Edgar Liegl: Des Scharfrichters Erbe
Asül bis Zimmerschied: Es muss einen Grund haben, dass ausgerechnet ins katholisch-konservative Niederbayern so viele Kabarettisten hineingeboren werden. Weil ein rebellisches Gemüt Reibungsflächen braucht? Weil – göttlicher Ausgleich – für jeden Andi Scheuer in der Nähe ein Otti Fischer zur Welt kommt?
Es kann auch im Blut liegen oder an der Milch, also: am Scharfrichterhaus in der Passauer Milchgasse 2. Dort fabrizierte einst der Henker Kaspar Neidhart für die Soldaten des Dreißigjährigen Kriegs Zauberzettel, die sie unverwundbar machen sollten. "Passauer Kunst" nannte man das. 360 Jahre später kauft der FH-Lehrer Edgar Liegl das baufällige und daher billige Haus und richtet mit seinem ehemaligen Schüler Walter Landshuter im Keller ein Kabarett ein, das zur Institution werden soll.
Hier traten seit 1977 so ziemlich alle auf, die groß waren oder werden sollten. Ersteres, weil Liegl (so die "taz") Charisma versprühte: "eine Mischung aus einem Dandy und einer Bohèmefigur – wie aus der Zeit gefallen". Einen Riecher für Talent hatten die Brettlinhaber auch, was sich gleich bei der ersten Verleihung des "Scharfrichterbeils" zeigte. Den Kleinkunstpreis bekam 1983 ein 18-jähriger No Name namens Hape Kerkeling. Passauer Kunst!
Franz Beckenbauer: Freier Mann mit Ball
Seinen König verdankte Bayern 1806 einem Kaiser, Napoleon – seinen "Kaiser" einem "Bild"-Kolumnisten. Ja gut, sicherlich. Schöner ist die Geschichte, die Beckenbauer selbst unters Volk brachte: Ein Fotograf soll ihn 1969 in Wien neben einer Büste vom K.u.K.-Kaiser Franz I. postiert haben. Was Dichtung, was Wahrheit ist, was Sommermärchen, was schnöde Realität, spielt bei Bayerns Märchenschlösser bauenden oder Traumpässe schießenden Bigger-Than-Life-Gestalten eine Nebenrolle.
Beim "Jahrhundertspiel" – WM-Halbfinale 1970 gegen Italien – spielte unser Lieblingslibero mit dem Arm in der Schlinge. Beim Filmball 1975 trug er Smoking mit Tapetenmuster. 1990 schickte Teamchef Franz, für den ein Trainerjob 1974 "absolut nicht in Frage" gekommen war, seine Elf mit den Worten "Geht's naus und spuits Fußball" auf den Rasen. Nicht zu vergessen: das volle Weißbierglas, von dem aus er 1994 den Ball ins untere Loch der ZDF-Torwand schoss. Spinna tuast scho, Franze. Und meist gewinnen.
Bis rauskam, dass die WM 2006 möglicherweise doch nicht die einzige war, die ohne trübe Geldflüsse an ihren Austragungsort kam. Ein Kaiser, kein Heiliger. Aber in drei Funktionen eine Fußball-WM zum Ereignis zu machen – als Spieler (1974), Teamchef (1990) und Generalorganisator (2006), das schaffte nur der Franz. 80 Millionen Bundestrainer verneigen sich.
Alois Glück: Der Brückenbauer
Ministerpräsident wurde er dann doch nicht. Dafür vertrat Alois Glück die CSU im bayerischen Parlament fast vier Jahrzehnte, und das wirkungsvoll: "Als Vorsitzender der CSU-Landtagsfraktion und Landtagspräsident, aber auch als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken war er stets eine starke Stimme und moralische Instanz", würdigte ihn Markus Söder. Ein Vor- und Nachdenker und ein Macher – bei Glück kein Widerspruch.
