Trotz Sparzwängen will der Berliner Senat ab 1. Juli erneut ein 29-Euro-Ticket ermöglichen – während das Deutschlandticket 49 Euro im Monat kostet. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder zeigt sich verärgert über den Alleingang der Hauptstadt: "Schräger geht es kaum: Wir legen in Bayern bereits zig Millionen aus unserer Staatskasse für das 49-Euro-Ticket des Bundes drauf - und gleichzeitig sollen wir künftig noch Berliner Sonderrabatte finanzieren", sagt Söder dem "Münchner Merkur".
Das Berliner 29-Euro-Ticket sei ein weiterer Beleg dafür, dass der Länderfinanzausgleich dringend reformiert gehöre. "Es kann nicht sein, dass andere Länder auf bayerische Kosten soziale oder verkehrspolitische Wohltaten verteilen, die wir uns aus finanzpolitischer Vernunft selbst nicht leisten können", betont der CSU-Politiker. Mit Solidarität habe das nichts mehr zu tun.
Giffey: "Berlin Vorreiter für bezahlbare Mobilität"
Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD), die zugleich Aufsichtsratschefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ist, hatte am Dienstag angekündigt, dass das 29-Euro-Ticket ab kommender Woche zu kaufen sein werde. Darauf habe sich der Senat geeinigt. "Damit wird Berlin Vorreiter für bezahlbare Mobilität für alle – für nicht mehr als einen Euro am Tag", lobte die SPD-Politikerin die Entscheidung.
Berlin könne und wolle es stemmen, wenn mehr Menschen Busse und Bahnen nutzen wollen. "Und wir wollen es ermöglichen, dass alle Berlinerinnen und Berliner sich nicht fragen müssen, ob sie sich das leisten können", betonte Giffey. Es sei eine Entlastung vieler Menschen in wirtschaftlich angespannten Zeiten. Zugleich werde ein konkreter Beitrag für mehr Klimaschutz und ein klimaneutrales Berlin geleistet.
Das 29-Euro-Ticket war das zentrale Wahlkampfthema der Berliner SPD vor der Wiederholungswahl 2023. Die schwarz-rote Koalition rang lange um die Finanzierung. Es soll in Berlin parallel zum 49-Euro-Ticket angeboten werden und im Stadtgebiet gelten.
Bernreiter: Schwer nachvollziehbar
Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) betonte, in Bayern könne das Angebot im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nur mit einem tiefen Griff in die Staatskasse aufrechterhalten werden. Zugleich finanziere Berlin als Hauptempfänger des Länderfinanzausgleiches "quasi mit bayerischem Geld" einen Gesamtrabatt für alle Fahrgäste, sagte er dem "Tagesspiegel".
Das sei nur schwer nachvollziehbar, "alles andere als nachhaltig" und gehe letztlich auch auf Kosten des Deutschlandtickets. "Da ist es kein Wunder, dass wir uns Gedanken über eine Neuordnung des Länderfinanzausgleichs machen." In Bayern gibt es das Deutschlandticket zum ermäßigten Preis von 29 Euro nur für Studierende, Auszubildende und Freiwilligendienstleistende.
Kritik auch aus dem Bundesverkehrsministerium
Kritik kommt auch aus dem Bundesverkehrsministerium. Die Parlamentarische Staatssekretärin Daniela Kluckert schrieb auf X: "So viel Geld, das an anderer Stelle so dringend gebraucht wird. Für ein Angebot, das wir neben dem Deutschlandticket und den Sozialtickets nicht brauchen. Unglaublich." Sie habe gehofft, dass der Berliner Senat sich besinne und das 29-Euro-Ticket in der Mottenkiste belasse.
Ein Sprecher von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) verwies darauf, dass das Deutschlandticket für 49 Euro die Chance biete, "komplexe Tarifsysteme radikal zu vereinfachen und Strukturen in den Verkehrsverbünden zu verschlanken". Regionale Konkurrenzprodukte wie das Berliner 29-Euro-Ticket "konterkarieren diese Ziele". Das Beispiel dürfe nicht Schule machen. "Wir wollen den Flickenteppich beim Öffentlichen Personennahverkehr in Deutschland, den Tarifdschungel, ja auflösen mit dem Deutschlandticket", betonte der Sprecher. Daher sehe das Ministerium das Berlin-Ticket "sehr kritisch".
Der Bahn-Beauftragte der Bundesregierung, Michael Theurer (FDP), wandte sich im "Tagesspiegel" gegen das Argument Giffeys, das 49-Euro-Ticket sei für manche Menschen zu teuer: "Es wäre dem Land Berlin unbenommen, das Deutschlandticket als Sozialticket vergünstigt abzugeben", sagte er. "Das wäre am Ende für Berlin wahrscheinlich sogar günstiger." Auch die Berliner Grünen hatten zuvor kritisiert, dass eine Verbilligung des 49-Euro-Tickets für bestimmte Gruppen "einen Bruchteil" des Geldes gekostet hätte.
Steht das Deutschlandticket auf der Kippe?
Mit der Zukunft des bundesweiten Deutschlandtickets befassen sich derweil die Verkehrsminister der Länder auf ihrem zweitägigen Treffen, das bis Donnerstag dauert. Laut einem Bericht von Ippen.Media (externer Link - möglicherweise Bezahlinhalt) blockiert die Ampel-Koalition eine für die Zukunft des Deutschlandtickets wichtige Gesetzesänderung. Damit 2024 Finanzmittel verwendet werden könnten, die im Vorjahr nicht verbraucht worden seien, müsse das Regionalisierungsgesetz geändert werden. Diese Änderung zeichne sich aber noch nicht ab.
Der bayerische Verkehrsminister Bernreiter sagte, es sei "frustrierend", dass der Bund seine Zusagen nicht einhalte. Er habe keine Lust, alle drei Monate über das Ticket zu diskutieren. Der Bahn-Berichterstatter der Unionsfraktion, Michael Donth, warnte im "Münchner Merkur", die Zukunft des Tickets stehe insgesamt "auf der Kippe". Er hofft, dass der Druck der Länder auf den Bund etwas bewegt.
Mit Informationen von AFP und dpa.
Im Audio: Fragen und Antworten zur Zukunft des Deutschlandtickets
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