Hamburg, Juni 1980: Die "Internationale Konferenz der Opfer des Radikalenerlasses", der teils zu De-facto-Berufsverboten führte (Symbolbild).
Bildrechte: pa/imageBROKER/Klaus Rose
Audiobeitrag

Hamburg, Juni 1980: Die "Internationale Konferenz der Opfer des Radikalenerlasses", der teils zu De-facto-Berufsverboten führte (Symbolbild).

Audiobeitrag
>

Bayern will Aktivistin nicht als Lehrerin: Radikalenerlass 2.0?

Bayern will Aktivistin nicht als Lehrerin: Radikalenerlass 2.0?

Darf eine linke Aktivistin, gegen die ermittelt wird, das Referendariat zum Lehramt machen? Bayerns Kultusministerium sagt bisher: Nein. Der Fall führt grundsätzlich zu der Frage: Was dürfen (angehende) Lehrkräfte in ihrer Freizeit, was nicht?

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Ihr Fall sorgt für Aufsehen: Lisa Poettinger ist laut Bayerns Kultusministerium nicht geeignet für das Referendariat zum Lehramt. Ihr erstes Staatsexamen hat sie zwar absolviert. Das Ministerium verweist aber in einem Brief an Poettinger auf deren Rolle als Aktivistin. Sie selbst bezeichnet sich als Marxistin und Kapitalismus-Kritikerin, hat ein AfD-Wahlplakat beschädigt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, weil sie beim Protest gegen den Braunkohle-Abbau in Lützerath Polizeibeamte attackiert haben soll.

Poettingers Fall führt zu grundsätzlichen Fragen: Was dürfen (angehende) Lehrkräfte in Bayern in ihrer Freizeit? Was nicht? Und wann wird ihre Vergangenheit zum Problem?

Verfassungstreue: Wer sich bewirbt, muss Fragebogen ausfüllen

Wer im Staatsdienst arbeiten will, ob als Lehrkraft oder in einem anderen Beruf, muss mehrere Kriterien erfüllen. Neben der fachlichen Eignung ist die charakterliche Eignung wichtig: Es darf keine Zweifel an der Verfassungstreue geben. Deshalb findet bei jedem Einstellungsverfahren eine Prüfung dieser Verfassungstreue statt, unter anderem mit einem Fragebogen. Den Ablauf regelt die "Bekanntmachung über die Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst" (externer Link).

Wichtig ist dabei ein Verzeichnis extremistischer oder extremistisch beeinflusster Organisationen. In Bayern wird es vom Innenministerium veröffentlicht, die aktuelle Liste ist hier abrufbar (externer Link). Ist man bei einer dieser Gruppierungen Mitglied, zieht das mindestens Fragen nach sich.

Wann kommt der Verfassungsschutz ins Spiel?

Gibt es Zweifel, dass die Bewerberin oder der Bewerber für den öffentlichen Dienst geeignet ist, kommt das Landesamt für Verfassungsschutz ins Spiel. Dort wird nachgefragt, "ob Tatsachen bekannt sind, die Bedenken gegen die Einstellung begründen". Die Verfassungsschützer müssen "unverzüglich" antworten – und dürfen nur gerichtsverwertbare Erkenntnisse übermitteln.

Bleiben oder erhärten sich die Zweifel, auch nach einer persönlichen Anhörung, darf der Bewerber nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt werden. Entschieden wird immer im Einzelfall.

Lehrkräfte als "Vorbilder" für die Schülerinnen und Schüler

Bayerns Kultusministerium äußert sich zum Fall Poettinger bisher nicht öffentlich. Abschließend entschieden ist bisher nichts. Ein Ministeriumssprecher betont auf BR24-Anfrage generell: "Der Freistaat Bayern hat sicherzustellen, dass sich Personen, die in den Staatsdienst aufgenommen werden, durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes (FDGO) bekennen."

Bei den Schulen muss demnach ganz besonders hingeschaut werden. "Lehrkräfte haben wie kaum eine andere Beamtengruppe Einfluss auf junge Menschen und ihre Entwicklung", betont der Ministeriumssprecher. "Lehrerinnen und Lehrer sind in ihrem Auftreten innerhalb und außerhalb der Schule Vorbilder für die ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schüler."

Ministerium spricht von "sehr seltenen Einzelfällen"

Nicht in den Staatsdienst eingestellt werde jemand, "wenn aufgrund des bisherigen Auftretens, öffentlicher Äußerungen oder der Mitgliedschaft in extremistischen Organisationen begründete Bedenken bestehen". Gleiches gelte für Lehrkräfte, die sich bereits im Staatsdienst befinden und sich in oben beschriebener Weise äußern oder hervortreten. "Wir betonen hierbei jedoch, dass es sich auch bei solchen Vorkommnissen um sehr seltene Einzelfälle handelt", heißt es vom Ministerium.

Laut dem Kultusministerium wurden auch in der Vergangenheit immer wieder Bewerber abgelehnt – allerdings offenbar nicht aus politischen Gründen. Sondern wegen Straftaten wie Kindesmisshandlung, Drogenmissbrauch oder Freiheitsstrafen von zwei Jahren und mehr.

Radikalenerlass: Regelabfrage in Bayern endete 1991

Manche Beobachter erinnert der Fall Poettinger an den sogenannten Radikalenerlass in den 1970er- und 1980er-Jahren. Damals wurde immer eine Anfrage beim Bundesamt für Verfassungsschutz gestellt, wenn sich jemand für eine Stelle im öffentlichen Dienst bewarb. Allein in Bayern wurden hunderte Lehrkräfte wegen linker politischer Aktivitäten von einer Beamtenlaufbahn ausgeschlossen. Wegen rechtsradikaler Ansichten traf es nur sehr wenige.

Bayern setzte den Radikalenerlass besonders rigoros um, schaffte die Regelabfrage beim Verfassungsschutz 1991 als letztes Bundesland ab. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hält auch den jetzigen Fragebogen für problematisch: "Aufgelistet werden dort auch linke Organisationen und Parteien, die eines gemeinsam haben: Es sind legale Organisationen." Deshalb fordere man "die Abschaffung dieses Fragebogens und die Rehabilitierung sowie Entschädigung der vom sogenannten Radikalenerlass Betroffenen".

Im Video: Staatskanzleichef Herrmann zum Fall Poettinger

München, 28.01.25: Florian Herrmann (CSU), Leiter der bayerischen Staatskanzlei, nimmt nach einer Kabinettssitzung an Pressekonferenz teil.
Bildrechte: pa/dpa/Sven Hoppe
Videobeitrag

München, 28.01.25: Florian Herrmann (CSU), Leiter der bayerischen Staatskanzlei, nimmt nach einer Kabinettssitzung an Pressekonferenz teil.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!