Eine Cannabispflanze liegt auf einer linken Hand.
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Eine Cannabispflanze: Der Anbau von bis zu drei Pflanzen für den Eigenkonsum ist jetzt in Deutschland erlaubt.

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Cannabisgesetz in der Kritik: Profitieren Großdealer?

Seit April ist der Konsum von Haschisch und Marihuana für Erwachsene straffrei. Für die Ermittler aber bringt die teilweise unklare Gesetzeslage viele neue Rechtsfragen mit sich. Die Gewerkschaft der Polizei fordert daher jetzt rasche Nachbesserung.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Eigentlich ist Florian Leitner von Natur aus tiefenentspannt. Beim Thema Teillegalisierung von Cannabis aber geht dem Sprecher der Gewerkschaft der Polizei in Bayern sofort der Puls hoch: "Wir sprechen hier von völlig unklaren Regelungslagen. Das Gesetz ist schlecht gemacht, das bereitet mir Sorge."

Harsche Kritik der Polizeigewerkschaft am neuen Gesetz

Leitners erste Bilanz ist deutlich: Die im Gesetz formulierten Abstandsregelungen seien kaum zu kontrollieren, die Zonen, wo Kiffen erlaubt ist, seien deshalb nahezu beliebig, sagt der Ermittler. Die Kollegen könnten schließlich "kaum mit dem Meterstab hergehen" und messen, wie weit es zum nächsten Kindergarten ist. Ihn ärgere das, sagt Leitner. Die von Gesundheitsminister Lauterbach prognostizierte Entlastung der Ermittler bei Drogendelikten habe er sich so nicht vorgestellt, meint Leitner. Doch es gebe noch viele weitere kritische Punkte.

Jugendschutz und Straßenverkehr

Beim Thema Jugendschutz habe der Freistaat seine Hausaufgaben noch nicht gemacht, sagt der Polizeigewerkschafter: "Wir brauchen vernünftige Präventionsprogramme seitens der Staatsregierung, die haben wir nicht, das wird uns auf die Füße fallen". Auch die Erhöhung des Grenzwertes im Straßenverkehr auf 3,5 Nanogramm des berauschenden Wirkstoffs THC bringe erhebliche Gefahren für die Verkehrsteilnehmer mit sich, die Folgen seien noch gar nicht absehbar, kritisiert Leitner.

Staatsanwaltschaft hat durch neues Gesetz weniger Zugriff auf Beweismittel

Die Arbeit für die Ermittler ist jedenfalls nicht einfacher geworden durch die Teillegalisierung, so lautet auch ein erstes Fazit der Augsburger Staatsanwaltschaft, erklärt Oberstaatsanwalt Michael Nißl.

Früher sei schon bei einer kleinen Menge Hasch eine Hausdurchsuchung möglich gewesen, das habe oft zu den Hintermännern, den Großdealern geführt. Dieser Einstieg "über die kleinen Fische" falle jetzt weg, umso aufwändiger werde es, die kriminellen Schwergewichte im Drogengeschäft dingfest zu machen. "Wenn die erste Stufe auf der Leiter fehlt, wird es schwerer, ganz nach oben zu kommen".

Freispruch für mutmaßlichen Großschmuggler – weil Beweise nicht verwertet werden dürfen?

Auch die Funkzellenauswertung und Telefonüberwachung werde durch das neue Gesetz schwerer – sogar was die Verwertung sogenannter Encro-Handy-Chats anbelangt. Das ist verschlüsselte Spezialsoftware, die oft auch von Kriminellen benutzt wird.

Weil Cannabis aufgrund des neuen Gesetzes nicht mehr als Betäubungsmittel zählt, durften diese Chats in einem aktuellen Drogenprozess in Mannheim schon nicht mehr als Beweismittel verwendet werden. Die Folge: Ein Mann, der rund eine halbe Tonne Marihuana illegal nach Deutschland gebracht hatte, musste freigesprochen werden. Jetzt wird der Fall vom Bundesgerichtshof überprüft.

Kommt der Großdealer glimpflicher davon als früher?

