Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und gefährliche Körperverletzung in 14 Fällen sowie Beihilfe dazu: Das sind die juristischen Begriffe für das, was vier jungen Männern aus dem Raum Göppingen vorgeworfen wird. Sie müssen sich vor dem Augsburger Landgericht verantworten. Der Hauptangeklagte ist ein 28-jähriger Mann, der am 11. November während des Spiels gegen Hoffenheim im Stadion des FC Augsburg festgenommen wurde. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft.
Zuschauer hatten Angst vor Anschlag
Was war passiert? In der 57. Spielminute kracht es ohrenbetäubend. Ein weißer Blitz ist zu sehen. Sofort eilen Ordner und Rettungskräfte zur Gäste-Tribüne der WWK-Arena. Die 13-jährige Anna, eine Schülerin aus Augsburg, sitzt mit Klassenkameraden neben dem Gästeblock im Publikum. Sie bekommt alles aus nächster Nähe mit: "Aus dem linken Augenwinkel habe ich gesehen, in einem langen Bogen, wie der Böller geflogen ist. Und es war sehr laut." Weil sie nicht weiß, was los ist, springt sie sofort vom Sitz hoch: "Wir sind rausgerannt. Wir hatten panische Angst, dass die uns was antun. Wir wussten nicht, ist da jemand bewaffnet? Ist das ein Anschlag?"
Spiel wird unterbrochen
Der Schiedsrichter unterbricht das Spiel des FC Augsburg gegen die TSG Hoffenheim. Mit weißen Stoffbahnen werden mehrere Sitzreihen abgeschirmt, Sanitäter übernehmen die Erstversorgung der Verletzten. Mehrere von ihnen müssen später im Krankenhaus behandelt werden. Das Spiel wird für mehrere Minuten lang eingefroren. Sieben Minuten dauert es, bis sich der Schiedsrichter dann für das Weiterspielen entscheidet. Die Ersatzspieler des FCA Augsburg, die sich direkt unter der Gäste-Tribüne warmgelaufen haben, kommen mit dem Schrecken davon. "Ich habe noch nie einen so lauten Knall in einem Fußballstadion gehört", sagt später auch Schiedsrichter Felix Brych.
Viele sehr junge Verletzte
Wie sich später herausstellt, wurden 14 Menschen durch den Böllerwurf verletzt. Sie erleiden Hörprobleme, Trommelfellverletzungen, Kopfschmerzen, Blutergüsse durch herumfliegende Böllerteile. Es gibt sogar offene Fleischwunden. Viele Betroffene gehen noch zur Schule, das jüngste Opfer ist gerade mal sieben Jahre alt. Der Grundschüler kommt zwar ohne äußere Blessuren davon, ist aber noch tagelang verängstigt von dem Vorfall, wie seine Eltern berichten.
Besonders viele Kinder im Publikum
Viele andere behalten die Ruhe, bleiben auf ihrem Platz, verhindern so möglicherweise Schlimmeres. In Augsburg gehen viele Eltern mit ihren Kindern ins Stadion, im Familienblock können auch kleinere Fans ihren FCA erleben. Bei diesem Spiel im November aber sind noch mehr Kinder und Jugendliche als sonst dabei, denn das Gymnasium Maria Stern ist mit rund 300 Schülerinnen und Schülern da. Sie haben wie die 13-jährige Anna Freitickets bekommen, weil sie beim Projekt "Stadtradeln" besonders gut abgeschnitten haben. Und sie sitzen direkt neben dem Gästeblock, wo die Hoffenheim-Fans ihre Plätze haben.
Staatsanwaltschaft sieht klaren Tatplan
Gezündet wurde nur ein Böller, sagen die Ermittler. Mindestens einen weiteren fanden sie dann aber am Boden, mit Spuren eines Angeklagten darauf, wie der BR erfuhr. In Deutschland ist für solche Böller eine sprengstoffrechtliche Erlaubnis erforderlich, weil ihre Explosionswirkung deutlich über im Inland zugelassene Feuerwerkskörper hinausgehe. Der Angeklagte soll die Explosion geplant haben, die drei Mitangeklagten hätten ihn bei der Durchführung unterstützt, so der Vorwurf. Per WhatsApp-Chat habe man besprochen, wie es ablaufen solle, so die Staatsanwaltschaft Augsburg.
Böller zündet heftig
Der verwendete Knaller ist ein sogenannter Mamba-Böller. Diese werden unter anderem übers Internet vertrieben, dürfen aber eigentlich nur an Kunden mit entsprechender Lizenz verkauft werden. Auf dem Schwarzmarkt sind sie trotzdem zu bekommen. Sie sind nicht mit Schwarzpulver gefüllt, sondern mit sogenanntem Blitzknallsatz, einer Mischung aus einem Oxidationsmittel und feinem Metallpulver, kurz BKS – eine aggressive Mischung. Blitzknallsätze seien empfindlich gegenüber elektrostatischer Aufladung, Hitze, und sie seien zudem schlagempfindlich und sensibel gegen jegliche mechanische Belastung, heißt es bei der Firma Röder, einem professionellen Feuerwerkhersteller im fränkischen Schlüsselfeld. "Das gilt für die meisten pyrotechnischen Sätze, bei BKS ist das aber besonders ernst zu nehmen", so die Röder-Experten. Nichts für Amateure also.
Wie kommt das verbotene explosive Material ins Stadion?
