Nordendorfs Bürgermeister Tobias Kunz vor Sandsäcken
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Nordendorfs Bürgermeister Tobias Kunz vor Sandsäcken

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Das brutale Arbeitspensum der Flut-Bürgermeister

Das Hochwasser ist weg. Doch für Bürgermeister und deren Mitarbeiter ist die Flut-Katastrophe noch lange nicht zu Ende. Einblicke in 18-Stunden-Arbeitstage, Akten in Putzlappen - und die belastende Suche nach Vermissten.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Ganz so schlimm wie in den ersten Tagen nach der Flut sei es nicht mehr, berichtet Thomas Wörz. "Damals habe ich im Schnitt zwei Stunden am Tag geschlafen. Und zwar in Etappen", sagt der Bürgermeister der Gemeinde Offingen. Wie viele schwäbische Gemeinden wurde auch sein 4.500-Einwohner-Ort beispiellos überflutet. Doch viel besser ist es seitdem nicht geworden. "Ich stehe noch immer gegen 4 Uhr in der Früh auf und komme selten vor 22 Uhr nach Hause. Die Menschen haben gefühlt tausend Fragen."

Private Suchaktion nach vermisstem Feuerwehrmann

Was den 51-Jährigen belastet, ist jedoch nicht die Menge der Fragen. Sondern der Umstand, dass er nur wenige zur Zufriedenheit beantworten kann. Woher kam das Wasser? Passiert das nochmal? Welche Hilfen gibt es? Das seien meistens die Themen. "Doch dafür bräuchten wir dringend die Unterstützung von Bauämtern und Wasserwirtschaftsämtern."

Und manchmal geht es noch immer um Leben und Tod. "Am schlimmsten ist, dass wir noch immer einen Feuerwehrmann vermissen", berichtet Wörz. Die Angehörigen würden inzwischen sogar private Suchaktionen organisieren. "Das ist sehr gefährlich. Was ist, wenn sich ein privater Taucher irgendwo verfängt und ertrinkt? Und ich will auch nicht, dass ein Laie irgendwo die verweste und aufgedunsene Leiche findet. Das bekommt derjenige nie mehr aus dem Kopf." Die Kripo tue wirklich alles, um den Feuerwehrmann zu finden, beteuert Wörz.

"Die Kinder sollen eigentlich leise sein"

Eine knappe Autostunde weiter östlich steht derweil Tobias Kunz vor 60.000 Sandsäcken. Der Bürgermeister von Nordendorf muss einen Weg finden, wie er sie wieder wegbekommt vom Ufer der Schmutter, die seinen Ort geflutet hat. "Die liegen jetzt hier auf der Länge von gut einem Kilometer. 600 bis 700 Tonen Sand, die müssen irgendwo hin." Noch weiß er nicht, wie sehr Öl und Fäkalien den Sand kontaminiert haben, der dann als Sondermüll entsorgt werden müsste. Dieselben Freiwilligen, die damals die Säcke aufgeschichtet haben, wollen sie nun wieder wegschaffen.

In der Schule müssen dagegen Profis ran. Böden, Türen, Elektrik, Trockenbauwände: zerstört vom Wasser. Das Untergeschoss muss kernsaniert werden. Für Bürgermeister Kunz bedeutet das, Angebote von Handwerkern einzuholen, um die Sanierung so schnell wie möglich anzugehen.

Denn je länger er und sein Team brauchen, umso länger muss die Schule im Notbetrieb fahren. Zum Beispiel die Mittagsbetreuung, die nun in den Gängen zwischen den Klassenzimmern untergebracht ist. Ein schwieriger Spagat für Betreuerin Sonja Bredl: "Die Kinder sollen eigentlich leise sein, damit sich die anderen konzentrieren können. Das ist natürlich schwierig mitten im Schulhaus."

Dokumente zwischen Putzlappen

Teils nimmt die Katastrophenbewältigung skurrile Züge an. Im Keller liegen alte Dokumente der Gemeinde Nordendorf zum Trocknen aus. Sie wurden sorgsam auf Putzlappen drapiert, die die Feuchtigkeit aus dem Papier saugen sollen. Ein großer Hersteller spendete die Lappen.

Ähnliches Bild in Offingen: Dort wurde ein Drittel der Gemeinde-Akten aus dem Archiv gespült. Der Rest der Akten wurde in den Nachbarort evakuiert. "Das ist natürlich bitter. Ausgerechnet jetzt, wo die Bürger so viele Anliegen haben, müssen meine Mitarbeiter in den Nachbarort fahren und die Akten aus Kartons suchen, wenn sie benötigt werden", sagt Bürgermeister Wörz.

Die heikle Verteilung von Spendengeldern

Selbst bei den Spendenkonten der Gemeinden wird es kompliziert. In Nordendorf und Offingen sollen die Gelder nun ausgezahlt werden - gestaffelt nach Bedürftigkeit. Doch was heißt das konkret? Bekommt jemand mit Grundwasser im Keller weniger als jemand mit Flutwasser im Keller? "Es gab in der Vergangenheit schon Gemeinden, die wegen der Verteilung von Spendengeldern verklagt wurden", sagt Wörz. Er hat sich nun an einen befreundeten Notar im Ruhestand gewandt.

"Die Erschöpfung ist groß. Das muss man so sagen", gesteht Nordendorfs Bürgermeister Tobias Kunz ein. "Bei den Betroffenen natürlich. Aber auch bei mir und meinen Mitarbeitern." Das Adrenalin, das in den ersten Tagen nach der Flut geholfen habe, sei verbraucht. Auch er berichtet von 60- bis 70-Stunden-Wochen. Immerhin habe er inzwischen neue kabellose Kopfhörer bekommen. Die alten haben während der Dauer-Telefonate den Geist aufgegeben.

"Es zehrt und zerrt an einem"

Mit welchem Adjektiv kann man die Belastung der letzten Wochen nun beschreiben? "Brutal? Ja, das trifft es schon", so Bürgermeister Wörz. Florian Mair sieht es genauso. Er ist Bürgermeister von Altenmünster, der Ort wurde überflutet wie noch nie. Hinzu komme das Alltagsgeschäft: "Der Schock hält fünf Tage an. Da wird man in Ruhe gelassen, die Leute halten sich mit Anliegen zurück. Aber dann will die Welt um einen herum, dass es wieder weitergeht."

Mair hat dafür Verständnis, die Arbeitsbelastung durch die Flut werde bei ihm zum Glück geringer. Und beschweren will sich keiner der befragten Bürgermeister. "Ich habe das Glück, von Haus aus relativ belastbar zu sein", sagt Mair. "Es zehrt und zerrt an einem. Aber ich fühle mich nicht ausgebrannt. Das ist jedoch auch Typ-Sache."

Im Video: Helfer der Flutkatastrophe in Bayern werden geehrt

Zahlreiche Menschen haben beim Hochwasser geholfen, wie auch hier im schwäbischen Nordendorf.
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Zahlreiche Menschen haben beim Hochwasser geholfen, wie auch hier im schwäbischen Nordendorf.

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