringung in BgH-Zellen, so die Staatsanwaltschaft. Laut dem Justizministerium seien neben der Ärztin auch noch zwei weitere Mediziner der JVA von der Staatsanwaltschaft angehört worden.
Kritik an der Staatsanwaltschaft
Strafrechtler üben nun Kritik an der Staatsanwaltschaft Augsburg. "Selbstverständlich" hätte die Behörde schon auf Grundlage des Briefs ermitteln können, "die Anhaltspunkte sind konkret genug", sagt Henning Müller, Professor für Strafrecht an der Uni Regensburg. "Ich habe schon viele Strafverfahren verfolgt, in denen der Staatsanwaltschaft weit weniger tatsächliche Anhaltspunkte für einen Anfangsverdacht genügten."
Ähnlich sieht es Professor Michael Kubiciel, Strafrechtler an der Uni Augsburg. Wie umfangreich die Vorermittlungen waren, könne er nicht beurteilen. Doch der Hinweis sei schließlich von einer Person gekommen, "die beruflich eng mit den geschilderten Vorfällen in Verbindung stand". Die Vorfälle seien "konkret geschildert" worden. Beide Professoren kennen den genauen Inhalt der Mail, die die Ärztin verfasst hat.
Zu spätes Einschreiten: Beweisverlust?
Der Handlungsbedarf sei "sehr dringlich" gewesen, sagt Strafrechtler Müller. Einerseits, um möglicherweise weitere Straftaten zu verhindern, "falls die in der Mail geschilderte Praxis nach dem Oktober 2023 nicht aufgehört hat". Andererseits, um Spuren zu sichern. Immerhin schilderte die Ärztin in ihrem Brief bereits Vertuschungsversuche durch die JVA. "Erfolgt eine Durchsuchung nach einem Jahr, ist die Gefahr eines Beweisverlustes natürlich sehr groß. Das kann dazu führen, dass am Ende nur noch Aussage gegen Aussage steht", so Professor Kubiciel.
Geschredderte Akten, eingestellte Ermittlungen
Auch im Justizausschuss des Landtags wurden inzwischen Sorgen geäußert, dass womöglich Straftaten in der JVA verdunkelt wurden. Die Staatsanwaltschaft Augsburg gab bekannt, dass drei JVA-Angestellte aktuell verdächtigt werden, nach der Razzia vor knapp drei Wochen Akten geschreddert zu haben. Die Schriftsätze sollen nun wiederhergestellt werden.
Die Staatsanwaltschaft Augsburg betont, dass die Vorermittlungen zum Schreiben der Ärztin zwar eingestellt worden seien. Doch schon kurz darauf habe man sie wieder aufgenommen. Zuvor seien weitere Hinweise und Anzeigen eingegangen. Dabei seien der Behörde insbesondere Angaben zu konkreten Vorfällen gemacht worden. Damit habe dann auch ein Anfangsverdacht "für eine bestimmte verfolgbare Straftat vorgelegen".
Eine Frage der Grundrechte
Gut ein dreiviertel Jahr nach dem Schreiben der Ärztin leitete die Staatsanwaltschaft Augsburg ein Ermittlungsverfahren ein. Eine Durchsuchung der JVA fand ein Jahr nach der Mail statt. Alle beteiligten Institutionen sollten sich die Frage stellen, "wer sich hier dem Schutz der Grundrechte der in besonderem Maße staatlicher Gewalt unterworfenen Strafgefangenen verpflichtet gefühlt hat", bilanziert Strafrechtler Kubiciel.
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