Die Böller sind klein und handlich. Für einen lauten Knall und den typischen hellen Feuerblitz reichen 20 Gramm Blitzknallsatz, vergleichbar mit dem Gewicht von sechs Stück Würfelzucker. Somit ist der Böller leicht zu verstecken – und bei den üblichen Eingangskontrollen schwer zu entdecken. Zumal manche Fans so weit gehen, sich das Material auch rektal einzuführen. Auch weibliche Fans gibt es, die Pyroartikel in Körperöffnungen oder eng am Körper ins Stadion einschmuggeln. Wer bei Bundesligaspielen auf die Toilette geht, wird schnell erleben, dass dort viele Kondome im Abfall liegen, wie der BR aus Fußballkreisen erfuhr. Sie werden benutzt, um darin auch Pyromaterialien heimlich an den Kontrollen vorbei ins Stadion zu schmuggeln. Wie genau es im aktuellen Fall ablief, wird bei der Verlesung der Anklageschrift klarer werden.
Welche Strafe droht den Angeklagten?
Im Falle einer Verurteilung müssen die Angeklagten mit einer Haftstrafe rechnen. Denn das Strafgesetzbuch sieht laut Staatsanwaltschaft Augsburg im vorliegenden Fall für die Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren bis zu 15 Jahren vor. Für die Beihilfe ist der Strafrahmen gesetzlich gemildert - auf 6 Monate bis zu 11 Jahre und 3 Monate.
Sicherheitskonzept des FCA
Den Vorfall rund um das Spiel gegen die TSG Hoffenheim habe man zum Anlass genommen, "unsere Prozesse erneut zu überprüfen", teilt der FCA auf Anfrage des BR mit. Fest stehe aber auch: "Bei den Kontrollen sind uns zeitliche, aber vor allem auch rechtliche Grenzen gesetzt". Bei Körperkontrollen am Eingang durch das Sicherheitspersonal etwa gebe es deutliche Beschränkungen. Nur sogenannte Bodyscanner könnten da Abhilfe leisten, heißt es aus Sicherheitskreisen. Dann müssten die Fans am Einlass aber auch deutlich länger warten. Seitens des FCA heißt es zum Prozessauftakt: "Wir sind froh, dass dank der guten Abstimmung aller Verantwortlichen sowie der Sicherheitskräfte noch vor Ort Tatverdächtige ermittelt und an die Justiz übergeben werden konnten. Sowohl der FCA als auch die TSG Hoffenheim werden sämtliche ihnen zur Verfügung stehenden Mittel diesbezüglich voll ausschöpfen, denn in dieser Hinsicht gilt: Null Toleranz!"
Pyrotechnik kann teuer werden
Bundesweit gibt es immer wieder Vorfälle mit Böllern und Pyroartikeln, bei manchen Fangruppen gehört das Feuerwerk zum guten Ton. Für die Vereine wird das oft teuer, denn sie müssen hohe Strafen zahlen, wenn etwa Bengalos abgebrannt werden. Pro Fackel sind in der Bundesliga laut DFB-Strafkatalog 1.000 Euro fällig. Das Geld wird dann an gemeinnützige Institutionen weitergegeben. Der 1. FC Köln etwa musste bereits mehrere Hunderttausend Euro an Pyro-Strafe berappen. Andere Vereine überlegen bereits, diese Strafen auf die Ticketpreise umzulegen.
Klare Kante aus Hoffenheim – "Das ist kein Fan"
Die Verantwortlichen bei der TSG Hoffenheim haben für derart böllerbegeisterte Anhänger absolut kein Verständnis. "Das ist kein Fan, wenn er so was macht", meint Jörg Bock, Sprecher des Vereins, auf Anfrage des BR. Momentan kenne die TSG Hoffenheim nicht die Identität der angeklagten Personen. "Erst dann können wir auf zivilrechtlicher Basis ein Hausverbot aussprechen und gegebenenfalls über den FC Augsburg auf ein deutschlandweites Stadionverbot hinwirken".
Die interne Aufarbeitung des Falls ist ansonsten weitgehend abgeschlossen: Bundesligist Hoffenheim ist vom DFB zu einer Strafzahlung von 20.000 Euro verurteilt worden. Zudem hat der DFB dem Antrag der TSG zugestimmt, rund ein Drittel der Summe für sicherheitstechnische oder gewaltpräventive Projekte verwenden zu dürfen. Insgesamt attestiert der DFB dem Verein bei der Aufarbeitung des Böllerwurfs "vorbildliches Verhalten", betont Bock.
Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter
Das Verfahren wird vor der 3. Kammer des Landgerichts verhandelt. Weil der Vorsitzende Richter dieser Kammer, Christoph Kern, als Ehrenamtlicher in einer hochrangigen Position beim Bayerischen Fußballverband engagiert ist, hatte der Hauptangeklagte einen Befangenheitsantrag gestellt. Kern ist seit 2022 Präsident des Bayerischen Fußballverbands und damit Vorstandsmitglied des DFB. Der BFV ist die Dachorganisation der knapp 5.000 Fußballvereine in Bayern. Das Landgericht hat den Befangenheitsantrag inzwischen abgelehnt. Der betroffene Richter hatte, so ein Gerichtssprecher, bereits zuvor den Verfahrensbeteiligten offengelegt, dass er das Amt beim BFV innehabe. Ein Urteil wird bis Mitte April erwartet.
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