Spricht man mit Polizei und Justizbediensteten, dann haben viele beim Thema Cannabis sofort Sorgenfalten im Gesicht. Denn der Gesetzgeber hat mit dem neuen Gesetz nicht nur den kleinen Konsumenten und Klein-Besitzer entkriminalisiert, sondern privilegiert damit auch "massiv den Händler und Schwerkriminellen", sagt ein Jurist, der ungenannt bleiben will. Denn der Strafrahmen für Drogendelikte sei deutlich nach unten abgesenkt worden. Wer früher für Drogenschmuggel von 100 Kilogramm Haschisch zu einer Haftstrafe von acht Jahren verurteilt wurde, müsse heute unter gleichen Voraussetzungen mit nur noch etwa fünf Jahren rechnen.

Früheres Strafmaß – heutiges mögliches Strafmaß

Ein Blick ins Gesetz macht noch deutlicher, wie massiv zu erwartende Strafe durch die Teillegalisierung reduziert wird: Für die "Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge" galt früher ein Strafrahmen für Cannabis von zwei bis 15 Jahren. Jetzt liegt der Strafrahmen bei drei Monaten bis fünf Jahren. Die mögliche Mindeststrafe liegt also weit niedriger.

Auch beim "Handeltreiben von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge" gilt der neue Strafrahmen von drei Monaten bis fünf Jahren. Früher ging die Strafe erst bei einem Jahr los und es waren bis zu 15 Jahre Haft möglich. Für einen Fall, bei dem ein LKW-Fahrer vom Augsburger Landgericht zu acht Jahren Haft verurteilt wurde, weil er mehr als 100 Kilogramm Marihuana ins Land geschmuggelt und 15 Kilogramm verkauft hatte, "wären heute mehr als fünf Jahre unmöglich", so ein früherer Richter zum BR. Kommen noch strafmildernde Gesichtspunkte dazu, entspreche das nahezu einer Halbierung der früheren Strafe.

Cannabis nicht automatisch straffrei

Dabei ist Cannabis auch für den Eigengebrauch nicht automatisch straffrei, betont Oberstaatsanwalt Nißl und räumt mit einem Irrglauben auf. Wer sich etwa Stoff aus dem Ausland liefern lässt, kann wegen Anstiftung zur Einfuhr von Cannabis belangt werden. "Das verfolgen wir, und hatten kürzlich einen Fall, da ging es um 40 Gramm Haschisch. Und das führt dann nach unserem Antrag zu einer deutlichen vierstelligen Geldstrafe", so Nißl. Einen Joint halb geraucht einfach wegzuwerfen, den ein Jugendlicher dann aufhebt und daran zieht, das ist "fahrlässiges Inverkehrbringen von Cannabis". Kein ausgedachtes Beispiel, sondern ebenfalls ein aktueller Fall beim Augsburger Gericht.

Entkriminalisierung sei "der richtige Weg"

Der schwäbische Bundestagsabgeordnete Maximilian Funke-Kaiser von der FDP dagegen, der die Teillegalisierung mit auf den Weg gebracht hat, sieht das Ganze deutlich entspannter: Das Gesetz müsse erst auf allen Ebenen anlaufen, sagte er dem BR. Er denke, so Funke-Kaiser, "dass die Behörden die Möglichkeiten haben, auch die großen Fische zu fangen". Die erwachsenen Kiffer zu entkriminalisieren, das aber sei richtig gewesen, meint der Augsburger.

Er nehme wahr, dass es einen "durchaus verantwortungsvollem Umgang" mit Cannabis gebe. "Das Ziel war und ist auch weiterhin, dass wir den Schwarzmarkt trockenlegen, also den Dealer arbeitslos machen. Dass wir zum anderen den Ermittlungsaufwand für die Ermittlungsbehörden reduzieren und natürlich auch den Jugendschutz stärken. Und wir sind auch davon überzeugt, dass das absolut der richtige Weg ist".

Polizeigewerkschaft will Cannabisgesetz so nicht hinnehmen

Die bayerische Gewerkschaft der Polizei dagegen fordert inzwischen eine Überarbeitung des Cannabisgesetzes, so Gewerkschaftssprecher Leitner: "Die Bundesregierung wäre jetzt wirklich gut beraten, wenn sie sich hier der Fachexpertise von Polizei, von Justiz, Medizin, auch im Bereich der Jugendämter bedienen würde". Er hoffe tatsächlich, meint Leitner, "dass man hier eine Kehrtwende hinlegt und dass man einfach entschieden nachbessert, um das Ganze in der Zukunft, in den kommenden Jahren kontrolliert ablaufen zu lassen".

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