Die Kernenergie in Deutschland ist seit mehr als einem Jahr Geschichte – ihr Erbe aber bleibt, eingelagert in etwa 1.900 Behälter mit hochradioaktivem Atommüll. Ein Endlager dafür gibt es nicht, bis 2031 sollte aber zumindest ein geeigneter Standort feststehen. Dass daraus nichts wird, ist schon lange absehbar. Dass allein die Suche nach dem Standort möglicherweise aber noch ein halbes Jahrhundert – bis 2074 – dauern könnte, ist neu.
Das geht aus einem Gutachten des Öko-Instituts hervor, das vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) in Auftrag gegeben wurde und seit dieser Woche publik ist. Zuerst hatte der Deutschlandfunk darüber berichtet (externer Link). Solange es kein Endlager gibt, bleibt der Atommüll also verteilt auf 16 Zwischenlager in ganz Deutschland.
Niederaichbachs Bürgermeister ist genervt
Mit den Standorten Grafenrheinfeld, Gundremmingen und Isar befinden sich drei von diesen Zwischenlagern in Bayern. In Niederaichbach im Landkreis Landshut zeigt sich Bürgermeister Josef Klaus (CSU) zunehmend genervt: "Jedes Jahr kommt eine neue Zahl. So wird man den Bürgern gegenüber unglaubwürdig."
Niemand, der aktuell in Niederaichbach lebt, werde erleben, dass sich der Atommüll in einem Endlager befindet, ist sich Klaus sicher: "Noch nicht einmal der Säugling, der letzte Woche geboren wurde." Denn mit der Suche nach einem Standort allein ist es nicht getan. Auch für den Bau und die Einlagerung werden Jahrzehnte veranschlagt. "Heute schon muss ich davon ausgehen, dass der Atommüll in 100 Jahren noch hier sein wird", so der Bürgermeister.
Viele Fragen sind noch offen
In der kleinen Gemeinde sorgt das für Unmut. Denn das Zwischenlager Isar ist nur bis 2047 genehmigt. Mancherorts in Deutschland läuft die Genehmigung auch schon früher ab. Bürgermeister Josef Klaus treiben viele Fragen um: "Wie wird sich der Behälter in diesen langen Zeiträumen verändern? Wie sieht es mit dem Inhalt und mit dem Gebäude aus? Das kann jetzt noch keiner verlässlich beantworten."
Längere Suche – man hat sich darauf vorbereitet
Ist also die Sicherheit nur bis 2047 gewährleistet? Dem widerspricht Stefan Mirbeth von der Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ). Vielmehr habe man sich schon seit der Gründung darauf vorbereitet, dass es länger gehen könnte: "Die Behälter sind darauf ausgelegt, dass sie deutlich länger als die veranschlagten 40 Jahre die atomaren Abfälle einschließen, sicher verwahren und die Wärme abführen können."
In verschiedenen Forschungsprojekten solle außerdem genau erfasst werden, ob und wie sich Gebäude, Behälter und radioaktiver Inhalt verändern – um dann entsprechend reagieren zu können. "Die Erkenntnisse werden wir dann auch in unsere Nachweispflicht für die Neugenehmigung mit einbringen. Denn die braucht es natürlich."
Ständige Überprüfungen seien ohnehin Teil der festen Sicherheitsauflagen: "Diese setzen wir heute um, diese werden wir morgen umsetzen und diese werden wir auch in den nächsten Jahrzehnten umsetzen."
So soll die Suche nach einem Endlager aussehen
Wie die Suche nach einem Endlager in genau diesen Jahrzehnten ablaufen wird, hat das Öko-Institut auf über 300 Seiten untersucht. In einem stufenweisen Verfahren soll nach und nach ausgesiebt werden – um am Ende den bestmöglichen Standort in Deutschland definieren zu können. Um das Verfahren zu beschleunigen, regt das Öko-Institut an, die Zahl der möglichen Endlager-Regionen früher einzugrenzen. Denn diese müssen alle intensiv und damit auch zeitaufwendig untersucht werden.
Wie lange wird die Standort-Auswahl also wirklich dauern? Hier gehen die Meinungen weiter auseinander. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung selbst schreibt, dass eine Entscheidung frühestens 2040 fallen könnte. Das Bundesumweltministerium geht von 2050 aus. Ausgeschlossen wird nur eine Jahreszahl: 2031, so wie ursprünglich im Standortauswahlgesetz angestrebt.
Kommunen fordern Ausgleichszahlungen
Bleibt noch die Frage nach den Kosten – denn eine längere Suche nach einem Endlager treibt auch die Ausgaben für die 16 Zwischenlager in die Höhe. Allein am Standort Isar fallen derzeit jährlich rund 10 Millionen Euro an. Und auch die betroffenen Kommunen monieren den Verlust von Steuereinnahmen. Denn solange die Zwischenlager vonnöten sind, können die Gewerbeflächen nicht anderweitig genutzt werden. Sie fordern deswegen Ausgleichszahlungen – auch abhängig davon, wie viele Behälter mit Atommüll an den jeweiligen Standorten untergebracht sind.
Die größte Gefahr ist aus Sicht von Klaus-Jürgen Röhlig, Professor für Endlagersysteme, aber, dass der Standortauswahlprozess immer weiter verschleppt werden und in Vergessenheit geraten könnte. Im politischen und medialen Raum sei das Interesse bereits zurückgegangen. Deswegen könne es durchaus passieren, dass der Prozess scheitert und es kein Endlager gibt. So könnten die 16 Zwischenlager quasi zu einem Endlager werden – und aus dem Provisorium ein Dauerzustand.
Im Video: Isar II bleibt lange Zwischenlager
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