Der bayerische Justizminister Georg Eisenreich lässt seinen Unmut deutlich erkennen: "Der Zusatzaufwand durch das Cannabis-Gesetz für die Justiz ist enorm", beklagt der CSU-Politiker. Nach Angaben des bayerischen Justizministeriums müssen sowohl Gerichte als auch Staatsanwaltschaften tausende Verfahren neu überprüfen und dafür Aktenberge abarbeiten – zusätzlich zu ihren sonstigen Aufgaben. "Die Bundesregierung belastet die Justiz unnötig, statt sie zu entlasten", kritisiert Eisenreich.
Seit 1. April neue Cannabis-Regeln in Deutschland
Bis Ende März war es in Deutschland strafbar, Cannabis anzubauen, herzustellen, zu erwerben oder zu besitzen. Seit 1. April dürfen Erwachsene im öffentlichen Raum bis zu 25 Gramm getrocknetes Cannabis mit sich führen. In der privaten Wohnung darf man bis zu 50 Gramm aufbewahren, angebaut werden dürfen dort drei Pflanzen.
Noch nicht vollständig vollstreckte Strafen müssen erlassen werden – sofern sie wegen eines Verhaltens verhängt wurden, für die es nach der neuen Rechtslage keine Strafe oder kein Bußgeld mehr gibt. Um die entsprechenden Verfahren herauszufiltern, mussten die Staatsanwaltschaften in Bayern laut Justizministerium etwa 41.500 Akten händisch überprüfen.
Rückwirkender Straferlass: 33 Gefangene freigelassen
Wer ausschließlich wegen einer nun nicht mehr strafbaren Handlung im Gefängnis saß, musste spätestens am 1. April entlassen werden. In Mischfällen – also einer Kombination aus jetzt straflosen und weiterhin strafbaren Vorwürfen – muss ein neues Strafmaß festgesetzt werden. Bis zum 15. Juni wurden an bayerischen Gerichten mehr als 6.200 solcher Verfahren gezählt, gut die Hälfte davon (3.500) ist schon abgeschlossen, wie das Justizministerium dem BR mitteilte.
Bis Mitte Juni wurden insgesamt 33 Gefangene aus bayerischen Justizvollzugsanstalten entlassen: 24 bis zum 1. April nach Prüfung der Akten, weitere neun folgten später nach Abschluss eines Neufestsetzungsverfahrens.
Darüber hinaus müssen nach Ministeriumsangaben rund 3.000 laufende Ermittlungsverfahren vor dem Hintergrund des neuen Gesetzes überprüft werden – beispielsweise dahingehend, ob bestimmte "Fahndungsmaßnahmen aufrechterhalten bleiben können".
Abstinenzweisungen und Bundeszentralregister
Arbeit machen der Justiz auch die "Abstinenzweisungen": Straftätern kann bei einer Verurteilung der Konsum von Betäubungsmitteln oder Alkohol untersagt werden, um weitere Straftaten zu verhindern. Da Cannabis nicht mehr als Betäubungsmittel gilt, müssen diese Entscheidungen ebenfalls an die neue Gesetzeslage angepasst werden.
Eine weitere Zusatzaufgabe steht für die Staatsanwaltschaften ab 2025 an: Wer wegen eines Verhaltens verurteilt wurde, das nun straffrei ist, kann dann die Tilgung der Eintragung im Bundeszentralregister beantragen. Die Staatsanwaltschaften müssen dann bei jedem Antrag prüfen, ob das Verhalten tatsächlich nach der Neuregelung nicht mehr strafbar ist. Für Betroffene kann das bei der Ausstellung eines Führungszeugnisses entscheidend sein.
Das bayerische Justizministerium rechnet mit einer "enormen Anzahl an Tilgungsanträgen". Das Ausmaß der Mehrarbeit, die dadurch auf die Staatsanwaltschaften zukomme, sei kaum absehbar, "da es sich beim illegalen Umgang mit Cannabis um Massenkriminalität handelt".
Justizminister Eisenreich fürchtet mehr Kriminalität
Für Bayerns Justizminister Eisenreich geht die Teil-Legalisierung von Cannabis "grundsätzlich in die falsche Richtung". Der CSU-Politiker sieht den Jugendschutz gefährdet und rechnet mit einem Anstieg der Drogenkriminalität. "Wir gehen davon aus, dass die Freigabe zu einer Steigerung des Konsums von Cannabis und – trotz Eigenanbau und Anbauvereinigungen – zu einem Wachsen des Schwarzmarkts führen wird", sagt Eisenreich.
Zugleich kritisiert er, dass durch das Cannabis-Gesetz des Bundes die Ermittlungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt seien. "Es schadet damit der inneren Sicherheit und macht Deutschland auch für organisierte Kriminalität attraktiver."
SPD: Menschliche Behandlung im Fokus
Der SPD-Rechtsexperte im Landtag, Horst Arnold, der selbst als Staatsanwalt und als Richter gearbeitet hat, lobt dagegen die teilweise Entkriminalisierung des Cannabis-Besitzes. "Es handelt sich bei der Teil-Legalisierung um Regelungen auch zu Gunsten von Menschen, die unter anderem wegen ihres jüngeren Konsumverhaltens strafrechtlich verurteilt wurden und damit mit nicht unerheblichen Konsequenzen im Privat- und Berufsleben konfrontiert waren."
Für einen wegen Cannabis-Besitzes verurteilten Menschen habe es in Bayern bisher keine Chance gegeben, ohne Karriereknick und Einbußen "seinen Weg" zu gehen. Denn bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen spielten solche Verstöße eine entscheidende Rolle, so Arnold. Wenn sich nun die bayerische Justiz über Mehrarbeit beschwere, zeige das, dass sie "mehr in bürokratischen Fallzahlen als an personenbezogene Bürger-Schicksale" denke. Der Leitsatz "Die Justiz ist für den Menschen da" verkomme dabei zum Hohn gegenüber jenen, "die durch Gesetz eine menschliche Behandlung garantiert bekommen".
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