Mitten im Krieg wird Glück in einem kleinen Bauernhof nahe Traunstein geboren, muss von Anfang an mit anpacken. Landwirtschaft und Naturschutz begreift der altbayerische Katholik schnell als notwendige Einheit. In schwierigen Situationen hilft ihm seine im Dorfleben erlernte und beim Yoga vertiefte "engagierte Gelassenheit" (Glück). Seine Schwester sitzt nach Kinderlähmung im Rollstuhl, sein Sohn Thomas ist schwerstbehindert. Das habe ihn "stark geprägt und gegen das Vordergründige des öffentlichen Lebens immunisiert", sagt er dem BR.
Vielleicht deshalb wird der passionierte Bergsteiger (und Bergwachtler) nie ein Gipfelstürmer der Macht, sondern Autorität und Brückenbauer im Hintergrund. Das ist er schon 1988, als er Franz Josef Strauß die Gefahren der WAA in Wackersdorf klarmacht, und immer noch 2019, als er nach dem Volksbegehren Artenschutz Bauern und Umweltschützer in Übereinkunft bringt. Was heute erst recht wie ein kleines Wunder wirkt. Vielleicht liegt es an dem, was eine Passantin in Traunstein dem BR sagt: "Er hatte so eine ehrliche Art, die bei Politikern selten geworden ist."
Fritz Wepper: Der wollte nur spielen
2023 haben wir hier die Geschichte der ebenso ungleichen wie unzertrennlichen Wepper-Brüder erzählt – Ende 2023, als Elmar, der jüngere der beiden, unerwartet verstarb. Jetzt ist Fritz, der ältere, ihm nach langer Krankheit nachgefolgt.
Das Fritz-Kapitel könnte in Kurzform so lauten: Hollywood wollte ihn, er aber fuhr lieber im 7er-BMW durch München. Langfassung: Schon mit 18 überzeugte Fritz Wepper in einem Welterfolg – Bernhard Wickis "Die Brücke". Mit 32 wurde er an der Seite Liza Minnellis in "Cabaret" hollywoodberühmt und hätte wohl noch öfter unter Palmen drehen können, wenn ihn nicht ein Vertrag mit dem ZDF nach Bayern zurückbeordert hätte: Hier musste Wepper als agilerer Gefährte von Kommissar Erik Ode und Inspektor Derrick 97 bzw. 281 Folgen lang "den Wagen holen" und den Chef durch ein filmwild zusammengestückeltes München chauffieren, um am Ende in menschliche Abgründe zu leuchten, die sich hinter den Mahagonisitzgruppen Grünwalder Wohnzimmer auftaten.
"Fritz Wepper war seit Jahrzehnten nicht aus den bayerischen Wohnzimmern wegzudenken", formulierte Markus Söder auf X. Regisseur Ulrich König, der mit Fritz Wepper 83 Folgen der Serie "Um Himmels Willen" drehte, rühmt Wepper im BR-Gespräch: "Er gehörte für mich zu den besten Schauspielern, mit denen ich je gearbeitet habe." Warum? Er habe einfach "großen Spaß am Spielen" gehabt.
Michael Verhoeven: Regisseur mit Blick fürs Wesentliche
In der Klatschpresse war er vor allem der Mann von Senta Berger, mit der er 60 Jahre verheiratet war. Für Filmfans war der Regisseur und Produzent einer, der hinsah, auch wenn die Augen tränten. Sein Antikriegsdrama "O.K." über die Vergewaltigung eines Mädchens durch US-Soldaten in Vietnam führte 1970 auf der Berlinale zum Skandal und Abbruch des Festivals. Mit "Die weiße Rose" (1982) drehte der promovierte Mediziner den ersten großen Film über Widerstandskämpfer im Dritten Reich. 1990 folgte die Oscar-nominierte Satire "Das schreckliche Mädchen" über ein Mädchen, das etwas zu erfolgreich für einen Aufsatzwettbewerb über "Meine Heimatstadt im Dritten Reich" recherchiert; der Film basiert auf dem realen Fall der Anna Rosmus in Passau.
2016 produzierte Verhoeven "Willkommen bei den Hartmanns", einen Familienfilm im doppelten Sinn: Sohn Simon führte Regie, Senta Berger spielte die Hauptrolle; die erste und leider auch letzte Zusammenarbeit der drei.
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