Die 22-jährige Aiko kann ihr Glück kaum fassen: Zum ersten Mal in ihrem Leben trägt sie ein waschechtes bayerisches Dirndl. Kein billiges Oktoberfest-Imitat etwa, so wie es auch in ihrer Heimatstadt Amagasaki zu haben ist. Nein: Im Augsburger Jakobssaal gibt’s nach Originalen angefertigte Einzelstücke zur Anprobe. Feine Schnitte und hochwertige Stoffe, so wie sie im 18. und 19. Jahrhundert in Schwaben getragen wurden. Vorsichtig streicht Aiko über das samtartige Material. Nach Augsburg gekommen sind die japanischen Jugendlichen im Rahmen eines Kulturaustausches zwischen den Partnerstädten Augsburg, Amagasaki und Nagahama.
Historische und handgenähte Trachten
Ausgesucht hat die Gewänder die Trachtenberaterin Monika Hoede vom Bezirk Schwaben. Die passionierte Volkskundlerin kennt jedes Stück genau: Immerhin hat sie viele davon selbst genäht, was man bei ihr in Kursen auch lernen kann. Mit ihrem Team hat sie die Anprobe der japanischen Delegation genauestens vorbereitet.
So trägt die 21-jährige Yudie ein hellblaues, hochgeschlossenes Gewand mit goldfarbenen Applikationen auf der Schürze. "Das fühlt sich an wie das Kleid einer Königin", ruft sie den staunenden Frauen ihrer Gruppe zu, von denen jede das noch schönere Bild mit der Handykamera einfangen will.
Im Nebenraum versucht der 21-jährige Harada in eine dunkle Lederhose zu steigen, doch das gestaltet sich schwieriger als erwartet. "This is my new Lederhose", zwinkert er den umstehenden Beobachtern zu. Alexander Smit vom Trachtenteam des Bezirks Schwaben kommt hinzu und hilft. Und er hat auch gleich ein paar Fakten zu Hand. "Die Stücke, die Sie hier sehen, die stammen aus dem Nördlinger Ries", sagt er auf Englisch. "Solche Kleidung hat man hier in der Region im 18. Jahrhundert getragen, also in der Zeit des berühmten Komponisten Mozart."
Wie die Idee zum Kleider-Austausch entstand
Zurück im 21. Jahrhundert: Im Jahr 2015 war es, als eine Delegation der Stadt Augsburg in den japanischen Partnerstädten Amagasaki und Nagahama zu Besuch gewesen war. Dort wurden die Teilnehmer nicht nur herzlich empfangen, sondern auch in traditionelle Kimonos gekleidet, jene tunika-artigen Mäntel, die in der Mitte durch einen breiten Gürtel zusammen gehalten werden. Als dann der Gegenbesuch in der Stadt Augsburg geplant wurde, da kamen die Schwaben auf die Idee, die Japaner hier bei uns in historische Trachten aus der Region schlüpfen zu lassen.
Schwäbische Original-Trachten
So steckten die Japaner 2019 dann zum ersten Mal in Augsburg in schwäbischen Dirndl und Lederhosen. Und sie waren so begeistert, dass die Trachten-Anprobe wohl zu einem festen Programmpunkt der Partnerstadt-Besuche werden wird. Denn auch heuer wieder fühlten sich die Gäste pudelwohl.
Kein Wunder: Denn für Monika Hoede sind die Kleider ein Stück gelebter Tradition: "Hier haben Sie etwas typisch Schwäbisches, das gibt es tatsächlich nur im Bezirk Schwaben: Das ist die Regina-Haube." Die Trachtenberaterin hält eine dunkle, nach oben hin spitz zulaufende Haube in den Händen. Am oberen Ende glänzt goldgelb eine Art Heiligenschein. "Der Name legt nahe, dass die Haube von einer Königin ist und die hat man bis zum 19. Jahrhundert getragen."
Kulturaustausch mit lebendiger Tradition
Die jungen Leute machen große Augen, dann tuscheln sie sich etwas zu, so als gebe es ein Geheimnis auszutauschen. Dann kommt der große Moment, in dem Hiodi die Regina-Haube aufsetzen darf. "Das ist für mich wirklich besonders. Ich kann mir sogar ein bisschen vorstellen, wie sich das für die Leute angefühlt haben muss, solche Kleidung zu tragen."
Auch Monika Hoede, die Trachtenberaterin des Bezirks Schwaben ist glücklich, so viele lachende Besucher ums sich zu sehen. Und als das Gruppenfoto vor dem Jakobssaal aufgenommen wird, sagt sie uns: "Wir haben zwar viele Sicherheitsnadeln gebraucht, weil wir sehr zierliche Models haben. Und ich bin dankbar, das in dieser Kombination auch einmal selbst erleben zu dürfen und nicht immer nur an Puppen zu sehen."
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