Der heikle Tagesordnungspunkt springt nicht sofort ins Auge. Er ist einer von vielen Unterpunkten der Plenarsitzung am Mittwoch. "2. Besetzung von Gremien" steht da, und dann "e) Wahl der nichtberufsrichterlichen Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs".
Abstimmung soll am Mittwoch stattfinden
Tatsächlich aber geht es dabei um die Frage, ob die Abgeordneten von CSU, Freien Wählern, Grünen und SPD für die vorgeschlagene Liste stimmen und damit auch für vier AfD-Kandidaten.
Die Landtagsabgeordneten entscheiden am Mittwoch über die Wahl von 15 nicht-berufsmäßigen Richtern und deren Stellvertretern, also über ehrenamtliche Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs. Abgestimmt werden kann nur en bloc, das heißt, für oder gegen die komplette Liste, für oder gegen alle Kandidaten.
Holetschek: "Abwägungsprozess"
CSU und Freie Wähler haben angekündigt, prinzipiell für die Liste zu stimmen. CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek spricht gegenüber BR24 von einem "Abwägungsprozess". Es sei wichtig, dass die Gerichte ordnungsgemäß besetzt seien. Sollte ein Richter fehlen, könne das dazu führen, dass die Rechtssprechung zum Erliegen komme. Daran könne keiner ein Interesse haben, so Holetschek. "Deshalb haben wir uns für eine Sammelabstimmung entschlossen, sind aber offen, über eine Gesetzesänderung nachzudenken."
Auch der Koalitionspartner, die Freien Wähler, hat über die Liste diskutiert, wie Fraktionschef Florian Streibl sagt. "Es ist Usus, dass man die Liste akzeptiert." Das habe man in der Vergangenheit auch schon so gemacht. Bauchschmerzen habe er aber schon, räumt Streibl ein. Er weist darauf hin, dass die AfD die gleichen Personen wie in der vergangenen Legislatur vorgeschlagen hat, was auch stimmt. 2018 habe das nicht für Diskussionen gesorgt. Letztlich stehe die juristische Qualifikation im Vordergrund. Außerdem sei die Abstimmung geheim. Jeder einzelne Abgeordnete müsse für sich entscheiden. "Ich als Fraktionschef mache da auch keine Vorgaben."
Die AfD pocht aber darauf, dass alle politisch relevanten Gruppen ihre Vertreter entsenden dürfen. Das sei auch hier der Fall.
Löcher in der Brandmauer?
Bekommt die von CSU und Freien Wählern viel beschworene Brandmauer gegen die AfD also Risse? Aus Sicht der Regierungsfraktionen nicht. Sie stellen die Funktionsfähigkeit der Gerichte in den Vordergrund. Denn es ist nicht klar, welche Folgen es hätte, wenn die AfD-Kandidaten abgelehnt würden. Möglicherweise wäre die gesamte Richterwahl dann anfechtbar. Bei allen anderen Wahlen im Landtag hatten CSU und FW immer allen AfD-Kandidaten die Stimmen verweigert: etwa bei der Wahl eines Landtagsvizepräsidenten oder bei der Wahl der Ausschussvorsitzenden.
Die Grünen und die SPD sehen das anders. "Für uns Grüne ist klar, wir werden keine Kandidaten der AfD für die nicht-berufsrichterlichen Richter am Verfassungsgerichtshof wählen", sagt deren parlamentarischer Geschäftsführer, Jürgen Mistol. "Feinde unserer freiheitlichen Verfassung haben in einem Verfassungsgericht nichts zu suchen." Damit stimmen die Grünen zwangsläufig aber auch gegen ihre eigenen Kandidaten. Die Arbeitsfähigkeit des Gerichts und die Gefahr einer Verfassungsbeschwerde wollen die Grünen nicht riskieren. Sie wollen etwaige Rechtsunsicherheiten beseitigen, indem sie einen Gesetzentwurf vorlegen: Das Gericht soll auch dann arbeitsfähig sein, wenn es nicht vollständig besetzt ist.
SPD: "Aus Überzeugung" dagegen
Auch der Fraktionschef der SPD, Florian von Brunn, weiß, dass er mit Nein stimmen wird. "Aus eigener Überzeugung und aus Familientradition. Mein Urgroßtante Toni Pfülf hat als eine der SPD-Abgeordneten 1933 im Reichstag gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt. Dieser Haltung fühle ich mich zutiefst verpflichtet", so von Brunn. Er kenne niemanden in seiner Fraktion, der einen AfD-Richter wählen will. Von Brunn räumt aber selbst ein, dass der Verfassungsgerichtshof funktionsfähig sein müsse. Darauf hätten auch der Verfassungsgerichtspräsident und Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hingewiesen. Es brauche jetzt eine rechtsstaatliche Lösung, so von Brunn.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft schlägt folgende Lösung vor: Zunächst müsse der Tagesordnungspunkt vertagt werden. Zudem brauche es einen Antrag der demokratischen Fraktionen, mit dem deutlich werde, dass die vorzuschlagenden Kandidaten bestimmte Forderungen erfüllen müssten. Dass diese auf dem Boden des Grundgesetzes stehen müssten. Die Brandmauer gegen die AfD brauche eine andere, glaubhaftere Architektur und Statik.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!