Wenige Wochen vor dem Ende seiner Amtszeit hat Joe Biden dem Drängen aus Kiew nachgegeben: Die USA haben der ukrainischen Armee den Einsatz von Waffen mit größerer Reichweite genehmigt, um Ziele jenseits der Grenze im russischen Hinterland angreifen zu können. Das markiert einen Strategiewechsel, der offenbar im Zusammenhang mit dem Einsatz tausender nordkoreanischer Soldaten in der russischen Grenzregion Kursk steht.
Nach Informationen der "New York Times" erlaubte Biden nun erstmals den Einsatz von Raketen des Typs ATACMS (Army Tactical Missile System) mit dem Ziel, die ukrainischen Kräfte in Kursk zu unterstützen. Diese Raketen haben eine Reichweite von bis zu 300 Kilometern und wurden konzipiert, um feindliche Truppen und Gerät weit hinter den Frontlinien bekämpfen zu können. Auch die Nachrichtenagenturen Reuters und AP berichteten entsprechend.
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Lange hält ATACMS-Freigabe für überfällig
Der Militärexperte Nico Lange von der Münchner Sicherheitskonferenz hält die Entscheidung Bidens für überfällig. "Die Freigabe kommt sehr spät", sagte Lange bei BR24live. "Es wäre besser gewesen, wenn man zum Beispiel ganz aktuell die nordkoreanischen Truppen hätte angreifen können, als sie noch in Bereitstellungsräumen waren, weiter weg von der Front."
Bei ATACMS handle es sich um ein bodengebundenes System: "Von Fahrzeugen, die auf dem Boden stehen, werden Raketen abgeschossen, die bis zu 300 Kilometer fliegen – und dann sehr genau Ziele treffen können." Die Ukraine könne damit etwa Truppen, Flugplätze oder Abschussrampen in Russland angreifen.
Noch stünde der Ukraine aber nur eine geringe Anzahl solcher Raketen zur Verfügung, sagte Lange. Er rechne damit, dass jetzt auch England und Frankreich der Ukraine die weitergehende Nutzung ähnlicher Waffensysteme erlauben. Zum Hintergrund der US-Entscheidung sagte Lange: "Man will den Russen und auch den Nordkoreanern, glaube ich, eine ganz klare Botschaft senden."
Pistorius: 4.000 KI-Drohnen für die Ukraine
Die Bundesregierung bereitet derweil die Lieferung von 4.000 bewaffneten Drohnen an die Ukraine vor. Das teilte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums in Berlin mit. Nach Informationen der "Bild"-Zeitung handelt es sich dabei um Angriffsdrohnen, die nicht von Menschen, sondern von künstlicher Intelligenz gesteuert werden.
Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte bereits im Juni die Lieferung tausender Kampfdrohnen an die Ukraine angekündigt, ohne weitere Details zu nennen. Bei einem Termin in Donauwörth bestätigte er jetzt die Lieferung. Die Drohnen könnten "die gegnerische elektronische Drohnenabwehr gewissermaßen außer Funktion setzen, umfliegen", sagte Pistorius. Sie seien in der Lage, "30, 40 Kilometer ins Hinterland zu wirken und dann insbesondere Gefechtsstände, logistische Knoten und anderes anzugreifen".
Drohnen-Vertrag mit der Ukraine
Nach Informationen der "Bild" hatte das bayerische Software-Unternehmen Helsing im September einen Vertrag über 4.000 sogenannte "Strike-Drohnen" mit dem ukrainischen Verteidigungsministerium abgeschlossen. Finanziert werde das Projekt durch die Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung.
Die KI-gesteuerten Drohnen tragen demnach auch den Spitznamen "Mini-Taurus". Der Name ist ein Verweis auf den Taurus-Marschflugkörper mit einer Reichweite von mehr als 500 Kilometern, um dessen Lieferung die ukrainische Regierung wiederholt gebeten hat. Die Bundesregierung, allen voran Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), lehnt die Lieferung der Marschflugkörper an Kiew jedoch ab. Er verweist dabei auf eine drohende Eskalation mit Russland.
Lange: "Putin eskaliert diesen Krieg jeden Tag"
Sicherheitsexperte Lange rechnet nach eigenen Angaben nicht damit, dass Scholz seine Haltung zu einer Taurus-Lieferung nochmal ändert. Laut ihm sollte die Bundesregierung aber schon jetzt eine mögliche Lieferung vorbereiten lassen, damit die nächste Bundesregierung eine Taurus-Lieferung schnell starten könnte. "Das wäre auch eine Frage der Verantwortung."
Die Sorge, dass durch die neuen Waffenlieferungen und Erlaubnisse an die Ukraine der Krieg weiter eskaliere, bezeichnete Lange als Missverständnis. "Putin eskaliert diesen Krieg jeden Tag, gemeinsam mit Nordkorea. Er schießt heute ballistische Raketen mit Cluster-Sprengköpfen auf Zivilisten in Odessa, schickt jede Nacht Drohnen und Marschflugkörper in die Ukraine." Lange findet es "verwunderlich, dass immer von Eskalation gesprochen werde, "wenn die Ukraine sich wehrt".
Mit Informationen von AFP
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