Dafür, dass sich CSU und Freie Wähler immer sehr einig darin waren, dass nach der Wahl zusammen weiterregiert werden soll, blasen die Wunschkoalitionäre aktuell ganz schön die Backen gegeneinander auf. Am Dienstag legte der neue CSU-Fraktionsvorsitzende Klaus Holetschek nach: "Ich finde es nicht gerade vertrauensbildend, wenn die Freien Wähler so auftreten, wie sie es jetzt tun." Aiwanger und Co. sollten sich überlegen, ob man schon Posten und Ministerien fordern sollte, bevor sich beide Parteien über Inhalte ausgetauscht hätten, so der 58-Jährige.
Eine seiner neuen Aufgaben erfüllte Holetschek damit gleich zum Amtsantritt: Der Fraktionschef der Christsozialen soll zu einer stärkeren Abgrenzung zu den Freien Wählern beitragen. 84 von 85 Abgeordneten stimmten in der ersten Fraktionssitzung für Holetschek als ihren neuen Chef. Der sei "bekannt dafür, nicht in von vornherein Erster Vorsitzender im Freundeskreis der Freien Wähler zu sein", sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach der Sitzung im Landtag.
Holetschek: "Wir sind jetzt raus aus dem Bierzelt-Modus"
Ein Eindruck, den Holetschek in seiner ersten Pressekonferenz als CSU-Fraktionschef bestätigte - er präsentierte sich angriffslustig und hatte auch gleich einen Rat für die Freien Wähler: Vom Gas gehen und "etwas demütiger und bescheidener" sein. "Man muss dem Hubert Aiwanger noch mal sagen: Wir sind jetzt raus aus dem Bierzelt-Modus. Das muss er auch mal erkennen", so Holetschek. Diesen Duktus in den Koalitionsverhandlungen fortzuführen, würde "nicht sehr erfolgreich enden".
Auch Söder sagte, die Statements vom Tag zuvor seien kein guter Start nach der Wahl gewesen. Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger hatte der CSU empfohlen "nicht so mädchenhaft aufzutreten" nachdem prominente CSU-Politiker wie Manfred Weber oder Theo Waigel die Freien Wähler wegen ihrer Wahlkampfführung kritisiert und einen härteren Umgang mit dem Koalitionspartner gefordert hatten. Außerdem beanspruchte FW-Fraktionschef Florian Streibl aufgrund des Stimmenzuwachses ein zusätzliches viertes Ministerium für seine Partei.
Söder fordert Bekenntnis von Freien Wählern
"Es ist im Wahlkampf viel passiert. Einfach Schwamm drüber reicht nicht aus", sagte Söder. Es habe Grenzüberschreitungen gegeben, "wo man nicht sicher war: Ist man Regierungspartei oder Opposition". Man müsse mit den Freien Wählern nun vor den Koalitionsverhandlungen "nochmal grundsätzlich reden".
Es gehe um die "Integrität der gesamten Staatsregierung". Konkret fordert der CSU-Chef ein Bekenntnis der Freien Wähler, möglicherweise als Präambel in einem künftigen Koalitionsvertrag. Söder geht es zum Beispiel um eine klare Abgrenzung zur AfD - "und zwar nicht nur formal, sondern auch inhaltlich muss sich das zeigen", sagte der Ministerpräsident.
Drohpotential der CSU ist begrenzt
Bei allen gegenseitigen Zurechtweisungen: Das Drohpotential der CSU für die am Donnerstag startenden Sondierungsgespräche ist stark begrenzt. Eine Koalition mit den Grünen hat Söder sowohl vor als auch nach der Wahl klar ausgeschlossen. Gegenüber der SPD als möglichen Partner hat er sich zwar weniger kategorisch geäußert, eine Zusammenarbeit erscheint aber nicht als realistische Option. Söder und die CSU haben sich sehr früh auf die Freien Wähler festgelegt. Das verschafft der Aiwanger-Partei eine recht starke Verhandlungsposition.
Die Vorzeichen für eine nächste schwarz-orange Koalition dürften sich jedenfalls geändert haben. Es sei "nicht mehr die gleiche Struktur wie das letzte Mal", sagte Söder, man werde die Freien Wähler nun stärker inhaltlich messen. Und weiter: "Die Freien Wähler haben sich verändert, und es wird sich zeigen, wie weit diese Veränderung geht." Er bleibe aber sehr optimistisch und gehe davon aus, dass das geklärt werden könne.
Fraktionschef zwischen eigenen Impulsen und "Haufen zusammenhalten"
Verändern soll ich auch die Arbeit der CSU-Fraktion unter Klaus Holetschek. "Das Thema Herzkammer kennen Sie ja", sagte er an die anwesenden Journalisten im Landtag gerichtet. Die Fraktion werde "eine eigene DNA entwickeln", "eigene Impulse setzen" und selbstbewusst auftreten. "Das wird nicht so weitergehen wie die Jahre zuvor", sagte Holetschek. Man kann das als Hinweis darauf verstehen, dass die Fraktion mit ihrem bisherigen Vorsitzenden Thomas Kreuzer vor allem in jüngster Vergangenheit zu wenig wahrnehmbar war.
Die nötigen rhetorischen Fähigkeiten für den Job bringt Holetschek zweifelsohne mit und auch an Streitlust mangelt es ihm nicht. Ob zu Corona, Cannabis-Legalisierung oder Krankenhausreform: Um einen Frontalangriff auf Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) war Holetschek als bayerischer Minister selten verlegen.
Dennoch steht er als Fraktionschef vor einem schwierigen Spagat: Einerseits gilt es, die Sichtbarkeit seiner Abgeordneten zu erhöhen. Mehr als ein Drittel von ihnen ist neu im Parlament - viele sind jung, alle sind direkt gewählt und entsprechend selbstbewusst. Gleichzeitig muss Holetschek über die Fraktion seinen Ministerpräsidenten stützen.
Söder und Holetschek kennen sich seit vielen Jahren. "Ein Fraktionsvorsitzender hat die Aufgabe, auch mal einen ganzen Haufen zusammenzuhalten", sagte Söder. Ihm ist wohl klar, dass er einen starken Fraktionschef braucht, sollte die CSU mit den Freien Wählern in noch unruhigeres Fahrwasser geraten.
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