Warum starb Khadidja O. im Sommer 2022? Sollte sie einer Doppelgängerin den Weg in ein freieres Leben möglich machen – oder ging es um Schwarze Magie in einem Liebesdrama? Viele Thesen haben die Prozessbeteiligten aufgestellt. Knapp 200 Zeugen kamen zu Wort – die vielen Besucherinnen und Besucher im Gericht erlebten ständig neue Überraschungen, Unterbrechungen und Verwicklungen. Medienvertreter aus ganz Deutschland und sogar Streaming-Anbieter wie Netflix waren nach Ingolstadt gereist.
Am Donnerstag soll nun einer der spektakulärsten Fälle am Ingolstädter Landgericht zu Ende gehen: Das Urteil wird erwartet.
Doppelgängerinnen-Theorie
Im Sommer 2022 finden die Ermittler in Ingolstadt in einem Auto die Leiche einer 23-Jährigen. Polizei und Angehörige gehen davon aus, es sei die Besitzerin des Wagens: die 23-jährige Deutsch-Irakerin Schahraban K..
Dann die spektakuläre Wende: Die Tote ist nicht Schahraban K., sondern eine junge Frau aus Baden-Württemberg: Khadidja O.. Schahraban K. wird zur Hauptverdächtigen, gemeinsam mit ihrem mutmaßlichen Komplizen, dem ebenfalls 23-jährigen Sheqir K., der aus dem Kosovo stammt. Beide lebten in Ingolstadt.
Im Januar 2024 beginnt der Prozess gegen die beiden. Die Anklage: gemeinschaftlich begangener Mord und Anstiftung zum Mord. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, gemeinsam die 23-jährige Khadidja O. getötet zu haben. Zuvor soll die Angeklagte in den sozialen Netzwerken gezielt nach einer Frau gesucht haben, die ihr ähnlich sieht. Diese soll sie in Khadidja gefunden haben.
Unter einem Vorwand sollen die beiden Angeklagten das Opfer zu Hause abgeholt und in einem nahegelegenen Waldstück mit über 50 Messerstichen getötet haben. Mit der Leiche auf der Rückbank seien sie nach Ingolstadt gefahren und hätten dort das Auto abgestellt. Das Motiv: Die Angeklagte habe aus ihrer strengen, jesidischen Familie ausbrechen und ein neues Leben beginnen wollen.
Lebenslange Haftstrafe gefordert
Die Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haftstrafen für beide Angeklagten sowie die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und einen Vorbehalt zur Sicherungsverwahrung. Für sie ist klar: Die Angeklagte Schahraban K. ist der Kopf, der den Plan ausgeheckt hat, und Sheqir K. die Hand, die den Mord ausgeführt hat. Die Nebenklage, die den Vater des Opfers vertritt, hat sich in ihren Forderungen der Staatsanwaltschaft angeschlossen.
Im Video: Mordfall in Ingolstadt - Die tote Doppelgängerin
Die "Schwarze Magie"-Theorie
Die Verteidigerteams der beiden Angeklagten haben während des Prozesses gegeneinander gearbeitet. Die Angeklagte schob in ihrer Einlassung dem Mitangeklagten die alleinige Schuld zu. Der schweigt bis heute. Seine Anwälte brachten dagegen die Theorie eines Menschenopfers ins Spiel, das die Angeklagte dargebracht haben soll, um so ihren Ex-Mann zurückzugewinnen. In Schahraban K.s Auto wurden nämlich in einer pseudo-arabischen Schrift verfasste Briefchen gefunden. Der Verfasser, ein jesidischer Geistlicher, gibt bei seiner Vernehmung als Zeuge an, mit den Briefchen um "Gesundheit" für Schahraban K. gebeten zu haben.
Verteidigung: "So schlau wie am Anfang"
Einig sind sich die Anwälte aber darin, dass am Ende des Prozesses noch zu viele Fragen offen seien. "Nach 52 Verhandlungstagen sind wir so schlau wie am Anfang", so Strafverteidiger Alexander Betz. Da nach ihrer Meinung keine der Theorien durch Beweise gefestigt worden sei, fehle vor allem ein Tatmotiv. Die Verteidiger des Mitangeklagten schließen sich an: "Kein Motiv ist eine Lücke in der Beweisführung", so Anwalt Klaus Wittmann. Beide Verteidigerteams fordern Freispruch für ihre Mandanten.
Mammut-Prozess in Ingolstadt
Im Laufe des Prozesses wurden knapp 200 Zeugen gehört, dazu Gutachter und Sachverständige. Immer wieder gab es Überraschungen: So fanden die Ermittler rund eineinhalb Jahre nach der Tat im Auto der Angeklagten eine Pistole, die zuvor nicht entdeckt worden war. Außerdem hatte das Opfer Kontakt zur Ingolstädter Clique, in der auch die Angeklagten verkehrten.
Eine Flut von Anträgen der Verteidiger sorgte immer wieder für lange Pausen und somit für Verzögerungen. Kleine Pannen - Übersetzer, die nicht den Dialekt der Zeugen sprachen, oder DNA-Spuren, die nicht ermittelt wurden - taten ihr Übriges, dass der Prozess fast ein Jahr dauerte. Nahezu an jedem Verhandlungstag war der Gerichtssaal mit Medienvertretern und Zuschauern voll – und wird es zur Urteilsverkündung wohl wieder sein.
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